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Vouliwatch Griechenland: Am Scheideweg der Demokratie

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Gesellschaft

Viele Europäer fordern mehr Teilhabe. Dabei lassen fehlende Transparenz und Entscheidungen am Bürger vorbei die Kluft zwischen Verwaltung und Bevölkerung stetig wachsen. Ein Gespräch mit Antonis Schwarz, Mitgründer der Internetplattform vouliwatch.gr, über direkte Demokratie,  Transparenz und Vorurteile kurz vor den griechischen Parlamentswahlen am 25. Januar.

Florian Schmitz: Antonis, vouliwatch.gr ist angelehnt an die deutsche Demokratielattform abgeordnetenwatch.de. Kannst Du erklären, was genau ihr macht und wer dahinter steckt?

Antonis Schwarz (AS): Wir stellen einen öffentlichen Dialog zwischen Abgeordneten und Bürgern her. Man kann Fragen stellen und wir übernehmen den Moderationsprozess. Auf der anderen Seite schauen wir, wie Abgeordnete im Parlament abstimmen. Im Vergleich zu abgeordnetenwatch.de bieten wir zusätzlich auch ein Policy Monitoring an, wo wir in kondensierter Form die verschiedenen Parteiprogramme zusammengetragen haben. Unsere User können diese dann vergleichen anhand verschiedener Aspekte wie z.B. Wirtschaft oder Umwelt, über diverse Unterkategorien vertiefen, kommentieren und auf Verbesserungspotenzial hinweisen. Dann gibt es Candidatewatch, wo wir die verschiedenen Wahlkampagnen beobachten und schließlich können unsere User auch eigene Gesetzesentwürfe zur Diskussion stellen.

FS: Sind das tendenziell eher Leute aus dem linken Spektrum oder gibt es auch Konservative, die Gesetzesentwürfe online stellen?

AS: Ich würde sagen, dass es Leute aus der sich in Griechenland gerade bildenden Zivilgesellschaft sind und viele Leute, die sich für direkte Demokratie einsetzen. Es ist aber immer abhängig von der derzeitigen Situation. Zum Beispiel gab es jede Menge Fragen bezüglich der Privatisierung der staatlichen Wasserbetriebe, als in Thessaloniki das unabhängige Referendum stattgefunden hat, die dann vor allem direkt angesprochen haben, ob man für oder gegen Privatisierung und für oder gegen direkte Demokratie ist, also, ob Bürger ein Referendum initiieren dürfen. Man kann unsere User aber nur schwierig auf ein Spektrum reduzieren. Am allerehesten sind es Leute zwischen 18 und 35.

FS: Wenn Du sagst ‚die entstehende Zivilgesellschaft’, was meinst du dann?

AS: Ich denke, dass das Thema direkte Demokratie gerade viel Aufwind erhält. Für mich ist Griechenland ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn man den Parteien die ganze Macht überlässt und wenn es für den Bürger außerhalb der Wahlen keine Interventionsmöglichkeiten gibt. Vouliwatch steht ganz klar für die parlamentarische Demokratie, aber es muss auch andere Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung geben, als einfach alle vier Jahre wählen zu gehen.

Vouliwatch.gr suchte per Crowdfunding nach neuen Mitteln für die Plattform

FS: Wie hängt Vouliwatch mit direkter Demokratie zusammen?

AS: Wir sind eine sehr junge Organisation. Gerade versuchen wir vor allem, Politiker und Abgeordnete dazu zu bringen, unsere Bürgerfragen zu beantworten. Insofern bewegen wir uns in dem Rahmen, den uns die Verfassung vorgibt. Es gibt im Parlament keinen Petitionsausschuss, keine formale Möglichkeit, die eine weitere Einflussnahme ermöglicht. Das einzige was bleibt, ist, deinen Abgeordneten anzuschreiben und zu hoffen, dass er sich deiner Sache annimmt. Wir versuchen, diesen Prozess öffentlicher zu machen, wollen der Zivilgesellschaft ein zusätzliches Instrument bieten, um von unten Druck auszuüben.

FS: Es geht also um den Kontakt und es geht um Transparenz. Wie siehst Du die Entwicklung von Transparenz in Griechenland generell seit Beginn der Krise?

AS: Das ist schon lange ein Thema und hat seit der Krise noch einmal einen Aufwind bekommen. Ich habe den Eindruck, dass der zivilgesellschaftliche Druck in Griechenland dahingehend gezielter sein könnte. Die Beschwerden gegenüber dem System sind oft nicht spezifisch genug. Im Sinne von: Okay, das System funktioniert nicht und HIER müssen wir es verbessern, um dann KONKRET Druck auszuüben. Was sich für Griechenland sehr bewährt hat, ist die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen.

FS:  Glaubst Du, die Bürger können zwischen dem Thema Transparenz und der Lage des Landes eine Verbindung herstellen?

AS: Die Leute sind sich dessen natürlich absolut bewusst. Ich denke aber, dass es zu oft einfach über einen Kamm geschert wird, nach dem Motto: ‚Das System ist korrupt und funktioniert nicht’ und dass es nicht lohnt, etwas zu verändern, sondern sich möglichst gut mit der Situation zu arrangieren. Für mich ist dieses Gefühl der Zwecklosigkeit die größte Gefahr der Krise, keinen Grund mehr dafür zu sehen, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Gerade jetzt, wo mehr politisches Engagement gefragt ist, ziehen sich die Leute zurück. Natürlich kann man das aber nicht verallgemeinern. Nicht alle stecken den Kopf in den Sand. Ähnlich, wie wir das in anderen Ländern in Europa, auch in Deutschland, beobachten.

FS: In einer Zeit, in der in Europa viel Unsicherheit herrscht, stehen auch Vorurteile hoch im Kurs. Was meinst Du als Deutsch-Grieche, was sollten die Griechen über die Deutschen und die Deutschen über die Griechen wissen? Was sind gängige Vorurteile, die durch eine bessere Kommunikation eigentlich schnell aus dem Weg geräumt werden könnten?

AS: Man sollte das ausweiten auf Europa. Und was die Europäer über die Griechen wissen sollten, ist, dass Griechenland in gewisser Hinsicht ein junges Land ist mit einer sehr schweren Geschichte. 1821 haben sich die Griechen erst von den Türken losgesagt, wobei andere Teile des Landes erst vor 100 Jahren dazukamen. Dann gab es die kleinasiatische Katastrophe, wo das Land auf einmal 3 Millionen Flüchtlinge aufnehmen musste. Später dann die deutsche Besatzungszeit und die Militärdiktatur. Griechenland war während der 400-jährigen Besatzungszeit unter den Osmanen zu großen Teilen abgeschnitten von Europa. Es gab keine bürgerliche Klasse. Die wohlhabenden Griechen befanden sich im Ausland, in Alexandria zum Beispiel.

FS: So wie das griechische Großkapital jetzt im Ausland liegt?

AS: Ungefähr, aber die großen Oligarchen befinden sich nach wie vor im Land. Auch spielt eine Rolle, dass das Land keine Aufklärung oder Reformation erlebt hat, was auch erklärt, warum die Kirche soviel Macht hat.

FS: ...die sich ja permanent in legislative Prozesse einmischt.

AS: Genau. Griechenland hat einfach einen geschichtlichen Sonderweg. Es wird zu Kerneuropa gezählt und im Land wurzelt natürlich die Kultur des kompletten Abendlandes. Aber zwischen der Antike und heute ist sehr viel Zeit verstrichen. Die vielen verschiedenen Besatzungen, das byzantinische Zeitalter, während dessen sich viele Griechen als Römer bezeichnet haben, verdeutlichen, dass das Land identitätstechnisch noch sehr jung ist.

FS:. Welche Vorurteile bestehen in Deutschland gegenüber Griechenland, mit denen man dringend aufräumen sollte?

AS:  Jede Menge und gerade die Medien profitieren von ihnen. Man muss einfach einsehen, dass es ein Land zwischen Osten und Westen ist. Man merkt das auch daran, dass viele in Griechenland sagen: ‚Der hat in Europa studiert.’ Ein wenig wie in England.

FS: Und von der anderen Seite? Was sollten die Griechen über die Deutschen, bzw. über die Europäer wissen?

AS: Manchmal wird die EU zu sehr stigmatisiert. Natürlich gibt es viel Verbesserungspotenzial, aber ich denke, dass Griechenland doch sehr stark von der Mitgliedschaft profitiert, gerade wenn es um Fördertöpfe geht. Wir müssen uns klar machen, dass wir nicht Mitglied sind in einem Club, wo wir uns ständig nur beschweren, gleichzeitig aber von Förderungen zehren können. Viele wissen das auch. Generell glaube ich aber, dass es in puncto Vorurteile mehr Verbesserungspotenzial dahingehend gibt, was die Deutschen über die Griechen denken.

Antonis Schwarz, geboren 1988, Deutsch-Grieche, aufgewachsen zwischen München und Athen. Hat erst European Studies in London studiert, dann Management in Madrid. Vor 1 ½ Jahen hat er gemeinsam mit anderen Demokratieaktivisten vouliwatch.gr gegründet.

Das Interview in voller Länge auf www.eudyssee.net

Translated from At the Crossroads of Democracy – Interview with Vouliwatch-Founder Antonis Schwarz