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Europaspiele in Baku: doppelter Boden?

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RawSport

Am letzten Sonntag im Juni fand das Finale der Europaspiele in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku statt – ein zweiwöchiges Sportereignis in verschiedensten Disziplinen mit Athleten aus ganz Europa. Aber warum eigentlich das Ganze? Cafébabel war dort, um es herauszufinden.

„Sport und Politik sollten getrennt bleiben“ – eine Aussage, die normalerweise von naiven, wohlmeinenden Optimisten oder offen politischen Kriminellen getätigt wird, die damit ihre Vergehen verstecken wollen. 2015 musste man schon die überraschend zügellose  Korruption in der FIFA sowie die steigende Opferzahl von Migranten beim Bau für die zurechtgebastelte Weltmeisterschaft in Qatar miterleben. Aber sicher konnten uns die allerersten Europaspiele vom Bösen erlösen und uns stolz machen auf unseren Kontinent?

Nachdem sich der Ölproduzent und ex-sowjetischen Republik Aserbaidschan 2012 beim Eurovision Song Contest zum ersten Mal der Welt präsentiert hatte, bekam sie nun erneut die Chance, sich auf der internationalen Bühne zu zeigen. Baku bekam die Zusage für die Spiele  2012 – praktischerweise war die Stadt die einzige Bewerberin. Die Bewilligung setzte voraus, dass die Stadt in nur zwei Jahren die nötige Infrastruktur aufbaute; eine knappe Frist, doch die Stadt reüssierte.

Schillernde Gymnastikarenen, Schwimmhallen und Velodrome olympischen Standards wurden umgeben mit gepflegten Gärten, glänzenden Marmorwegen und geräumigen Unterkünften für die Medien und Sportler. Neue Busse fuhren auf speziellen Spuren, um Bakus notorisch verstopfte Straßen zu umgehen. Sogar Klimaanlagen wurden in die U-Bahn eingebaut. Endlose Reihen von mit Schlagstöcken ausgerüsteten Polizisten garantierten Sicherheit.

Allein die Eröffnungszeremonie kostete 100 Millionen US-Dollar. Das Kaspische Meer leuchtete hell auf unter einem glanzvollen Feuerwerk. Musikalisch wurde nicht nur traditionelle Mugham-Musik dargeboten, sondern auch Lady Gaga am Piano, die es schaffte, John Lennons „Imagine“ komplett zu verstümmeln.

Es sah alles professionell und prunkvoll aus, aber die Europaspiele leiden unter einer existentiellen Krise. Ja, alle anderen Kontinente haben ihre eigenen Turniere, warum also nicht Europa? Auf der anderen Seite hat sich aber der europäische Sport so entwickelt, dass die Disziplinen alle ihre eigenen etablierten und angesehenen Wettkämpfe besitzen. Viele Profis waren nicht anwesend, da sie auf andere Wettbewerbe trainierten. Es waren ebenso nur vier EU-Staatschefs präsent (Luxemburg, San Marino, Monaco und Bulgarien); Putin, Erdogan und die Präsidenten aus Weißrussland, Tadschikistan und Turkmenistan hatten allerdings ihren Spaß.

Die Trainerin der britischen Synchronschwimmmannschaft Karen Thorpe erzählte mir, dass es für die Mädchen, die teilnahmen - alle erst Teenager - eine tolle Möglichkeit war. „Sie werden es vielleicht niemals zu den olympischen Spielen schaffen, also ist das hier das Zweitbeste.“

Der niederländische Trainer Kees Van Hardevald zeigte sich enttäuscht, dass sein Land die Entscheidung, Gastgeber für die nächsten Europaspiele 2019 zu sein, aus finanziellen Gründen zurückzog. Die Niederlande weigerten sich, eine Summe von 58 Millionen Euro aufzubringen – Aserbaidschan gab mehr als 7.2 Milliarden dafür aus.

„Es ist beschämend. Es sollte ein Land geben, das solche Ereignisse organisieren will. Aber es geht ja immer ums Geld, ich weiß. Deshalb findet es hier statt.“

Beim Flanieren durch die Stadt zähle ich ganze Blöcke von Hochhäusern, Büros und Wohnungen, die hochgezogen wurden, aber leer stehen. Baku ähnelt einem Potemkinschen Dorf. An den sandigen Ufern, die über das Kaspische Meer blicken, schaukeln Ölpumpen hin und her. Dieses Bild verweist auf Aserbaidschans gewaltige Ressourcen. Trotzdem scheint der daraus entstandene Reichtum eher für Großereignisse und äußere Erscheinungsbilder ausgegeben zu werden als für eine adäquate Ausbildung und die Infrastruktur. Deshalb halfen geschätzte 12 000 einheimische Freiwillige aus, während die Führungskräfte hauptsächlich aus dem Ausland kamen.

Ausländische Besucher hingen sich ihre Plaketten um, wanderten – eher kolonial anmutend – durch die Stadt und genossen den Luxus der Innenstadt Bakus. Für Einheimische sperrten die Behörden den Autoverkehr aus den Regionen in die Hauptstadt, untersagten der Bevölkerung, ihre Wäsche draußen aufzuhängen und blockierten sogar Hochzeiten und Beerdigungen. 

Monate davor, als der Ölpreis pro Barrel unter 60 US-Dollar sackte, entwertete Aserbaidschan seine Währung – und stürzte damit viele Einwohner in Schulden. Die Aserbaidschaner schauderten, als öffentlich wurde, dass ihr Land die meisten Kosten für die ausländischen Delegationen übernahm. Solche Neuigkeiten werden nicht mit Freuden aufgenommen in einem Land, in dem ein Lehrer durchschnittlich 150 Dollar pro Monat verdient. Sich offiziell zu beschweren birgt allerdings große Risiken: Laut der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Committee to Protect Journalists ist Aserbaidschan das fünft meistzensierte Land der Welt.

Viele Aserbaidschaner, mit denen ich spreche, sind verständlicherweise stolz darauf, dass ihr einst unbekanntes Land plötzlich einen Platz auf der Weltkarte findet. Es gibt allerdings eine direkte Verbindung zwischen Aserbaidschans zunehmender Rolle als Gastgeber für Großereignisse und eine sich ausweitende Anzahl an politischen Gefangenen. Letztes Jahr wurde fast jede Stimme, die sich gegen Verletzung der Menschenrechte aussprach, ins Gefängnis gesteckt, ins Exil geschickt oder verfiel in Schweigen. Journalisten der BBC und des Guardian wurden vor den Spielen Visa verwehrt, aller Wahrscheinlichkeit nach als Rache dafür, dass die vorhergehende Berichterstattung über die Spiele eher politisch als sportlich angehaucht war. Diese Entscheidung ging allerdings nach hinten los, da sie diesen Themen sogar mehr Auftrieb verschaffte.

Internationale Institutionen wie Radio Free Europe, National Endowment for Democracy, Open Society und die OSZE wurden vertrieben, oft unter der Anschuldigung der Spionage. Die Medien werden streng kontrolliert, die Regierung gleicht einem Einparteienstaat und ein oligarchisches System stellt sicher, dass Geld nur am oberen Gesellschaftsende fließt. Aktivisten, die ich getroffen habe, haben alle Hoffnung verloren. 

Einer davon erzählte mir: „Ich bin Pessimist geworden. Wenn die Opposition hier eine Kundgebung abhält, bekommen sie maximal drei- oder fünftausend Leute zusammen. Heutzutage haben wir nur Brot und Spiele. Und Lady Gaga, die John Lennon singt. Was kommt als nächstes? Rihanna, die ,Wind of Change‘ performt? Alle meine Freunde sind immer noch im Gefängnis.“

Jeder, der sich für die Menschen in Aserbaidschan interessiert, sollte sich vor allem Anderen für die demokratische und soziale Zukunft des Landes interessieren. Wo immer auch (oder sogar, ob) die Europaspiele 2019 abgehalten werden: Es sollte an einem Ort sein, der für Vielfalt und Gleichberechtigung steht. Wenn das nicht der Fall ist, verdienen sie nicht das Etikett „europäisch“. 

Translated from The European Games in Baku: A false start?