Ungarn: Gott nach dem Kommunismus
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Mehr als 150 registrierte Kirchen und zahllose Missionsgemeinschaften gibt es zur Zeit in Ungarn, darunter zweifelhafte Fundamentalisten wie „Jugend mit einer Mission“.
17 Uhr an einem Werktag in Budapest: Cooler Beat dröht aus einer verdreckten Unterführung vor dem Westbahnhof. Aus dem elektronischen Verstärker erklingt ein lobendes Lied über Gott und seine allmächtige Liebe.
Die Band gehört zu der fundamentalistischen christlichen Organisation „Jugend mit einer Mission“ („Youth with a Mission“), die in den 60er Jahren in Kalifornien gegründet wurde und seit der Wende auch in Ungarn tätig ist. Es ist eine der unzähligen amerikanischen Missiongemeinschaften, die seit dem Ende des Kommunismus in Ungarn operieren. Sie fühlen sich wohl in Ungarn, dank der liberalen gesetzlichen Lage. Es sei nicht schwer, hier Kirchenstatus zu erlangen, sagt Judit Németh, Beraterin in der Abteilung für Kirchenfragen im ungarischen Kultusministerium sagt: "Die Missionen, die nach der Wende hierher kamen, genossen große Freiheit. So dachten sie, warum gründen wir nicht gleich eine Kirche?“. In Ungarn reichen dafür hundert Mitglieder, eine Organisation und eine Lehre. So gibt es heute 150 Kirchen und eine unüberschaubare Zahl Missionen in Ungarn.
Alles für Gott
„Jugend mit einer Mission“ sei keine Kirche, erzählt Martin Axelsson von der Band vor dem Westbahnhof. Martin ist 25, kommt aus Schweden und ist seit fast vier Jahren in der Mission. Damals hat er den für Mitglieder obligatorischen kostenpflichtigen Workshop absolviert. Mit noch ein paar Jugendlichen hat er drei Monate lang in einem gemieteten Haus gewohnt und jeden Vormittag den Unterricht über Gott und die Bibel besucht. Nachmittags haben sie gekocht, geputzt und den Garten gepflegt. Abends haben die „Schüler“ für Länder wie China und Russland, die „unter dämonischem Einfluss stehen“, gebetet. „Spiritual Mapping“, eine Aufteilung der Welt in „gut“ und „böse“, ist typisch für „Jugend mit einer Mission“.
Nach den drei Monaten Schule mussten die Neulinge ihre Kenntnisse in einer Art „Auslandspraktikum“ umsetzen. Martin hat seins in Indien verbracht. Danach hat er in Schweden gearbeitet und gespart, um seinen Aufenthalt in der Mission in England zu finanzieren. Die Missionäre bekommen kein Gehalt, sie finanzieren sich über Ersparnisse und größtenteils über Sponsoren. Jeder muss sich seinen eigenen Unterstützerkreis aufbauen. Auch Steve Johnson, der Boss der Bewegung in Ungarn, unterhält „durch Spenden“ seine siebenköpfige Familie.
Als noch der Dollar sehr stark gewesen ist, hat „Jugend mit einer Mission“ in Budapest ein Haus in der Paulay-Ede-Straße gekauft. Dort befindet sich heute der Coffee Shop der Organisation, wo kostenlose Englisch-Kurse, Konzerte und Lesungen stattfinden.
Der Wunder-Balázs
20 Uhr im der Coffee Shop der Missionsbewegung. Es gibt Kaffee, Fanta, Cola, Wasser und Tee. Rund vierzig Jugendliche warten auf den Auftritt des „Wunder-Balázs“. Er hat Krebs gehabt, heute sei er allerdings kerngesund. Balázs spielt virtuos Gitarre. Er improvisiert, danach erzählt er seine Geschichte. Seine Augen leuchten, die Stirn ist verschwitzt. Er lächelt breit, auch wenn er über seine Qualen erzählt. Früher sei er kein guter Christ gewesen, er habe nur an seine Karriere gedacht. Dann hat man bei ihm Leberkrebs entdeckt. Er wurde operiert, hat 25 kg abgenommen, seine Haare sind ausgefallen. „Warum lebe ich eigentlich?“, hat er gedacht, und Trost in der Bibel gesucht. „Gott, nimm mich zu dir, hast du vielleicht ein Gitarrenzimmer für mich?“, habe er Gott in innigen Gespräche angerufen. Und dann ist das Wunder geschehen. Er ist heute gesund, und seine vom Krebs zerfressene Leber sei wieder heil. Die Krankenschwestern haben ihn den „Wunder-Balázs“ genannt.
Wundersame Heilungen sind ein wichtiger Bestandteil der fundamentalistischen Bibelauslegung durch „Jugend mit einer Mission“. Dazu gehört auch der kompromisslose Glaube, dass Jesus „der einzige richtige Weg“ ist. So wird Martin Axelsson nervös, wenn die Frage fällt, wie die Gemeinschaft zu anderen Religionen steht. Er nippt alle fünf Sekunden an der leeren Kaffeetasse, und erzählt aufgewühlt: „Es gibt nur den einen Weg. Der Islam ist das Leben des Feindes.“ Aber Jesus liebe alle, „sogar Ossama Bin-Laden“.
Der Artikel wurde am 27. April 2005 im Pester Lloyd veröffentlicht.