Cédric Klapisch: "Meine Trilogie erzählt die Geschichte der Globalisierung"
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Katha KlossMüsste man einen wirklich europäischen Regisseur zitieren - dann wäre es sicherlich der Franzose Cédric Klapisch. Zum Filmstart des letzten Streiches in seiner Erasmus-Trilogie – Casse-tête chinois – plaudert der Regisseur über Zauberwürfel, das Älterwerden und wie sei es auch sonst: über Europa.
cafébabel: Ein casse-tête chinois auf Französisch, Titel Ihres neuen Films, was genau ist das?
Cédric Klapisch: Der Ausdruck ist ziemlich bizarr im Französischen [wortwörtlich: chinesisches Kopfzerbrechen, im übertragenen Sinne: Geduldsspiel]. Es handelt sich um so etwas wie ein Puzzle, eine Art Rätsel, das gelöst werden muss. Vielleicht ist es aber auch eine penible Sache, durch die man durch muss, so wie die Lösung des Zauberwürfels.
cafébabel: Den Titel ihres Films haben Sie ziemlich früh gefunden, gleich nach den Poupées Russes (Auberge espagnole - Wiedersehen in St. Petersburg, AdR). Was genau verbirgt sich hinter dem Konzept?
Cédric Klapisch: Es geht um den Fakt, dass das Leben sich mit den Jahren nicht wirklich einfacher gestaltet. Und ich spreche vom wahren Leben da draußen. Von dem Leben, das exponentiell komplexer und anspruchsvoller wird. Ich finde das aber nicht problematisch, das ist doch eher etwas Positives: Alles Lebendige entwickelt sich gut weiter, weil es komplexer wird. Ursprünglich hatte ich den Verdacht – und er hat sich als wahr herausgestellt – dass dieses Geduldsspiel im Leben von Xavier (Romain Duris; AdR) auch das ist, was ihn im Endeffekt zum Handeln zwingt, ihn zu neuen Lösungen treibt. Es ist ein Motor, der ihm eine erfülltes Leben möglich macht.
cafébabel: Trotzdem haben Sie am dritten Teil am längsten gebastelt. Warum?
Cédric Klapisch: Eigentlich kannte ich die Charaktere in- und auswendig. Also dachte ich, das sei ein Kinderspiel. Aber als ich den Faden der Geschichte dann mental ausgerollt hatte, wurde mir aber klar, dass einige Elemente enttäuschend offensichtlich sind. Deshalb musste ich weiter graben, vertiefen und Zeit verbringen, um die Zuschauer überraschen zu können. Und mich selbst natürlich auch.
cafébabel: Dieser dritte Teil wurde in Frankreich erwartet, hat das nicht mächtig Druck aufgebaut?
Cédric Klapisch: Ja. Und das hat gleichzeitig das Schreiben schwerer gemacht. Ich habe dieses Bedürfnis verspürt, nicht unbedingt besser aber zumindest nicht schlechter als beim letzten Mal zu sein. Und das war ziemlich lange sehr bängstigend für mich.
cafébabel: Gleich von Beginn des Films an hat man das Gefühl, die Protagonisten wieder dort abzuholen, wo man sie das letzte Mal zurückgelassen hat. Dabei liegen zehn Jahre zwischen Casse-tête chinois und den Poupées Russes. Wir haben Sie ihre Charaktere weiterentwickelt?
Cédric Klapisch: Es war notwendig, wieder zu bringen, was man von Xavier aus der Vergangenheit kannte. Und gleichzeitig musste er sich aber auch verändern und weiterentwickeln. Das war kompliziert für mich und für Romain (Duris). Er ist jetzt vierzig und kann nicht mehr so tollpatschig unterwegs sein, nicht mehr so unreif sein wie vorher. Ich wollte zeigen, wie er erwachsen geworden ist, wie er 'Mann' geworden ist.
cafébabel: Man hat aber trotzdem den Eindruck, dass Xavier immer noch ganz schön chaotisch ist, dass er ständig hinter irgend etwas her läuft.
Cédric Klapisch: Ich finde, er übernimmt mehr Verantwortung, aber er übernimmt sie nicht auf extrem konventionelle Art. Er könnte ja auch einfach in Paris bleiben, ohne seine Kinder. Doch er entscheidet sich dafür, ein Leben zu leben, das er so nicht unbedingt wollte. Natürlich behält er auch seine kindliche Seite, zum Beispiel, wenn er über das Älterwerden spricht. Mein eigener Vater, der den Film gesehen hat, hat mir gesagt: 'Was sind denn das für Leute, die gerade vierzig sind und glauben, sie seien alt?' Und ich finde, er hat recht: Wenn man vierzig ist, ist man nicht alt. Unsere Gesellschaft übt sich derart maßlos in Jugendwahn, dass man mit vierzig plötzlich das Gefühlt hat, das Leben sei nun vorbei. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Es ist ein anderes Leben, das da beginnt. Ich denke, der Film erzählt auch gerade davon, von dieser Art neuem Leben, das beginnt, wenn man in der Mitte angelangt ist und beginnt, erste Bilanzen zu ziehen.
cafébabel: Dieses neue Leben findet in Ihrem Dreiteiler schlussendlich außerhalb von Europa statt. Steht Europa nicht ganz schön alt da?
Cédric Klapisch: Europa ist ein totaler Wackelkandidat geworden. Besonders im Gegensatz zu dem Europa, das ich zu Zeiten von Auberge Espagnole [2001] gefilmt habe, wo es eine gewisse Hoffnung und Öffnung gab und wo man sich sagte - "Wir sind alle Brüder". Heute sind wir da wo ganz anders.
cafébabel: Was ist da passiert in den letzten zehn Jahren?
Cédric Klapisch: Es wurden Fehler gemacht. Schaut man sich die gegensätzlichen Positionen von Spaniern und Katalanen, von Wallonen und Flamen, von Griechen und Deutschen, von reichen und armen Ländern an, dann lautet das Motto heute eher 'jeder auf seinen eigenen Mist'. Auf jeden Fall war die Krise von 2008 eine ordentliche Bremse, veilleicht sogar ein wahrhaftiger Baustopp für die europäische Erweiterung. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass dieses Europa resistent ist. Vielleicht bin ich ein dummer Optimist, aber man kann auch eine gewisse Solidarität in Krisenzeiten beobachten. In diesem dritten Teil wollte ich aber auch gar nicht mehr unbedingt von Europa sprechen, sondern von der Globalisierung. Die Trilogie erzählt schlussendlich die Globalisierung, der wir seit 20 Jahren beiwohnen.
cafébabel: Xavier ist ein Repräsentant des Alten Kontinents, inwiefern gehen Europa oder die USA unterschiedlich an die Globalisierung heran?
Cédric Klapisch: Die Leute machen sich auf den Weg nach Kanada oder in die Staaten, Länder, die die Krise wahrscheinlich sogar heftiger erlebt haben als wir. Aber sie kamen irgendwie besser damit klar, das ist wirklich unglaublich! Dort gibt es einen gewissen Enthusiasmus, während wir in Europa die große Depression leben, besonders in Frankreich. Wir sind total deprimiert.
(Offizieller Trailer: Casse-tête chinois - mit deutschen Untertiteln)
cafébabel: Vor einem Jahr haben Sie eine Kolumne über Erasmus verfasst. Sehen Sie sich weiterhin als Botschafter des Austauschprogramms?
Cédric Klapisch: Auf jeden Fall, ich denke, das ist die beste Sache, die Europa je passiert ist. Man kann einfach nicht verneinen, dass Erasmus ein absoluter Erfolg ist. Ich habe mit Menschen gesprochen, die das Programm in Brüssel lanciert haben. Zehn Jahre lang haben sie versucht, Leuten, die einen Brain-Drain fürchteten, diese neue Idee zu verkaufen. Am Ende ist genau das Gegenteil eingetreten. Wir haben so etwas wie die Selbstbehauptung der europäischen Identität miterlebt.
cafébabel: Wir sind mit Ihren Filmen 'groß' geworden. Wie schaffen Sie es, den Zeitgeist der Generation Y immer wieder einzufangen?
Cédric Klapisch: Ich achte sehr auf die Sachen, die um mich herum geschehen. L’Auberge Espagnole hat das Leben einiger Menschen verändert, nur weil sie meinen Film gesehen haben. Darauf bin ich stolz.
Das Interview führten Katharina Kloss & Matthieu Amaré.
'Casse-tête chinois' von Cédric Klapisch, Deutscher Kinostart: 2. Januar 2014
Translated from Cédric Klapisch : « Ma trilogie raconte l’histoire de la mondialisation »