Zankapfel WTO
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Die Welthandelsorganisation WTO bemüht sich um die Liberalisierung des Welthandels. Doch seit mehreren Jahren wird sie durch den Konflikt zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten gelähmt.
Die Welthandelsorganisation WTO erblickte am 15. April 1994 das Licht der Welt. Sie ging aus dem GATT hervor, dem „Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommen“, das am 1. Januar 1948 in Kraft trat. Wie das GATT hat auch die WTO die Liberalisiserung des Welthandels durch den Abbau von Zollbeschränkungen zum Ziel. Die WTO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen und vereint derzeit 148 Staaten, zwei Drittel davon sind Entwicklungsländer. Das höchste Organ der WTO ist die Konferenz der Wirtschafts- und Handelsminister. Diese treffen sich mindestens alle zwei Jahre.
Die Agrarpolitik war schon immer ein zentrales Thema der Welthandelsorganisation. Bei Gründung der WTO wurde unter anderem vereinbart, dass bestehende Maßnahmen zum Schutz der Landwirtschaft in Zölle umgewandelt werden müssen und diese Schritt für Schritt abgebaut werden sollen. Doch dieses Ziel wird vor allem von der EU hartnäckig blockiert: Die Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU verschlingen zwei Drittel des gesamten EU-Budgets. Nur für ehemalige europäische Kolonien gibt es im Rahmen der Entwicklungspolitik spezielle Abkommen und Vergünstigungen bei der Einfuhr von Agrargütern in die EU. Doch bei der Liberalisierung des Handels mit Produkten aus der Landwirtschaft wird vor allem eine Gruppe benachteiligt: Die Entwicklungsländer.
Seattle 1999: Die Globalisierungskritiker machen mobil
Eigentlich sollte die Ministerkonferenz, die im November 1999 in Seattle stattfand, zur „Milleniumsrunde“ werden. Es sollte vor allem über Agrarpolitik und Dienstleistungen gesprochen werden. Die EU ging mit guten Vorsätzen in die Gespräche: Sie reichte einen Vorschlag ein, der unter anderem eine weitere Liberalisierung des Welthandels und die verstärkte Integration der Entwicklungsländer in die WTO vorsah. Doch die Verhandlungen scheiterten. Vor allem, weil die Entwicklungsländer weder über das Geld noch die Ressourcen verfügten, ihre Forderungen durchzusetzen, aber auch wegen mangelnder Unterstützung durch die USA. Die Weigerung der EU, die Subventionen für die Landwirtschaft abzubauen, machte die Sache noch komplizierter.
Doch Seattle blieb vor allem durch den „Battle of Seattle“ in Erinnerung. Nicht-Regierungsorganisationen und mindestens 30 000 Demonstranten demonstrierten massiv gegen die Liberalisierung des Welthandels: Die Anti-Globalisierungs-Bewegung war geboren. Schon vor der Ministerkonferenz hatten sich die Globalisierungskritiker trotz ihrer oft unterschiedlichen Standpunkte organisiert und die WTO als gemeinsamen Gegner ausgemacht. Sie kritisierten unter anderem die offensichtliche Vernachlässigung von Umweltschutz- und Arbeitsstandards und niedrige Löhne aufgrund fortschreitender Liberalisierung. Auch die Arbeitsweise der WTO ist den Globalisierungsgegnern ein Dorn im Auge. Viele von ihnen halten sie für einen exklusiven, undemokratischen Club.
Doha 2001: Eine Agenda für die Entwicklungsländer
Im Jahr 2001 wurde in Doha ein weiterer Versuch unternommen, die Verhandlungen aufzunehmen. Offiziell wurde vereinbart, den Belangen der Entwicklungsländer durch eine Fokussierung auf Entwicklungsthemen mehr Priorität einzuräumen und eine neue Verhandlungsrunde, die „Doha-Entwicklungsagenda“ ausgerufen. Doch daneben wollten die Industriestaaten vor allem ihre Themen durchdrücken: Investitionen, Wettbewerb und Handelserleichterungen. Diese sogenannten „Singapur-Themen“ wurden 1996 in das Programm der WTO aufgenommen. Die „Gruppe der 70“ mit Vertretern der Entwicklungsländer steht diesen „Singapur-Themen“ grundsätzlich ablehnend gegenüber. Sie befürchten Einschnitte in ihre Wirtschafts- und Handelspolitiken.
Auch ist strittig, wie der Abbau von Subventionen bei der Ausfuhr von Landwirtschaftsgütern in Zukunft von statten gehen soll. Die 17 Länder der „Cairns-Gruppe“, die mehr als 20 Prozent der weltweiten Landwirtschaftsproduktion erbringen, plädieren für ein Auslaufen der Agrarsubventionen in mehreren Phasen. Auf der anderen Seite steht die EU. Sie argumentiert, dass die besondere kulturelle Position, die die Landwirtschaft innerhalb der Industrie einnimmt, eine spezielle Behandlung erfordert. Doch für viele Entwicklungsländer ist das reiner Protektionismus.
Cancun 2003: Der Nord-Süd-Konflikt bricht offen aus
Die Konferenz in Cancun sollte im Jahr 2003 die festgefahrenen Verhandlungen weiterbringen. Wieder begleiteten Globalisierungsgegner die Konferenz, ihr Protest wurde von armen Bauern und Landarbeitern angeführt und gipfelt in dem Selbstmord eines südkoreanischen Bauern. Unter dem Jubel der WTO-Gegner wurde die Konferenz schließlich erfolglos abgebrochen. Viele Nicht-Regierungsorganisationen sahen darin einen Erfolg für die ärmeren Länder. Diese organisierten sich nun besser in Gruppen und wehrten sich gegen den Einfluss der reichen Staaten.
Das Scheitern von Cancun offenbart das Ausmaß des Nord-Süd-Konflikts. Beide Seiten werfen sich gegenseitig Blockade vor: Die USA und die EU beharren auf den Singapur-Themen, während die Entwicklungsländer hauptsächlich über die Doha-Entwicklungsagenda sprechen wollen.
Es wird sich zeigen, ob die Ministerkonferenz, die vom 13. bis zum 18. Dezember in Hong-Kong stattfindet, den Konflikt lösen kann.