Spanier in Deutschland: Was zum Teufel ist dieser Genitiv?
Published on
Sie sind jung, gebildet und voller Tatendrang – und haben in ihrer Heimat trotzdem keine Chance: viele Spanier versuchen ihr Glück daher in Deutschland. Ricardo Garcia Méndez ist einer von ihnen. Porträt
Osnabrück. An seine erste Woche in Deutschland erinnert sich Ricardo noch ganz genau. April war es, und kalt, viel kälter als in seiner spanischen Heimat, dem galizischen Vigo. Er kam mit wenigen Sprachkenntnissen, großen Erwartungen und traf auf Schwarzbrot, Weizenbier und fast schon penible Pünktlichkeit. Die ist dem 21-jährigen KFZ-Mechatroniker nach sieben Monaten in Osnabrück schon ins Blut übergegangen, ebenso wie die Genauigkeit, auf die seine deutschen Ausbilder so viel Wert legen.
Wenn Ricardo sich jetzt in seinem Blaumann unter das Auto legt, stimmt jeder Handgriff. Geübt und schnell setzt der 21-Jährige kleine Muttern auf passende Schräubchen, baut Motoren auseinander und setzt Heckscheiben wieder ein. „Kosmetik für Autos“ nennen sie das hier, im Volkswagenzentrum Osnabrück. Hier befindet sich Ricardos Arbeitsplatz seit dem 5. April.
Was zum Teufel ist eigentlich dieser Genitiv?
Ricardo ist einer von 19 spanischen Auszubildenden, die im April nach Osnabrück kamen, um sich drei Monate lang in einem deutschen Betrieb auszuprobieren. Ins Leben gerufen hat das Projekt Jürgen Claus vom Fachbereich Bildung, Kultur und Sport des Landkreises Osnabrück. Er weiß, dass spanische Jugendliche seit Beginn der Krise in ihrer Heimat kaum Perspektiven haben. Laut aktuellen Zahlen beträgt die Arbeitslosigkeit dort 26%, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei 55%. „Wenn wir uns nicht kümmern, wer tut es dann?“, fragt Jürgen Claus. Seit 2011 hat er bereits 40 spanischen Auszubildenden ein Praktikum in Deutschland ermöglicht. Noch im Oktober 2013 treten weitere sieben Jugendliche die Reise an, wie einst auch Ricardo.
Ricardos Tag beginnt für spanische Verhältnisse früh, bereits um neun Uhr muss er in der Werkstatt stehen. Nach einem kurzen „Hola chicos“ geht es dann auf Deutsch weiter, denn Ricardo muss üben. „Am Anfang war Kommunizieren schwierig“, erzählt er. „Ich habe wenig verstanden, habe einfach genickt, und gehofft, dass mir keine Frage gestellt wurde.“ Verlegen lacht er und es schleichen sich zwei Grübchen in die Wangen des beinahe Zwei-Meter-Mannes. Vor allem eine Frage stellt sich immer wieder: Was zum Teufel ist eigentlich dieser Genitiv?
An Ricardos Arbeitsplatz dreht sich alles um sogenannte „Blechschäden“. Kaputte Autos, eingedrückte Knautschzonen und ab und zu einen Totalschaden darf der KFZ-Mechatroniker wieder aufpäppeln. „Die Arbeit macht viel Spaß“, erzählt er. „Jedes Auto ist anders.“ Mit öligen Fingern beugt er sich dann über die offene Motorhaube, dreht mit einem Schraubenzieher locker sitzende Schräubchen nach. Für seine Arbeit bekommt er meist positive Bewertungen. „Wir sind ein Betrieb mit 113 Leuten. Es ist Wahnsinn, wie gut sich Ricardo trotz Sprachbarrieren und geballter Manpower integriert“, sagt Helge Stütze, Ricardos Mentor.
Bei soviel Lob wird Ricardo wieder ein bisschen rot, tut so, als habe er nichts gehört und schiebt schüchtern beide Hände in seinen Arbeitsoverall, auf dem auf einem Schild groß sein Name prangt. Er gehört dazu, suggeriert das Schild, er hat es geschafft. Ricardo ist als Facharbeiter beim Volkswagenzentrum angestellt, verdient über 2000 Euro brutto pro Monat und hat zumindest bis August 2014 einen festen Vertrag. Genauso wie er haben noch 10 der anfänglich 19 Praktikanten einen Übernahmevertrag unterschrieben – für Jürgen Claus ein Zeichen dafür, dass sein Konzept aufgeht.
Nach getaner Arbeit geht Ricardo gerne in die Osnabrücker Altstadt und gönnt sich das ein oder andere deutsche Bier. Ob es etwas gibt, was er außer deutschem Bier echt gut in Deutschland findet? „Salchichas – Würstchen“, sagt er, und da ist es wieder, dieses verlegene Lachen. Gedankenverloren starrt er in sein kühles Weizen, als fände er dort die Antwort auf seine vielen Fragen. Ob er es schafft, dauerhaft in Deutschland zu bleiben, ob seine Freundin Raquel, die ihm vor sechs Wochen gefolgt ist, einen Platz als Medizinstudentin bekommt, und ob sich Spanien wohl irgendwann wieder aus der Krise erholt.
Ibiza, Mallorca, Fiesta und Meer - unwissende Deutsche
Wenn Ricardo über „la vida española“ spricht, leuchten seine Augen. Man merkt, wie viel ihm sein Heimatland bedeutet. Trotzdem weiß der 21-Jährige, dass er in Spanien momentan keine Zukunft hätte: „Wäre ich in Spanien, hätte ich jetzt keinen Job“, sagt er. Viele seiner Freunde, die in Spanien geblieben sind, sind arbeitslos. In Deutschland hingegen kann sich Ricardo jetzt sogar eine eigene Wohnung mit seiner Freundin leisten und einen kleinen Hund. Bruce, vier Monate alt und Boxerwelpe ist das Ein und Alles von Ricardo und Raquel und macht das fremde Deutschland für das Paar ein bisschen heimatlicher.
Den Hund haben die zwei, am Tag von Raquels Abreise in Spanien gekauft, bevor es mit dem Auto 2000 Kilometer in Richtung eines fremden Lands ging. „Wir kamen ohne Sofa, ohne Fernseher, ohne eine Ahnung – aber mit Hund“, erzählt Raquel, die gerne und viel redet. Heimweh? „Am meisten vermissen wir unsere Familie und Freunde“, sagt Raquel. Über Weihnachten will das Paar daher nach Hause, nach Vigo, fliegen. Natürlich mit Bruce.
Hand in Hand gehen die beiden spazieren, vorbei am Heger Tor, durch die Osnabrücker Altstadt oder in den Park. Ein junges Pärchen, mit Optimismus und mit Hund, auf dem Weg in eine Zukunft, von der beide nicht wissen, was sie bringen wird.