Pegida: Warum gerade Dresden? (Teil 2)
Published on
Pegida hält nicht nur die Stadt in Sachsen in Atem: Beobachtungen zu Staat, Zivilgesellschaft und politischer Kultur in Dresden.
Im Schatten des Leuchtturms
Zwischen den Menschen vor Ort und der „großen Politik“ hat sich mittlerweile ein tiefer Graben aufgetan. In der regionalen Medienöffentlichkeit fand bislang kein offener, konfliktiver Diskurs über die Politik in Deutschland und der Welt statt, die Diskussionen sind begrenzt auf die fast dichotomisch getrennten Öffentlichkeiten. Bei vielen Debatten mag dies nicht weiter auffallen, liest doch in Berlin kaum einer eine ostdeutsche Regionalzeitung, hatten doch die in Ostdeutschland arbeitenden Korrespondenten der nationalen Medien in der Vergangenheit kein besonderes Standing.
Trotzdem ist der aktuelle Konflikt nicht der erste, bei dem die Tiefe des Grabens deutlich wird: Nach den Anschlägen des 11. September 2001 tat sich dieser Konflikt auf. Während das offizielle Sachsen der Linie des Bundeskanzlers von der „uneingeschränkten Solidarität“ folgte, wurden Lehrkräfte, die sich davon abweichend im Schulunterricht äußerten und denunziert worden waren, disziplinarisch gemaßregelt. Das offene Aussprechen von Dissens und das diskursive Austragen unterschiedlicher politischer Bewertungen, Grundvoraussetzungen einer offenen demokratischen Gesellschaft, konnten nicht zur Geltung kommen.
Bräsigkeit
Es gibt diesen alten Spruch über die drei sächsischen Metropolen: In Chemnitz wird produziert, in Leipzig gehandelt, in Dresden konsumiert. Dresden hat in seiner Geschichte als Residenz- und Garnisonsstadt immer ein besonderes Verhältnis zu Staat und Autorität gehabt: Alles Gute kommt vom Fürsten, vom Staat. Eine dem Staat, den Autoritäten gegenüber distanzierte oder kritische Haltung blieb in der Residenzstadt stets im Hintergrund. So kam es immer wieder vor, dass kritische, innovative Geister in Dresden zusammenfinden, dort aber auf Grund der Bräsigkeit der städtischen Gesellschaft kaum zur Entfaltung kamen und kommen – das berühmteste Beispiel ist vielleicht die expressionistische Künstlergruppe „Brücke“, die ob mangelnder Resonanz und Unterstützung bald die Stadt verließ. Weder die Stadt Dresden noch die Universität – die jungen Künstler waren eigentlich Architekturstudenten an der damaligen TH – pflegen dieses wunderbare Erbe der Kreativität und Innovation.
Was Beobachter seit langem fasziniert, ist die Tatsache, dass Dresden stets eine um bis zu 10 Prozent höhere Wahlbeteiligung hat als Leipzig, demgegenüber die Leipziger schneller auf die Straße gehen – das war 1989 so, aber auch als es um die Abwehr von Neonazi-Demonstrationen ging. Da „nimmt Leipzig Platz“ (so das Motto der Leipziger) und Neonazis mussten nach Dresden ziehen, wo sie viel zu lange ungestört von der Bürgerschaft der Stadt durch die Straßen ziehen konnten. Zweifellos ist Dresden einer der Leuchttürme Ostdeutschlands in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Tourismus, ist Geburtenhauptstadt in Deutschland, aber ergreift diese positive Entwicklung die ganze Stadt, die ganze Region? Nein.
Sachsen hatte nach der Wende bewusst auf das Leuchtturmkonzept gesetzt. Mit der Folge, dass Dresden in einigen Bereichen zwar boomt und die Stadtbevölkerung rasant wächst, die Peripherie jenseits des Speckgürtels aber immer mehr austrocknet. Die Kinder, die in Dresden mehr geboren werden, sind ganz überwiegend diejenigen, die auf dem Lande fehlen. Dies alles hat die verrückte Folge, dass in der Stadt die lange Zeit erschwinglichen Mieten steigen, Schulen und Kindergärten aus dem Boden gestampft werden müssen, während auf dem Lande eine Schule nach der anderen schließt und der Immobilienmarkt dort völlig zusammenbricht. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hatte eben auch ihre Schattenseiten, die im Jubel über die Dresdner Erfolge unbeachtet bleiben.
Dresden als Opfer
Nicht wenige PEGIDA-Figuren kommen aus dem Umfeld der Fans der SG Dynamo Dresden, wo es immer noch eine offen gewaltbereite und ausländerfeindliche Szene gibt. Jegliche Strafe, die Dynamo Dresden für Verfehlungen gewaltbereiter Fans hinnehmen muss, wird von Fans mit immer wiederkehrenden Rufen von der „Fußballmafia DFB“ quittiert: Dresden als Opfer von Presse und Verbänden.
Als die UNESCO 2004 dem Dresdner Elbtal den Titel „Weltkulturerbe“ verlieh, war die Selbstzufriedenheit groß; dass man mit dem Titel auch Verpflichtungen übernommen hatte, wurde von vielen allzu gerne übersehen. Als das Welterbe-Komitee der UNESCO nur fünf Jahre später den Titel auf Grund des Baus der überdimensionierten Waldschlösschenbrücke wieder entzog, wurde es auf üble Weise beschimpft. Dabei hatte nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung, den Bau der Brücke nicht auf juristischem Wege zu stoppen, auf diese mögliche Konsequenz hingewiesen. Erneut schienen sich die dunklen Mächte gegen Dresden verschworen zu haben.
Der „Ursprung“ des Opfermythos Dresden liegt freilich im Missbrauch der Erinnerung an den 13. Februar 1945, dem Tag der Bombardierung Dresdens, erst durch die Nazis, dann durch den SED-Staat. Die hemmungslose Übertreibung der Opferzahlen in der Propaganda sollte das „Opfer Dresden“ über die teils noch schlimmere Zerstörung vieler anderer Städte Europas, erst durch deutsche Bomben, dann auch alliierte, stellen. Neonazis aus ganz Europa instrumentalisierten diesen Opfermythos für ihre eigenen Zwecke; Bürger und Politik Dresdens taten sich lange, viel zu lange, schwer, dieser Instrumentalisierung entgegen zu treten. Die von NS- und dann SED-Propaganda betonte Dresdner Opferrolle ermöglichte es, einer Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte Dresdens aus dem Weg zu gehen, was dann bis heute zum großen Teil auch auf die Dresdner DDR-Geschichte zutrifft. Vor politischer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Gegenwart auszuweichen – dies entspricht genau dem Mantra des „Opfers“ – d.h. das Böse sind immer die anderen. Nun, mit den berechtigten Vorwürfen aus ganz Deutschland und darüber hinaus hinsichtlich Dresdens mindestens ambivalenter Haltung, sehen sich viele erneut in der Opferrolle bestätigt – ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.
Dieser Artikel wurde dank einer Creative-Commons-Lizenz von Dietrich Herrmann / Heinrich-Böll-Stiftung übernommen.