Geachtet, nicht garantiert
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Der EU ist es nicht gelungen, ihre Mitglieder auf strenge Grundsätze in Sachen Pressefreiheit fest zu legen. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa sind groß, der Informantenschutz ist in Gefahr.
Ein kurzer Klick. Dann die Bestätigung: „Ihre Email wurde erfolgreich versendet.“
Klingt nach einer harmlosen Kommunikation via Internet. Was der Betroffene jedoch nicht weiß: Es ist ein Klick, dessen Details (Sender, Empfänger, Uhrzeit, etc.) gespeichert wird.
Um die Gesetzgebung ihrer Mitglieder zu harmonisieren, hat das Europaparlament im Dezember 2005 die Richtlinie zur systematischen Speicherung aller Telefon- und Internetdaten verabschiedet. Künftig müssen jegliche Verbindungsdaten für Telefon, SMS und Internet von den Anbietern sechs bis 24 Monate lang gespeichert werden. Die Polizei kann nun für ihre Nachforschungen bei den Anbietern die Daten anfragen.
Laut dem Deutschen Journalistenverband wurde damit der Weg für die Massenüberwachung von Journalisten und deren Kontakten geebnet. „Pressefreiheit und Informantenschutz geraten mit dieser Richtlinie in Gefahr“, heißt es in einer Mitteilung des DJV. „Wenn Informanten nicht mehr sicher sein können, dass Telefon- oder Email-Kontakte zu Journalisten geheim bleiben, werden sie sich doppelt überlegen, die Presse zu kontaktieren.“
Was heißt hier geachtet?
Die EU besteht derzeit aus 25 Mitgliedsstaaten. Das bedeutet 25 verschiedene Traditionen und Kulturen und 25 komplett unterschiedliche nationale Gesetzgebungen – und die EU-Kommission hat nicht die nötige Kompetenz, ein europäisches Recht zu schaffen, dass die Belange der Pressefreiheit einheitlich regelt.
„Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet“, heißt es im Artikel 11 der Charta der Grundrechte der EU. Geachtet, nicht garantiert. „Vor lauter Angst, man könnte die nationalen Hoheiten gefährden, hat man die ursprünglich vorgesehene Gewährleistung der Pressefreiheit aus dem Grundwertekatalog wieder gestrichen“, weiß die Europa-Abgeordnete Karin Junker. Neben ihrer Position im Parteivorstand der SPD ist sie auch Mitglied des WDR-Rundfunkrates und des Arte-Programmbeirates. Mit den Problemen der Medien auf EU-Ebene kennt sie sich bestens aus. Obwohl Junker die schwache Formulierung der Grundrechtecharta kritsiert, räumt sie ein: „Wenn ich in einem anderen Land lebe und arbeite, unterliege ich dessen Recht. Ob mir dieses gefällt oder nicht.“
Auch sieht der Europäische Journalistenverband bedenkliche Entwicklungen im Bereich Medienkonzentration. So gehören in Irland dem Unternehmen Independent Newspapers ganz oder teilweise bis zu 80 Prozent des Zeitungsmarktes.
Selbst in den Niederlanden, die mit an der Spitze des von Reporter ohne Grenzen herausgegebenen Media Freedom Index liegen, ist die Medienkonzentration problematisch. Der öffentliche Rundfunkanbieter NOS kontrolliert zusammen mit dem Bertelsmann-Konzern 85 Prozent des Marktes. Und die drei Unternehmen NV Holdingmaatschappij De Telegraaf, PCM Uitgevers NV und Wegener NV erreichen zusammen 83 Prozent der Leser von Tageszeitungen. (http://www.ifj.org/pdfs/EFJownership2005.pdf)
Probleme in Osteuropa
Mit Blick auf die EU-Erweiterung sieht es noch viel schlimmer aus, weiß Marc Gruber, Vizepräsident der Europäischen Journalisten-Föderation: „Wir bedauern es sehr, dass die Gewährleistung der Pressefreiheit, des Medienpluralismus und eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksektors nicht zur Bedingung für die Aufnahme der neuen Länder gemacht worden ist.“
In Polen, Tschechien und Ungarn wurden circa 80 Prozent der Presse durch westeuropäische Medienkonzerne aufgekauft. Die heimische Presse habe größte Schwierigkeiten, sich am Markt zu behaupten, so Gruber. In der Ukraine werden kritische Journalisten immer noch Opfer von Gewalttaten. In Polen wurde im Jahr 2005 der Verleger einer Satirezeitschrift wegen Beleidigung des Papstes Johannes Paul II zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.
Fragt man sich doch zurecht, ob sich die Europa-Abgeordneten im Vorfeld Gedanken zum Thema Pressefreiheit gemacht haben. „Man kann eben nicht alle erreichen“, verteidigt sich Karin Junker.
Erste Schritte in die richtige Richtung
Es gibt aber auch Positives zu vermelden: Dank der EU gibt es in allen Mitgliedsstaaten ein Gesetz zur Informationsfreiheit. Dazu gehört, dass Dokumente nachvollziehbar, nachlesbar und offen zugänglich sind. Behörden sind also verpflichtet, auch zu heiklen Themen wie Finanzen Auskünfte zu erteilen.
Auch im Bereich Fernsehen sind gute Ansätze zu erkennen. Die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ legt Bedingungen für die Übertragung von Fernsehsendungen im europäischen Binnenmarkt fest: freier Verkehr von Fernsehsendungen, Schutz der kulturellen Vielfalt, der Schutz Minderjähriger, Gegendarstellungsrecht, Wettbewerbsregelungen und die Förderung europäischer Produktionen sind nur einige davon.
Dennoch: Es bleiben viele Fragen. Warum ist nur der Bereich Fernsehen geregelt? Was ist mit Rundfunk-, Print- und Onlinemedien? Wie sollen Journalisten künftig eine kritische Berichterstattung garantieren, wenn die neue Richtlinie zur systematischen Speicherung von Telefon-und Internetdaten den Quellenschutz gefährdet? Nur eines ist klar: Solange die Kulturhoheit und die Rundfunkhoheit ausschließlich bei den Mitgliedsländern liegen, kann man auf europäischer Ebene nur wenig gegen die Gefährdung der Pressefreiheit unternehmen.