Topolánek stürzt - EU verliert Führung
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Durch ein Misstrauensvotum hat das Abgeordnetenhaus in Prag am Dienstag die tschechische Regierung gestürzt. Gemäß der Verfassung soll Ministerpräsident Mirek Topolánek nun zurücktreten. Weil Tschechien derzeit den EU-Ratsvorsitz inne hat, fürchtet die europäische Presse auch einen Führungsverlust in Brüssel.
„Mitten in der großen Weltwirtschaftskrise steht am Ruder der EU ein Steuermann, der die Arme nicht frei hat“ - Süddeutsche Zeitung; Deutschland
Zum Sturz der Regierung in Prag schreibt die links-liberale Süddeutsche Zeitung: "Jetzt ist auch das noch eingetreten, was man als größten anzunehmenden Unfall fürchtete: Mitten in der EU-Amtsperiode wurde die Regierung gestürzt. Und mitten in der großen Weltwirtschaftskrise steht am Ruder der EU ein Steuermann, der die Arme nicht frei hat und nicht mit voller Kraft seine Aufgabe für die Gemeinschaft wahrnehmen kann. [...] Der Vorgang zeigt, in welcher Weise parteipolitischer Egoismus gerade in Mittel- und Osteuropa die politische Entwicklung behindert und inzwischen dem ganzen Kontinent schadet. Zwar gibt es ärgerliche Reibereien auch in Berlin, zwar leidet auch Italien seit langem unter den Kleinkriegen der Parteien. Im postkommunistischen Kosmos aber richtet der Mangel an staatsmännischem Verantwortungsbewusstsein und der ausgeprägte Unwille zum demokratischen Kompromiss gerade jetzt besonders großen Schaden an."
(Artikel vom 25.03.2009)
„Ein weiterer Schlag gegen den Lissabon-Vertrag“ - Diário de Notícias; Portugal
Mit Sorge betrachtet die Tageszeitung Diário de Notícias den Sturz der tschechischen Regierung, besonders mit Blick auf mögliche Folgen für die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags: "Der Sturz der tschechischen Regierung während der EU-Ratspräsidentschaft des Landes führt zu einer heiklen Situation. [...] In Prag hat der Lissabon-Vertrag den Senat noch nicht passiert. Die Abneigung des tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus gegen den Vertrag ist bekannt, sowie sein Wille dessen Ratifizierung in der Tschechischen Republik zu verzögern oder gar zu behindern. Auch wenn die Regierung bis zum Ende der EU-Ratspräsidentschaft im Juni weiterhin im Amt bleibt, ist dies ein weiterer Schlag gegen den Lissabon-Vertrag. Man muss abwarten um zu sehen, ob er fatal ist."
(Artikel vom 25.03.2009)
„Minister an der Spitze der Union war auch bislang schon schwach“ - Sme; Slowakei
Der Fall der Regierung in Prag könnte der tschechischen EU-Präsidentschaft am Ende gar zugute kommen, meint die liberale Tageszeitung Sme: "Die Position des tschechischen Premiers [Mirek Topolánek] und seiner Minister an der Spitze der Union war auch bislang schon schwach. Geraume Zeit mussten sie der Rettung ihrer heimatlichen Sessel widmen. Die tschechische Präsidentschaft dauert aber nur noch drei Monate. Die Regierung tritt nach dem Misstrauensvotum nicht sofort ab, sondern bleibt bis zum Antritt einer neuen Regierung im Amt. Topoláneks Kabinett könnte also ohne Probleme bis zum Ende der Präsidentschaft auf seinem Platz bleiben. Aus dieser Sicht ist es wichtig, wie viel Zeit der Regierung für die Union bleibt. Das hängt von der Entwicklung in Prag ab. [...] Schnelle vorzeitige Wahlen schon im Sommer, von denen Topolánek spricht, würden ihm die Hände frei machen. Als Premier in Demission müsste er sich nur den laufenden Geschäften zu Hause widmen. Und in der Union könnte er am Ende aktiver sein als bislang."
(Artikel vom 25.03.2009)
„Auch für Europa ist es eine gewisse Schande“ - Mladá fronta DNES; Tschechien
Es ist ausgesprochen dumm, die Regierung in einer Zeit zu stürzen, in der der Weltmarkt unter mangelndem Vertrauen zu Mittel- und Osteuropa leidet.
Der Sturz der tschechischen Regierung zeuge von der Verantwortungslosigkeit einiger Politiker in Prag, schreibt der Chefredakteur der liberalen Tageszeitung Mladá Fronta Dnes: "Es geht nicht um die immer wieder beschworene europäische Präsidentschaft. Ja, auch für Europa ist es eine gewisse Schande und verschlechtert die Verhandlungsposition Tschechiens. Doch die europäischen Staatsmänner und Institutionen werden das verstehen. Aber der Sturz der Regierung in einer Zeit, wo man - am besten in Zusammenarbeit mit der Opposition - einen Schritt nach dem anderen tun sollte, um den Firmen und der Bevölkerung zu helfen, die Rezession zu überleben, ist gelinde gesagt unglücklich. Und es ist ausgesprochen dumm, die Regierung in einer Zeit zu stürzen, in der der Weltmarkt unter mangelndem Vertrauen zu Mittel- und Osteuropa leidet, nachdem dort gerade erst die Regierung Ungarns gefallen ist." (Artikel vom 25.03.2009)
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