Götter und Helden
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Der Fußball ist ja bekanntlich der kleine Bruder der Weltliteratur, denn er kennt allmächtige Götter, blutige Schlachten und gefallene Helden.
Man denke nur an das Finale der letzten WM, als der Fußballgott Zinedine Zidane mit der Anmut eines sterbenden Stiers dem italienischen Abwehrknecht Marco Materazzi einen Kopfstoß in den Bauch und damit seiner Karriere kurz vor ihrem Höhepunkt ein jähes Ende setzte.
Die Szene wirkte reichlich grotesk, ja kafkaesk. Bekanntlich verwandeln sich in den Geschichten Franz Kafkas harmlose Büroangestellte in Käfer. Warum also nicht französische Mittelfeldspieler in spanische Kampfstiere?
Der Franzose spricht hier jedoch lieber von einem problème cornelien. Der Dichter Pierre Corneille war Spezialist für tragische Konflikte. In Le Cid etwa tötet der Held Don Rodrigue den Vater seiner Geliebten Chimène und fragt sie dann, ob sie ihn heiraten will. Eine ähnlich schwere Entscheidung wie Chimène musste auch Zidane fällen: WM-Titel oder Ehrverteidigung? Schließlich hatte Gegenspieler Materazzi sexuelles Interesse an seiner Schwester bekundet.
Auch die Fußballnationen Spanien und Italien haben Schriftsteller hervorgebracht, mit deren Hilfe sie die tragischen Konflikte rund ums Leder beschreiben können. Die Spanier haben Don Quixote und seinen Kampf gegen Windmühlen. Quixotesque ist für sie ihr verzweifelter Versuch, endlich die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen. Dagegen denken die Italiener, wenn sie entsetzt den Sündenpfuhl ihrer Liga betrachten, an Dante Aligheri und die Hölle in der Göttlichen Komödie. Für sie ist das schlicht dantesco!