Polen: Das schlimmste, was uns passieren konnte
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Leonie MüßigDie polnische Regierung schränkt zunehmend die Befugnisse des Verfassungsgerichts und der Medien ein.
In einer globalisierten Mediengesellschaft bleibt nicht immer genügend Raum für die Berichterstattung aller Länder. Wenn Donald Trump in den USA beschließen würde, die Befugnisse der Richter des Verfassungsgerichts einzuschränken (welche die Achtung der demokratischen Institutionen sicherstellen) und stattdessen Richter einsetzen würde, die seiner Weltanschauung entspächen, würde die ganze Welt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Zeitungen weltweit hätten die Nachricht auf ihren Titelseiten. Von Ost nach West würden Expertenstimmen gegen die Maßnahme und den Präsidenten laut werden. In Polen ist dieser Fall eingetreten. Maßnahmen zur Einschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts waren jedoch auf kaum einem europäischen Pressetitel. Die Mehrheit der europäischen Staatsbürger tappt im Dunkeln, während Polens aktuelle Regierung ihren Machtapparat stetig ausbaut.
Jakub Wawrzonkowski ist 25 Jahre alt und hat seinen Abschluss an der Universität von Gdansk gemacht. Seit einigen Monaten lebt er im spanischen Sevilla. Jakub meint, der autoritäre Staat und antidemokratische Gesetze stünden ganz weit oben auf der politischen Agenda der Partei von Premierministerin Beata Szydło, deren Präsident der ehemalige polnische Premierminister Jaroslaw Kaczyński ist. „Ich denke, dass die absolute Mehrheit der PiS (Recht und Gerechtigkeit, AdR) das schlimmste ist, was Polen passieren konnte“, sagt er weiter. Für den jungen Polen erklärt sich diese massive konservative Wählerschaft in Polen aus der historisch gewachsenen Beziehung zwischen der Partei und der katholischen Kirche und außerdem aus einem demografischen Motiv heraus - die polnische Bevölkerung altert.
Kurs auf die Mittelklasse
Ist die Partei von Szydło seit 2001 stetig gewachsen, dann höchstwahrscheinlich, weil sie auch bei der Mittelklasse gut ankommt. Diese stimmte historisch eher für den Kandidaten der sozialliberalen Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform), der aktuell den europäischen Rat präsidiert. Sein Name? Donald Tusk. Grund für den Zulauf für die Konservativen der PiS war unter anderem die Aufstockung für das polnische Familienbudget im Rahmen des Programms 500+, das jeder polnischen Familie ein Kindergeld von 500 Zloty (115 Euro) pro Kind sichert. Diese Art von Maßnahmen hat viele Menschen im Land überzeugt. Die radikale Ideologie der Partei scheint dabei bei vielen zunächst nebensächlich. Das Ergebnis ist bekannt: ein enormer Vorsprung für die PiS-Partei bei den Parlamentswahlen 2015.
Bereits kurz nachdem die konservative Partei die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, brachten sie den ersten Gesetzesvorschlag in diese Richtung auf den Weg. Er weicht die Gewaltenteilung auf und trifft damit auch das Verfassungsgericht. Mit der Reform wird der Paragraf, der den Hinweis zur Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts von der politischen Macht enthält, gestrichen. In der Praxis würde das bedeuten, dass die Richter weniger Befugnisse haben, ihr Wahlmodus geändert und somit die Kontrollfunktion des Organs in Frage gestellt wäre.
Laut der aktuellen Regierung sei diese Maßnahme die Konsequenz der Nominierung gewisser Richter in der vorausgegangenen Legislaturperiode. Um die Geschichte kurz anzureißen, fünf Richter waren von der Vorgängerregierung kurz vor den Wahlen der Kaczynski-Partei berufen worden. Laut Verfassungsgericht seien zwei von ihnen Fehlbesetzungen gewesen. Szydlos Team entscheidet also kurzerhand, sie aus dem Amt zu nehmen und sie mit fünf neuen, selbst erwählten und somit besser kontrollierbaren Richtern zu ersetzen.
Und das ist noch nicht alles. Nur einen Monat nach der Reform des Verfassungsgerichts im Dezember 2015, machte sich die Regierung auch an die Unabhängigkeit der Medien. Die Medienreform zielte auf die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten ab, die neuerdings als 'Verbände der nationalen Kultur' gesehen werden. Sie wurden dem Ministerium für Staatsvermögen unterstellt, das nun die Vorstände der Öffentlich-Rechtlichen bestimmen kann. Damit verschwindet die Kontrollfunktion, die bisher der Rundfunkrat ausgeübt hatte. Staatliche polnische Fernseh- und Radiosender sowie die Nachrichtenagentur PAP unterstehen nun der Regierungspartei.
Für Jakub Wawrzonkowski spaltet die PiS-Regierung die polnische Bevölkerung und werfe ein Bild auf das Land, das realitätsfremd ist. „Kaczynski selbst hat zwei Lager geschaffen und behauptet, dass das Gegnerlager der Feind sei. Ich persönlich befinde mich in genau diesem Lager und bin sehr stolz darauf“, sagt er kategorisch aus dem entfernten Spanien.
Die Europäische Kommission hat sich über die Entwicklung in Polen bereits besorgt gezeigt und sogar das Verfahren zum Schutz des Rechtsstaats in Europa eingeleitet, das 2014 verabschiedet worden war. Dafür hat die Kommission verschiedene Berichte und Studien erstellt, um die Situation im Land zu untersuchen. Außerdem hat sie eine Reihe Empfehlungen an die Regierung ausgesprochen, damit diese ihr Handeln anpasst. Die Reaktion war knallhart: Polen ignorierte einfach die EU Institution, die über die Einhaltung der Verträge wacht. In denen ist unter anderem festgeschrieben, dass alle Mitgliedsstaaten den Rechtsstaat achten.
Noch nie dagewesen
Wenn sich nichts ändert, kann die EU-Kommission Artikel 7 der EU-Verträge anwenden - was bisher noch nie passiert ist. Damit würden eine Reihe von Sanktionen auf Polen zukommen, die in letzter Instanz den Verlust des Wahlrechts im Rat der Europäischen Union zur Folge hätten. Das wäre ein Präzedenzfall für die Bestrafung anderer europäischer Regierungen mit autoritären Entwicklungen, wie zum Beispiel Ungarn. Zudem würde es klar machen, dass es nicht reicht, die Defizit- und Schuldengrenze einzuhalten, um Mitglied der EU zu sein.
Jakub Wawrzonkowski bleibt kategorisch: „Ich finde, die EU sollte den Artikel 7 einzetzen und Polen Sanktionen androhen, das ist die einzige Möglichkeit, um das Verhalten der polnischen Regierung radikal zu kritisieren.“ Er fordert seine polnischen Mitbürger auf, für Donald Tusk zu stimmen, „sie können stolz auf ihn sein, denn er ist derjenige, der nicht versucht, sein Land aus der EU herauszukatapultieren.“ Zum ersten Mal 2014 an die Spitze des Europäischen Rates gewählt, wurde der 'Präsident von Europa' erneut für ein zweieinhalb Jahre langes Mandat bestätigt. Nur Polen hatte gegen seine erneute Nominierung gestimmt. Ein noch nie dagewesener Fall. In Bezug auf die Zukunft seines Landes, hebt Jakub weiter hervor, dass Polen „eine neue Regierung braucht, die die Scherben der PiS-Regierung aufliest und die Meinung der anderen Mitgliedstaaten in Bezug auf unser Land ändert.“ Nichts weiter als das.
Doch selbst wenn Polen Sanktionen auferlegt bekäme und seinen Ruf aufpolieren könnte, wären wir vielleicht gerade damit beschäftigt, den neuesten Tweet des anderen Donald zu lesen.
Translated from Polonia y la silenciosa deriva del Estado de Derecho