Die Roma von Konik, Montenegro: Tränendrüse zieht nicht
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Irina BrüningIn Podgorica, Montenegro nähert sich ein französischer Journalist einem Flüchtlingslager, wo viele Roma aus dem Kosovo leben. Er glaubt, das perfekte Thema gefunden zu haben, Anklage und Mitleid mit dem Schicksal der armen Bewohner von Häusern, die der Guardian als "stinkende Müllhalde" bezeichnet, mischen zu können.
Alles verläuft nach Plan, bis er auf ehrgeizige junge Menschen trifft, künftige Meister des Hip-Hop und vor allem Herren über ihr Schicksal.
Das Thema meiner Untersuchung sollte alternative Bildung sein. Ich habe also vor meiner Abreise nach Podgorica einige Stunden auf Internetseiten zum Thema verbracht und nach einer genauen Definition gesucht, um nicht als Trottel dazustehen.
"Stinkende Müllhalde"
Aber Dijana Uljarevic, verantwortlich für die Programme des Forums MNE (Forum für Jugend und alternative Bildung), hat mir keine Zeit gelassen, mein theoretisches Wissen auszubreiten. Hier geht es um ganz konkrete Dinge und das ist auch gut so. Wir befinden uns im Bratstva i jedinstva 4, einem an einer breiten Straße gelegenen Gebäude in schlechtem Zustand. Simon Chang, der Fotograf, der mich begleitet, zögert ebenso lange wie ich, bevor er das Haus betritt. Dann öffnet sich die Tür und Dijana begrüßt uns in den leicht chaotischen Büroräumen voller Kinderspielzeug, Konzertplakaten und Computern. Warum sind wir gekommen, um über Roma zu berichten und nicht über die anderen Zielgruppen der NGO, zum Beispiel über Waisen? Das ist sicher der Einfluss von Konik, "dem größten Flüchtlingslager auf dem Balkan, von dessen Existenz außerhalb von Montenegro niemand etwas weiß", wie der englische Guardian berichtet. Mehr als 2000 Roma hausen dort in Häusern aus Blech und Holz, in denen oft Feuer ausbrechen. Und wenn es schneit, so wie heute, herrscht dort Kälte und es tropft durch das Dach. Das gibt doch Stoff für einen Artikel à la "die Flüchtlinge aus dem Kosovo leben auf einer stinkenden Müllhalde", passend zum Titel eines gewissen Guardian-Artikels. Super, außerdem ist der Sympathiewert jenes Volks in Frankreich drastisch gestiegen, seit unsere Regierung auf eine Politik der Vertreibung von Roma aus ihren Lagern setzt.
"Ich lehre sie, sich nicht zu schämen"
Ich musste also bloß noch hinfahren, Simon würde Fotos mit hoffnungsvoller Botschaft und trashigem Hintergrund machen, die denen des jungen montenegrinischen Fotografen Pavle Calasan ähneln wüden, die im Einkaufszentrum der Stadt ausgestellt werden. Aber gerade als wir aufbrechen wollten, ist Osman hereingekommen. Es kommt häufig vor, dass Ehemalige vorbeischauen: "Man ist sich bei einem Jugendprojekt der Erfolge gar nicht bewusst, die man erzielt. Erst wenn sie wiederkommen und uns erzählen, dass sie einen Job gefunden haben, wird einem klar, wie hilfreich das Projekt war", erzählt Dijana.
Osman Mustafaj ist ein junger Mann von dreißig Jahren mit Engelsgesicht und einem Lächeln, das Frauenherzen höher schlagen lässt. Er ist im Alter von 12 Jahren aus dem Kosovo nach Konik gekommen und hatte nie die Möglichkeit zur Rückkehr. Sein Zuhause ist hier. Er ist so sehr Teil von MNE geworden, dass er aktives Mitglied geworden ist und heute vorhat, seine eigene NGO zu gründen, UM RAE, das heißt "Ukljuciti mlade Romi Aškalije Egipćani" (Junge Roma, Aschkali und Ägypter einbeziehen). Es ist ihm ein Anliegen, auf Dinge aufmerksam zu machen und wenn man Dijana zuhört, versteht man, dass er in eine gute Schule gegangen ist. "Das Wichtigste ist der Dialog", sagt der Nachwuchssprecher von MNE. "Die internationale Gemeinschaft - die den größten Teil unserer Aktionen unterstützt, weil die montenegrinische Regierung meist durch Abwesenheit glänzt - liefert Lebensmittel und Hilfsgüter, aber dadurch können junge Menschen ihre Fähigkeiten noch nicht weiterentwickeln. Dafür sind wir da. Um den menschlichen Fähigkeiten eines jeden Gelegenheit zu geben, sich zu entfalten, ihren kommunikativen Kompetenzen, ihren Talenten usw."
Umgesetzt wird dies durch verschiedene Freizeitangebote und hier kommen Osman und die anderen Erzieher ins Spiel. Er erzählt bewegt vom ersten Karaokeabend, den er im Flüchtlingslager organisiert hat, vom ersten Fußballspiel und von den Kindern, die sich für Breakdance-Aufführungen in die Innenstadt aufgemacht haben: "Ich lehre sie, sich ihrer Identität nicht zu schämen. Ich selbst habe in ihrem Alter unter Diskriminierung gelitten...". Mehr erzählt er nicht, aber ich weiß bereits, dass mein Plan ins Wasser fällt.
Hip-Hop oder Banditentum
Es ist unmöglich, die Roma zu Opfern zu stilisieren und ihre beklagenswerte Situation zu schildern, obwohl hierfür alle Zutaten vorhanden sind: "Im Jahr 2003 hatten 61,3% der (Roma-)Bevölkerung keine Schulbildung genossen, 21,3% hatten die Grundschule nicht beendet, nur 9,2% hatten sie beendet (...) und nur 6 Roma waren im akademischen Jahr 2004/2005 an der Universität eingeschrieben, davon haben 4 das Studium abgebrochen", berichten Sofia Söderlund und Elin Wärnelid in einer Studie mit dem Titel "Hip-Hop und Konstruktion einer Gruppenidentität in einer stigmatisierten Umgebung". Nein, etwas an seiner Art, von den Kursen zu berichten, die er organisiert, um über AIDS aufzuklären - "die meisten hören diese Informationen zum ersten Mal" und an seiner Zufriedenheit, wenn er weiß, dass viele nach seinem Vortrag "einen Test machen, denn die Roma-Bevölkerung ist am stärksten vom Virus betroffen", verbietet mir, pessimistisch zu sein.
Das Potential der jungen Menschen, die die Angebote des Forums MNE wahrnehmen, flößt Respekt ein und manchmal sogar Bewunderung: An den Bürowänden hängen Zeitungsartikel über Barcic Record, eine der Hip-Hop-Gruppen aus Konik. Die Studie zur positiven Wirkung von Hip-Hop bei der Identitätskonstruktion der Roma aus Konik von Sofia Söderlund und Elin Wärnelid enthält dennoch Berichte über die große Armut in den Lagern 1 und 2, wo die Flüchtlingsfamilien auf engstem Raum leben. Die Probleme, von denen die Befragten sprechen, sind Kriminalität, Prostitution und Drogen. Ihre Wurzel ist stets dieselbe: der Mangel an Bildung. Im Jahr 2007 waren 82% aller Roma in Montenegro arbeitslos, Bildung ist zu einem Luxus geworden.
Die "normalen" Menschen auf der anderen Seite
Die jungen Breakdancer und Rapper, die im Bericht zitiert werden, sprechen von der Grenze zwischen "denen", den "normalen" Menschen aus dem Stadtzentrum, und "uns". Einige empfinden diesen Unterschied noch stärker, weil sie in Deutschland aufgewachsen sind, bevor sie hierher deportiert wurden, in die Peripherie. Dijana erzählt von einem Besuch der Bars des Zentrums mit jungen Roma und Nicht-Roma: "Sie haben die Roma nicht hereingelassen. Später haben sie sich dann entschuldigt". Ein Anfang.
Ich mache mich zum Lager 1 von Konik auf, wo ich mit Osman verabredet bin, aber die Frau, die mich mit ihrem Auto hinfährt, weiß nicht, wie man dort hinkommt. Sie hält an und fragt die Vorübergehenden: Niemand kennt das Lager. Am Ende finden wir es, aber ein unangenehmes Gefühl befällt mich und meine Fremdenführerin, als wir die Kinder in Sandalen im Schnee spielen sehen, so wie es mir auch schon der Fotograf Simon Chang erzählt hat. Wir trinken dann einen Kaffee in ihrem Büro. Es liegt nur ein paar Schritte vom Lager entfernt, aber sie ist dort nie zuvor vorbeigekommen.
Dieser Artikel ist Teil unseres Balkan-Reportageprojekts 2010-2011 Orient Express Reporter.
Illustrationen: ©Simon Chang; Einkaufszentrum ©Emmanuel Haddad
Translated from Les Roms de Konik, Monténégro : je voulais un papier larmoyant, mais...