Wie Integration an europäischen Unis funktionieren sollte
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Sophie Handl2019 habe ich ein Semester damit verbracht, an der "University of California" in Los Angeles Geschichte zu unterrichten. Die große Vielfalt von Kalifornien zeigt wie sehr sie an europäischen Hochschulen fehlt - nicht für die Quote, sondern fachlich: sprachliche Fähigkeiten, kulturelles Hintergrundwissen und ein weniger eurozentrischen Blickwinkel.
Zwischen August 2019 und Januar 2020 habe ich an der "University of California" in Los Angeles ein Semester Geschichte unterrichtet. Zurück in den Niederlanden wurde ich immer wieder von Freunden, Familie und Kollegen gefragt: "Wie war dein Aufenthalt?". Die Fragen hatten eindeutig die Intention mich zu einer Antwort wie "Meine Güte, Amerika ist schrecklich" oder "Es war wirklich großartig, ich möchte nie wieder nach Europa zurück!" zu bewegen. Diese eindeutigen Antworten hätten aber nicht wiedergespiegelt, wie ich wirklich über meinen Aufenthalt dachte. Der Unterschied zwischen einer niederländlischen Universität im Stadtzentrum und einem aufgeregten amerikanischen Campus war riesig, intellektuell und sozial. Ich habe während des Semesters reichlich Notizen gemacht. Die Eindrücke, die mir am nähesten gegangen und mir am längsten geblieben sind, sind die Lebensqualität und das akademisches Leben, aber vor Allem auch die Relevanz von Diversität.
Ich sehe mich als Teil der Gemeinschaft von Kindern mit Migrationshintergrung, die als Studierende erster Generation an einer europäischen Universität studiert haben. Als Studierende, die einer Minderheit angehören, sind wir mit besonderen Problemen konfrontiert, selbst in einem Nationalstaat wie den Niederlanden. Wir werden oft unterschätzt, sozial ausgegrenzt oder leiden unter verschiedenen Formen von (Mikro-)agression, Unterschätzung und intellektueller Geringschätzung. Ein irakisch-niederländischer Geschichtsstudent hat mir erzählt, dass ihm gesagt wurde, um Zugang zu historischen Quellen zu erhalten, seie es unerlässlich, dass er "relevante Sprachkenntnisse, wie Deutsch oder Französisch" beherrsche. Das mangelnde Interesse des Professors für seine fließenden Arabischkenntnisse ist ein vielsagendes Beispiel für dieses Problem. Wie man es auch drehen und wenden mag, die niederländischen Geistes- und Sozialwissenschaften sind eine sehr homogene und selten inkludierende Gruppierung, die es für Studierende und Personal mit Migrationshintergrund besonders schwer macht. Das hat zur Folge, dass sie sich nicht wohl fühlen, wenn sie niederländische Bildungseinrichtungen besuchen und dass sie sich verstellen um dazuzugehören.
Von der Exklusion zur Integration
In Kalifornien war alles ganz anders. Durch die vorurteilsfreie Superdiversität am Campus habe ich mich direkt wie zu Hause gefühlt. Die erste Frage, die mir Leute gestellt haben war nicht, woher ich "wirklich" komme (sehr häufig in den Niederlanden), sondern woran ich gerade forsche. Der Respekt, der mir entgegen gebracht wurde, basierte ausschließlich auf meinem Lebenslauf, und sogar weiße Amerikaner behandelten mich anders, als ich es jahrzehntelang von Daheim gewohnt war. Ich wurde zu Vorlesungen und Diskussionen im ganzen Land eingeladen, bei denen es vordergründig um meine Forschungen ging. Es hatte weniger Bedeutung ob meine Forschungen irgendeine Relevanz für das Nationalgefühl hatte, wie oft in Europa. Ich wurde nicht länger als kolonialer evolué behandelt, der den gleichen Weg geht wie alle anderen, aber dessen Hautfarbe und außergewöhnlicher Name immer an seine Fremdheit erinnert. Die meisten meiner SchülerInnen hatte keine Ahnung, wie sie in europäischen Nationalstaaten behandelt würden und das war erfrischend. Die Meisten waren fleißige, ehrgeizige Studierende, mit einem Migrationshintergrund der ersten oder zweiten Generation, ihre Eltern kamen aus El Salvador, Sri Lanka, Mexiko, Nigeria, Indien, Laos, etc.
“Warum steckt die niederländische Regierung weiterhin Kinder mit Migrationshintergrung in eine Schublade? Ist man nicht einfach niederländisch?”
An der UCLA habe ich zwei Kurse unterrichtet: einen über die Geschichte von Genoziden und den anderen über die Geschichte von Migration in den Niederlanden. In Zweiterem habe ich auch meine Familiengeschichte von Arbeitsmigranten, die aus der Osttürkei nach Deutschland, und in den 1960ern weiter in die Niederlande migriert sind, behandelt. Die Geschichte dieser Einwanderer hat wirklich das Interesse der Studierenden geweckt. Manche waren positiv überrascht von den Möglichkeiten, progressiven Policies und den sozialen Vorteilen, aber andere lachten auch über den niederländischen Rassismus. Ein Student, dessen Familie aus Michoacan stammt, sagte, er könnte sich gut in mich hineinversetzen, weil auch seine Familie 3000 Kilometer weit weg gezogen ist, um in den USA Arbeit zu finden. Seine Augen leuchteten auf, als ich ihm sagte, dass ich nach acht Jahren Aufenthalt niederländischer Staatsbürger wurde: "Heißt das, dass Ihre Familie nach einer gewissen Zeit automatisch die Staatsbürgerschaft gewährt wurde?". "Ja", antwortete ich stoisch, "und ab diesem Tag hatten wir auch die sozialen Vorteile". Es hat ihn umgehauen, als ich ihm von den jährlichen Studiengebühren erzählte. Er drehte sich zu seinem Freund und seufzte:" Kumpel, wir sind ins falsche Land gezogen". Eine andere Studentin, dessen Familie aus Sri Lanka kam, sah den jahrzehntelangen Gebrauch des Beinamen "allochtoon", niederländisch für Migrantenkinder, kritisch. “Warum steckt die niederländische Regierung weiterhin Kinder mit Migrationshintergrung in eine Schublade? Ist man nicht einfach niederländisch?"
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Die Akzeptanz von Kaliforniern hat mir Antrieb gegeben. Am Campus konnte man viele verschiedene Sprachen hören und man erlebte, wie die Diversität geschätzt wird. Einmal war der Raum, in dem ich meinen Montagskurs unterrichtete, verschlossen. Ich hatte keine amerikanische Telefonnummer, also hat einer meiner Studenten - nennen wir ihn Manuel - die Campusverwaltung angerufen und prompt kam eine Frau mit dem passenden Schlüssel vorbei. Sie hatte Probleme mit dem Schloss, aber Manuel wies sie auf Spanisch an, zu einer zweiten Tür zu gehen, die sie durch Rütteln öffnen konnte. Manuel hat den Kurs gerettet. Er schämte sich absolut nicht, seine Muttersprache am Campus zu sprechen, um das Personal zu unterstützen. Das war befreiend.
In den Niederlanden meiden Studierende und Personal mit Migrationshintergrund die kopftuchtragenden Reinigungskräfte, damit die niederländische Gesellschaft sie ja nicht mit der niedrigen sozialen Klasse assoziiert werden. Kopftuchtragende Studierende leiden unter vielen negativen Stereotypen, sie werden unterschätzt und oft auch behindert. Das schlimmste Beispiel, von dem ich gehört habe, ist, dass eine kopftuchtragende Studierende, nervös vor ihrem ersten Kurs an der juristischen Fakultät ein paar Minuten zu spät zur Vorlesung kam. Der Professor, ein älterer, weißer Niederländer, sah sie, und sagt vor 200 Studenten: "Danke, aber dieser Raum ist schon gereinigt worden."
Die Bedeutung unserer Geschichte
In der nächsten Woche habe ich den "Völkermord in Ruanda" unterrichtet und die Klasse gefragt: "Wie wussten die Hutu wer Tutsi war und wer nicht?". In meinen niederländischen Klassen bekomme ich generell ahnungslose Blicke und halbrichtige Antworten. In Los Angeles hingegen wusste eine fleißige Studentin gleich Bescheid:" Die Einheimischen wussten voneinander wer welcher Gruppe angehörte". Als ich sie fragte woher sie das wusste, erzählte sie von ihrer Familiengeschichte, von den Sikh Massakern in Indien, und sie übertrug dieses Wissen auf Ruanda. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, warum Vielfalt und Inklusion in einem Universitätskurs so wichtig ist: aus fachlichen Gründen, nicht für die Quote.
Alle Disporagemeinschaften in Los Angeles haben kollektive Erfahrungen gemacht, die viel über ihr politisches und historisches Weltbild aussagen. Dieses kulturelle Hintergrundwissen ist für die Weiterentwicklung der Wissenschaft essenziell. Diese multidisziplinäre Sichtweisen machen das Zusammenspiel für intellektuellen Austausch möglich. Genau hier können sich die Niederlanden verbessern: viele Flüchtlings- und Einwanderergemeinschaften haben Interesse an Politik und Geschichte, trotzdem sind sie in diesen akademischen Bereichen massiv unterrepräsentiert.
Meine wichtigsten Gespräche hatte ich mit sogennanten "Dreamern", Kindern, die in die USA ohne gültige Dokumente eingereist sind. Ich erwähnte einmal, dass der amerikanischen Supreme Court das DACA program (Deferred Action for Childhood Arrivals) untersucht hat, dass vielleicht 800000 Dreamern in eine unsichere Zukunft blicken lässt. Für die erste Reihe in meinem Kurs war das sichtbar unangenehm, also bin ich schnell zu einem anderen Thema übergegangen. Zwei Stunden später, während meiner Sprechstunde, ist einer dieser Studierenden in mein Büro gekommen und hat zögernd zugegeben, dass sie ein Dreamer sei, und sehr ängstlich auf Trumps Anti-Einwanderungs-Rhetorik blickt. Eine Stunde später, kam ein weiterer Student zu mir, der erzählte, dass er ein Kleinkind war als seine Familie während des Bürgerkriegs aus El Salvador geflohen war. Aber warum war das ein Tabu, fragte ich sie. Und warum ist das immer noch mit einem Stigma behaftet?
Während dem Mittagessen erklärte er mit, dass vielen Dreamer in der Leistungsgesellschaft in den USA Erfolgschancen verwährt werden würden. Ja, sie mögen in Universitäten aufgenommen werden, aber das heißt nicht, dass sie sozial inkludiert werden. Ihr ganzes Leben haben sie Steuern gezahlt und für geringste Bezahlung gearbeitet, aber sie werden dennoch von gewissen Positionen und Berufen ausgeschlossen. Sie verspüren eine Abneigung geben die privilegierten Jungen aus Studentenverbindungen, die fast nichts lernen, aber deren Eltern ihnen ein Erbe hinterlassen werden, das ihre Zukunft sichert. Sie haben vielleicht in den Vororten der amerikanischen Gesellschaft gelebt, aber die Universität hat sie immer weiter und höher gebracht - ein Gefühl, das ich nur allzu gut nachvollziehen kann. Was alle diese Studierenden gemein hatten, war das tiefe Verlangen nach Fortschritt, Gleichbehandlung und höherer Bildung. Und das ist schließelich das Ziel einer Universität. Ihre Inklusion fördert ihre Stärken und Leidenschaften für das Fach, das sie studieren. Vollständige Inklusion auf akademischem Niveau ist einer der ersten Schritte, um sie vollständig in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren
In Europa sind Inklusivität und Vielfalt noch ein großes Problem. Manche Hochschulen verstehen unter Vielfalt nur mehr Frauen einzustellen oder internationale Studierende anzulocken. Manche Universitäten in Städten mit superdiverser Bevölkerung missachten die Einwanderungsgemeinschaften. Akademische Felder wie Geschichte, Politikwissenschaften, Soziologie oder Anthropologie engagieren sich nicht aktiv und werben keine Menschen aus diesen Milieus an - und verpassen damit eine große Chance. Das kalifornische Beispiel zeigt uns viele Beispiele auf, was eine superdiverse Universität für Vorteile bringt.
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Translated from How integration should work in European campuses