Bosnien: Im Schleudergang nach Europa
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Angesichts der Verfassungskrise in der EU scheint der Beitritt des Balkanstaats in weite Ferne gerückt. Doch eine europäische Perspektive ist entscheidend, um das Land dauerhaft zu stabilisieren.
Im Wohnzimmer von Neno und Duda irgendwo in Bosnien wird Wäsche gewaschen. Zwischen Sofa und Küchenzeile stapeln sich die fleckigen Hemden und Hosen. Die beiden sind Kriegsflüchtlinge, die wie viele andere zehn Jahre nach dem Kriegsende noch nicht in ihren Heimatort zurückgekehrt sind. Und wie viele planen sie nicht mehr ernsthaft zurückzukehren. Zumal Neno kürzlich eine viel versprechende Geschäftsidee hatte: Der „ethnisch korrekte“ Waschsalon.
Seitdem stehen drei Waschmaschinen an der Wohnzimmerwand – eine für jede der drei bosnischen Volksgruppen. Mukelefa, die Muslimin, wäscht in der grünen Maschine. Jelisaveta, bosnische Serbin, kippt Tag für Tag ihre Wäsche in die Waschmaschine, die in den serbischen Nationalfarben blau-rot-weiß angemalt ist. Und die bosnische Kroatin Gertruda schiebt dreckige Blusen und BHs in die – typisch kroatisch – rot-weiß-karierte Maschine. „Was für ein verrücktes Land“, murmelt kopfschüttelnd Fabian, der Ausländer, der seine Wäsche mal in diese, mal in jene Maschine steckt.
Jugoslawische Seifenoper
Der Waschsalon im Wohnzimmer von Neno und Duda ist eine Kulisse: Gertruda, Jelisaveta und Mukelefa waschen zur besten Sendezeit auf dem Sender „Alternativna Televizija“, kurz: „ATV“ in der Seifenoper „Praonica“ (Waschsalon). Drei Frauen, drei „Ethnien“, dreimal schmutzige Wäsche. „Die Menschen in Bosnien sind sich sehr ähnlich. Sie haben die gleichen Ängste und die gleichen Träume. Aber sie achten noch sehr auf ethnische Trennlinien“, erläutert Dragana Banjac, die Chef-Produzentin bei ATV die Idee hinter „Praonica“.
ATV, 1997 mithilfe ausländischer Spenden aufgebaut, hat sich inzwischen landesweit einen Namen gemacht und finanziert sich über Werbung weitgehend selbst. Und dass, obwohl – oder vielleicht gerade weil – der Sender versucht, objektiv zu berichten. „Wir haben keine Angst, die Probleme beim Namen zu nennen“, sagt Dragana Banjac, die mit kurzen Haaren und Hosenanzug durch die alte Fabrikhalle des Senders in Banja Luka wirbelt.
Perspektive EU
Probleme – davon gibt es in Bosnien-Herzegowina immer noch eine ganz Menge. Zwar beendete der Friedensvertrag von Dayton vor fast zehn Jahren den Krieg, aber er schuf einen Staat voller Widersprüche: Zwei Entitäten, die „Republika Srpska“ und die „Föderation BiH“ mit eigenen Verwaltungsapparaten und ungezählten Politikern. Und das Amt des „Hohen Repräsentanten“, der demokratisch legitimierte Politiker und Gesetze kippen kann, wenn sie anrüchig sind oder ihm so erscheinen. Im Lande grassiert eine wachsende Arbeitslosigkeit von schätzungsweise 40 Prozent und die wichtigsten Arbeitgeber sind nach wie vor die internationalen Organisationen. Trotzdem sind sie die Politiker über ideologische und ethnische Grenzen hinweg einig, das das Land bis 2009 der Europäischen Union beitreten kann.
In der EU ist man solchen Daten gegenüber sehr skeptisch. Eine wichtige Vorbedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wäre eine Polizeireform in Bosnien – und dagegen hat sich jüngst das Parlament der Republika Srpska ausgesprochen: Die 16 verschiedenen Polizeiverbände im Land bleiben bestehen. Und mit dem Nein der Franzosen und Holländern zum EU-Verfassungsvertrag scheinen Beitrittsverhandlungen mit dem Balkanstaat in weitere Ferne gerückt.
Schwarzes Loch am Rande Europas?
Wie wichtig eine europäische Perspektive für die Balkan-Staaten aber ist, darauf verweist die „International Commission on the Balkans“, ein hochrangiger Think-Tank aus Experten und Staatmännern. Eindringlich warnt sie vor der Entstehung eines „schwarzen Lochs am Rande Europas“. Zwar sei die Region aus den Schlagzeilen, aber sie berge nach wie vor großen politischen Sprengstoff. Die Menschen auf dem Balkan, so die Kommission in ihrem aktuellen Report (pdf), bräuchten dringend eine ermutigende Nachricht aus Europa und die Gewissheit, dass sie mit Reformen und Versöhnung der EU beitreten könnten – am besten schon 2014, also symbolisch genau 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs.
Gerade für die jungen Menschen ist diese Perspektive wichtig. „Wir leben hier mitten in Europa – und gehören doch nicht dazu“, beklagt sich der 24-jährige Michael, ein Medizinstudent aus Banja Luka. „Nicht mal bei Erasmus sind wir mit dabei.“