Wahlen in Weißrussland - ein Land mit gespaltener Zunge
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In Weißrussland scheiden sich die Geister nicht nur an dem autokratischen Präsidenten Lukaschenko, der für den 28. September Parlamentswahlen angekündigt hat. Weißrussisch oder Russisch - wer in Weißrussland politisch aktiv ist, muss sich für eine Sprache entscheiden.
Soll man das Wort „Präsident“ auf Weißrussisch groß oder klein schreiben? Der Sprachwissenschaftler Smitser Sauka aus Minsk hat dazu eine klare Meinung: Das Wort ist kein Eigenname, sondern die Bezeichnung eines Amtes - und Sauka meint, dass solche Wörter in der weißrussischen Sprache grundsätzlich klein geschrieben werden müssen. Im Gesetz zur Rechtschreibreform des Weißrussischen, das Staatspräsident Alexander Lukaschenko kürzlich bestätigt hat, wurde jedoch festgelegt, dass seine Amtsbezeichnung spätestens ab 2010 groß zu schreiben ist. Für Sauka, Gegner der Rechtschreibreform und Mitglied der Oppositionspartei Belarussische Nationale Front (BNF), dient die Reform nur dazu, den Untertanengeist der Weißrussen am Leben zu halten.
Die Rechtschreibreform ist nur ein Beispiel dafür, wie politisch aufgeheizt die Diskussion um Sprache in Weißrussland ist. Mit der staatlichen Unabhängigkeit 1991 wurde nach dem Motto „ein Staat - eine Nation - eine Sprache“ das Weißrussische zur einzigen Staatssprache erklärt. Doch nicht alle Weißrussen waren damit einverstanden, von ihrer Alltagssprache Russisch zur Nationalsprache Weißrussisch umerzogen zu werden. Alexander Lukaschenko, erster und bisher einziger Staatspräsident des Landes, griff in seiner Wahlkampagne von 1994 und nach der Wahl diese Stimmung auf.
Auf der Welt existieren nur zwei große Sprachen: Russisch und Englisch
„Die weißrussische Sprache ist eine armselige Sprache“, befand Lukaschenko damals in einer Ansprache. „Auf der Welt existieren nur zwei große Sprachen: Russisch und Englisch.“ Und er ließ bereits 1995 das Volk befragen, ob das Russische neben dem Weißrussischen wieder Staatssprache werden solle. Das Ergebnis: Über 80 Prozent der Stimmen waren für die Wiedereinführung des Russischen.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Und das nicht nur, weil die Gegner der staatlichen Zweisprachigkeit vor der Volksabstimmung kaum eine Möglichkeit hatten, in den staatlichen Medien ihre Meinung zu äußern. Viele Weißrussen scheinen nämlich stolz auf „ihre“ weißrussische Sprache zu sein, obwohl sie diese gar nicht benutzen. So zumindest kann man die Sprachenstatistik der Volkszählung von 1999 deuten: Mehr als 70 Prozent aller Befragten nannten Weißrussisch ihre Muttersprache, obwohl gleichzeitig nur knapp unter 40 Prozent angaben, diese Sprache auch tatsächlich im Alltag zu benutzen.
Protestsprache?
Anhänger der Nationalsprache der Weißrussen sind landesweit in der ‚Gesellschaft für die weißrussische Sprache‘ organisiert, die nach Angaben ihres Vorsitzenden, Aleh Trusau, die größte legale NGO im Land ist. In der Hauptstadt Minsk hat die Gesellschaft für die weißrussische Sprache ihre viel zu kleine Niederlassung nahe der Staatlichen Linguistischen Universität. Dort werden Bücher und CDs auf Weißrussisch verkauft.
Die NGO versteht sich trotz ihres Kampfes um sprachliche Rechte nicht als politische Organisation. Und doch ist das Weißrussische immer ein wichtiges Symbol des Protestes gegen die Präsidentenherrschaft Alexander Lukaschenkos gewesen: Demonstranten wurden von der Miliz zusammengeschlagen, weil sie Parolen auf Weißrussisch riefen oder sich in dieser Sprache unterhielten. Schüler und Eltern, die sich für Schulunterricht in weißrussischer Sprache einsetzen gelten schnell als politische Unruhestifter.
Doch dass Weißrussisch die Sprache der Opposition gegen Staatspräsident Lukaschenko ist, lässt sich daraus nicht schlussfolgern. Jurij Drakochrust, politischer Kommentator der weißrussischen Redaktion von Radio Free Europe, mahnt zu Vorsicht bei solchen Urteilen. „Unter den russischsprachigen Politikern gibt es genauso Patrioten, die für die Unabhängigkeit Weißrusslands sind“, sagt Drakochrust. Wichtige Oppositionsparteien wie etwa die liberale Vereinigte Bürgerpartei führen ihren Wahlkampf vor allem auf Russisch.
Die meisten Weißrussischsprecher gehören nach wie vor der älteren Generation an, leben auf dem Land, haben keinen Hochschulabschluss und sehnen sich eher nach der Sowjetunion als nach der EU. Daneben gibt es allerdings immer mehr junge und gebildete Leute in den Städten, vor allem in Minsk, für die Weißrussisch ein rebellisches Image hat. Auf Internetseiten wie Facebook oder Hospitalityclub hinterlassen sie sich nicht nur gegenseitig weißrussische Gästebucheinträge, sondern haben auch jede Menge Freunde aus dem Westen auf ihrer Kontaktliste. Und wenn sie über die Rechtschreibreform der weißrussischen Sprache zu entscheiden hätten, würden sie das Wort „Präsident“ mit Sicherheit klein schreiben lassen.
Der Autor dieses Artikels, Mark Brüggemann, ist Mitglied des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung n-ost.