Leipzig: Alle unter einem Legida-Hut
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Zum zweiten Mal demonstrierte das islamfeindliche Bündnis Legida, der Pegida-Ableger in Leipzig, am vergangenen Mittwoch. Wer sind die Demonstranten zwischen „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“-Rufen? Ein „Annäherungsversuch“ an die Abendspaziergänger (Teil 2).
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Erstaunlich ist, dass viele Legida-Demonstranten heute bereit sind, Auskunft zu geben. Zwei Mittzwanziger aus Paderborn sind angereist, um für ihre Werte „spazieren“ zu gehen – und die sind nach eigenen Worten „konservativ“: „Wegen der Genderalisierung brechen immer mehr Familien auseinander. Das traditionelle Rollenbild wird zerstört – da sind wir dagegen. In der Politik stelle ich mir das französische Familienmodell vor; was Flüchtlinge betrifft, verlange ich einen Verteilungsschlüssel innerhalb Europas. Die können ruhig alle hier rein kommen, damit habe ich kein Problem, nur Deutschland soll als Sozialstaat nicht ausgebeutet werden.“
Fragt man nach dem Anschlag in Paris auf Charlie Hebdo, sagen sie: „Nun ja, es hat sich ja nun heraus gestellt, dass Familie Rothschild die Zeitschrift übernommen hat.“ Diese Information hätten sie aus dem Internet. Im Internet muss man nicht lange suchen, um auf Verschwörungsmagazine wie „NEOPresse“ oder „Contra-Magazin“ zu stoßen. Dort liest man, der Anschlag wäre nur verübt worden, um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben.
Warten auf die Kollegen aus Dresden
Die klein formierten Grüppchen bündeln sich, als die Kundgebung beginnt – eine Viertelstunde zu spät, ganz gegen die deutsche Pünktlichkeit. Aber man wartet noch auf die „Kollegen“ aus Dresden, die noch immer nicht eingetroffen sind – wegen der zwei Brandanschläge auf der Bahnstrecke? Um 18:45 Uhr sind sie schließlich da, ein paar hundert vielleicht. Viele mit Bomberjacke und Kapuzen fallen auf. Die meisten davon sehen nicht älter aus als 20. Frauen findet man auf dem ganzen Platz generell wenige und wenn, dann fallen sie oft mit gefärbtem Haar oder Piercings im Gesicht auf.
Beim „Abendspaziergang“ erfährt man die Zahlen: 15.000 Legida-Demonstranten und 20.000 Gegendemonstranten, was aber am Ende der Woche für Legida dann schnell wieder auf ca. 5000 herunterkorrigiert wurde. So läuft man unter Hubschraubermotoren und neben Polizeihundegebell. Stinkefinger werden Anwohnern am Fenster entgegengestreckt, aber in der Mitte des Stromes trotten tatsächlich nur die „besorgten Bürger“. Echte Gewalt bekommt man an dieser Stelle nicht mit, denn sie spielt sich an der Spitze des Stroms ab. Dort geht auf einmal ein Mob auf die fotografierenden Journalisten los – die Polizei reagiert erst, als man sich wieder aufrappelt und die kaputten Kameras begutachtet. So erzählt es später ein Journalist und zeigt das verkratze Objektiv und die aufgerissene Hose.
Gewalt zwischen den Gruppen tritt erst gegen Ende auf. Während der Legida-Pressesprecher Jörg Hoyer noch seine Kundgebung schmettert, verlassen bereits etwa hundert Teilnehmer den Platz. Schnellschritt in Baggyjeans. Jetzt rennt auch die Polizei und schafft es mit nur einer Reihe Beamten doch nicht, die Demonstranten und Gegendemonstranten auseinander zu halten. An den Tramgleisen vor dem Hauptbahnhof eskaliert es schließlich zwischen Böllern und Flaschenwürfen: zwei Legidamänner gehen auf eine Frau los. Sie liegt schreiend am Boden und hält sich die Arme weiter über den Kopf, auch als die beiden schon festgenommen sind. Vor dem Hauptbahnhof verlieren sich beide Gruppen, man weiß nicht ganz, wohin die Menschenmassen auf einmal sind. Nur zwischen den Autonomen und der Polizei hält die Spannung noch eine halbe Stunde an – beim Schwarzen Block sind die Beamten seltsamerweise recht schnell.
Tentakelarme nach Unzufriedenen ausstrecken
Man wundert sich am Ende dieses langen Abends vor allem über eins: wie gehen diese verschiedenen Menschen alle unter den Legida-Hut? Vielleicht kann man ihn mit Tentakeln beschreiben. Denn eins kann Legida gut: die Arme nach allen Unzufriedenen ausstrecken. Und das recht geschickt: man passt das Sprachjargon an. War anfangs beispielsweise noch von „Kriegsschuldkult“ die Rede, spricht man jetzt von „Würdiger Erinnerung an unsere Geschichte, jedoch keiner Generationshaftung.“ – das überzeugt allein von der ausgeweiteten Begrifflichkeit her sicher mehr Menschen.
Und dann steht da bei der Kundgebung am Ende ein Jörg Hoyer, der mit einer solchen Wucht seine Worte herausschleudert, dass man gar nicht um die Assoziation „Führer“ herumkommt. Auch mit dieser Art der Sprachlichkeit lässt sich sicher so mancher einfangen: „Wir sind keine Ausländerfeinde, aber wir werden nicht Multikulti auf Befehl. Wir legen fest, wann unsere Kultur verändert wird. Wir sind das Volk, weil wir Deutsche sind, und das ist für uns eine Selbstverständlichkeit.“
Weichen auf 'Angst um die deutsche Identität' gestellt
Er spricht von der „Vasallen-Regierung der Amerikaner, der Wirtschaft“, die „das Volk gegeneinander ausspielen“ würde. Auch so ein Punkt: Legida lehnt das TTIP-Abkommen zwischen Amerika und Deutschland ab. Das ist verständlich, weiß man doch weder in Deutschland noch anderswo, was es genau damit auf sich hat. Diese Angst ist verständlich, weiß man doch nicht, was nun passiert, mit beispielsweise der Lebensmittelindustrie, mit dem Buchmarkt oder der Pharmaindustrie. Legida springt auf diesen bisher rot-grünen Aufschrei-Zug auf, stellt die Weichen aber sofort auf „Angst um die deutsche Identität“ um.
Angst darf man in diesen Tagen vor genau einer Sache haben: vor einer Sprachgewalt – mündlich oder schriftlich – die eine Beliebigkeit in sich trägt, an die jeder andocken könnte. Und dabei vergisst, dass die Parolen und „Werte“ von Lutz Bachmann zusammengeschustert wurden; einem, der mit seinem „Witzfoto“ von ihm selbst mit „Hitlerbart“ sehr wohl das vertritt, was Pegida und Legida unter ihrer Maske verstecken: rassistisches, diskriminierendes und ausländerfeindliches Gedankengut.