Die Sprachbotschafterin
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Deutsch gilt in Frankreich als schwierige und elitäre Sprache. Seit 2004 ist die Zahl der Schüler, die Deutsch lernen, von 27% auf 22% gesunken. Marisa Stretz kämpft mit dem Deutschmobil gegen diesen Trend an. Porträt
Die Sonne scheint noch nicht über Paris als Marisa Stretz, mit einem braunen Lederkoffer in der Hand, ihre morgendliche Mission beginnt: Die deutsche Sprache in Frankreich verbreiten . Dafür wohnt sie ein Jahr lang in Paris, fährt mit dem Deutschmobil an französische Schulen im Umkreis der Hauptstadt. Doch an diesem Tag bleibt ihr silberner Van, auf dem in großen Lettern „Deutschmobil“ prangt, auf dem Parkplatz. Marisa Stretz kämpft sich mit der überfüllten Metro zum Zielort, dem Collège de Sévigné, im sechsten Pariser Arrondissement. Wenn sie kann, versucht sie den berüchtigten Pariser Verkehr zu meiden. Er ist die erste Hürde, die sie täglich zu überwinden hat.
Die zweite sind die Vorurteile über die deutsche Sprache, die als schwierig zu lernen und elitär gilt. Marisa Stretz will den französischen Schülern zeigen, dass das nicht so ist. Die Robert-Bosch-Stiftung, die Föderation der Deutsch-Französischen Häuser in Frankreich und des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) haben die Initiative „Deutschmobil“ dafür im Jahr 2000 ins Leben gerufen.
Zehn Lektorinnen wie Marisa Stretz touren aktuell durchs Land. Im Gepäck: Musik, Süßigkeiten und Geschichten aus dem Nachbarland. Ein anderes, ein moderneres Bild von Deutschland wollen sie vermitteln. Und sie wollen verhindern, dass die Zahl der Deutschlerner in Frankreich weiter sinkt. Denn obwohl Deutsch die meistgesprochene Muttersprache Europas ist und Deutschland als Wirtschaftsmotor Europas gilt, hat das Deutschlernen an Attraktivität im Nachbarland verloren.
SPANISCH HAT DEUTSCH ÜBERHOLT
2011 lernten laut Eurostat 22 Prozent der französischen Schüler Deutsch, 2004 waren es noch 27 Prozent. Längst sind Spanisch oder Italienisch auf dem Vormarsch. „Ich habe Probleme, jedes Jahr eine Klasse mit Deutschlernern voll zu bekommen“, sagt Marine Daridon, die einzige Deutschlehrerin am Collège de Sévigné. Von 90 Schülern würden an der Schule 60 Spanisch wählen. Der Rest verteile sich auf Deutsch und Italienisch. Marisa Stretz gilt als Hoffnungsschimmer der Deutschlehrer. Vor der Entscheidung für die zweite oder auch die erste Fremdsprache soll die junge Deutsche die französischen Schüler motivieren. Gummibärchen packt Marisa Stretz dafür aus ihrem Koffer, eine Deutschlandkarte und den Elefanten und die Maus aus der Sendung mit der Maus. Bei der außergewöhnlichen Deutschstunde sitzen die Zehnjährigen im Kreis, sie machen mit dürfen sich bewegen und spielen. Ungewohnt für die 25 Schüler, die sonst französischen Frontalunterricht gewohnt sind.
„Ich komme aus Deutschland, meine Mutter ist Architektin und mein Vater Techniker“, erklärt die junge Deutsche. Die Kinder verstehen sie. Marisa Stretz nutzt „transparente Worte“, die dem Französischen ähnlich sind. Das Ampelmännchen erkennen sie und das Brandenburger Tor, von denen Marisa Stretz Fotos mitgebracht hat. Nur für das seltsame Betonstück, das die Deutsche ihnen zeigt, finden sie keine Erklärung. „Ist es ein Fossil?“, fragt ein Schüler. Erst als Marisa Stretz verrät, dass sie das Stück aus Berlin hat, dämmert es den Kindern. „Das ist ein Mauerstück“, weiß Julie.
DER KAMPF GEGEN VORURTEILE
Die Wiedervereinigung ist ein Stück deutsche Geschichte, welches die 24-Jährige, die in Regensburg Deutsch-Französische Studien und Deutsch als Fremdsprache studiert hat, den Kindern gern ins Gedächtnis ruft. Denn oft wird sie mit dem Zweiten Weltkrieg und Hitler konfrontiert, wenn sie mit den französischen Schülern spricht. „Das ist etwas, das auch heute noch bei den Zehnjährigen mit Deutschland verbunden wird“, sagt sie.
Im nördlichen Pariser Vorort Saint Denis, der als problematisch gilt, hat Marisa diese Erfahrung gemacht. „Hitler und blonde, blauäugige Menschen waren das einzige, was den Kindern am Anfang zu Deutschland einfiel“, erinnert sie sich. Doch dann hat sie mit den Schülern diskutiert, die meist aus Einwandererfamilien stammten, über Vorurteile und was wahr davon ist. „Das war eine gute Erfahrung“, sagt sie.
So sind es gar nicht unbedingt die „einfachen Klassen“ in den schicken Pariser Arrondissements, die Marisa Stretz am liebsten besucht. Sie mag es, wenn sich die Kinder einbringen, etwas trauen, auch mal freche Fragen stellen, sodass eine lebendige Diskussion entsteht. Möglichst viele solche Diskussion wünscht sich Marisa für ihr Jahr in Frankreich, das gerade erst begonnen hat. Die Nachfrage der französischen Deutschlehrer nach ihr ist groß: „Ich bekomme viel mehr Anfragen als ich bedienen kann“, sagt Marisa Stretz.