PEGIDA oder die Banalität des Bösen
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Carolin VorderstemannWährend immer mehr Menschen aus dem Ausland versuchen, nach Deutschland zu gelangen, um sich dort ein neues Leben aufzubauen, nimmt in der deutschen Politik eine neue konservative, reaktionäre und einwanderungsfeindliche Kraft Gestalt an. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ verlieren zwar an Zulauf, doch der Initiator Lutz Bachmann will die Bewegung wiederbeleben.
Maltrim sieht müde aus. Als er in den Bus von Mailand nach München steigt, sind wir gerade in Lindau am Bodensee, an der Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland: Er hat eine schwarze Tasche in der Hand und ein blau-kariertes Hemd an. Rein zufällig setzt er sich neben mich. Nach wenigen Minuten spricht er mich in gebrochenem Deutsch an. Er fragt mich, wann wir in München ankommen und ob es von dort Linienbusse nach Berlin gibt, die noch am gleichen Tag abfahren. Ich erkläre ihm, mehr mit Gesten als mit Worten, dass zwei Stunden nach unserer Ankunft ein Bus von München abfährt. Er dankt mir, reicht mir die Hand und stellt sich vor. Aus seiner Hemdtasche zieht er einen grünen Zettel. Es ist seine Aufenthaltsgestattung, die ihm von den Behörden als Bescheinigung für seinen Asylantrag ausgestellt wurde.
Maltrim ist 32 Jahre alt, Albaner und seine Aufenthaltserlaubnis läuft im November 2015 aus. Erst dann wird er wissen, wo er Weihnachten verbringen wird. Er erzählt mir, dass er am vorigen Tag in Berlin losgefahren ist, um mit dem Bus nach Mailand zu kommen. An der Grenze hatte ihn die Schweizer Polizei jedoch aussteigen lassen und zurück nach Lindau gebracht, wo er die Nacht verbracht hat, um den ersten Bus zurück nach Berlin zu nehmen. Aus der anderen Tasche zieht er ein Bündel Geldscheine. Er erklärt mir, dass der Busfahrer der Gleiche vom Vortag ist und dass er ihn heute nicht einsteigen lassen wollte, es sei denn… Maltrim nimmt einen Fünfzig-Euro-Schein, streicht in glatt, als ob es Schokoladenpapier wäre und mit einer Grimasse zwischen traurig und wütend flüstert er: „No problem“. Der Zeigefinger der anderen Hand tippt gegen die Stirn, wie um zu sagen, dass das doch verrückt sei. Als ich ihn frage, warum er nach Deutschland gekommen ist, sagt er, dass es in Albanien nichts zu tun gibt, während hier alles funktioniert.
Sag niemals „Asylrecht”
„Peggy" ist die Koseform für PEGIDA: Für die Einen eine rassistische Bewegung, die von Neonazis durchdrungen ist, für die anderen eine einfache und identitätsstiftende rechte Initiative. Seit sie im Herbst 2014 von Lutz Bachmann in Dresden ins Leben gerufen wurde, organisiert die Vereinigung jeden Montag sogenannte Abendspaziergänge in vielen deutschen Städten.
Wenn es nach diesen „europäischen Patrioten” ginge, hätten Menschen wie Maltrim kein Recht auf Asyl, da sie Wirtschaftsflüchtlinge sind. Folglich sollten sie auch sofort wieder abgeschoben werden. Menschen wie Maltrim aufzunehmen, würde eine zu große Belastung für das deutsche Sozialsystem bedeuten. Genau genommen denken aber nicht nur die PEGIDA-Anhänger so, sondern auch die CSU und die AfD, die seit 2014 im Europaparlament sitzt und die sich mit der neuen Vorsitzenden Frauke Petry immer mehr nach rechts wendet. So ist in Deutschland der „Asylmissbrauch“ zum Schlagwort im Wettbewerb zwischen Regierungsparteien, rechtsextremen Bewegungen und mehr oder weniger unbedeutenden politischen Kräften wie der AfD geworden.
Flüchtlinge sind (nicht) willkommen
Als Lutz Bachmann die Bühne auf dem Marienplatz in München betritt, ist Maltrim wahrscheinlich schon auf der Rückfahrt nach Berlin. Die tiefstehende Sonne hat die wenigen Anhänger des PEGIDA-Initiators schon in den Schatten verbannt. Aber der Platz ist voll: etwa 500 Personen protestieren gegen Bachmanns Bewegung. Normale Bürger, Antifas und die Pro Asyl-Initiativen: Pfeifkonzerte, Ausrufe der Missbilligung und in die Luft gestreckte Mittelfinger; es ist unmöglich, sich auf die Rede des Vorsitzenden der „europäischen Patrioten“ zu konzentrieren.
Während direkt vor der Bühne die deutsche Flagge weht, erkennt man hinter den Absperrungen die Fahne mit der Aufschrift „Refugees Welcome“. Die Polizei hält die Antifas unter Kontrolle und versucht die Gemüter zu beruhigen. Genau neun Monate nach der Gründung von PEGIDA ist Bachmanns Rede ein J’accuse gegen den Asylmissbrauch durch die Einwanderer aus den Balkanstaaten, gegen die Islamisierung der deutschen Städte, die Pro-Gender-Kultur und nicht zuletzt gegen die Mainstream-Parteien und -medien. Aber Bachmann bekräftigt, dass die Bewegung wachsen wird und zeigt auf die 500 Personen vor ihm. Er sagt, dass die „Hunde an der Leine der Linken aufhören auf die Straße zu gehen, wenn sie nicht mehr durch die Parteien finanziert werden“. Und er fährt fort: „Wenn wir uns gegen den Asylmissbrauch auflehnen, sind wir Nazis, aber wenn es die CSU tut, ist das in Ordnung.“
Erstellt mit flickr slideshow. Fotos von Alexander Damiano Ricci.
Die Bedeutung von PEGIDA
Es wäre scheinheilig zu behaupten, PEGIDA sei 2014 nur aus einer Laune der Rechtsextremen heraus entstanden. In Deutschland gibt einen tatsächlichen, drastischen Anstieg von Asylanträgen: 2014 mehr als 60% im Vergleich zu 2013. In den ersten sechs Monaten diesen Jahres sind vor allem Syrer, Kosovaren und Albaner gekommen. Wer geht denn aber nun für PEGIDA auf die Straße? Professor Werner J. Patzelt, Politologe an der Universität Dresden, hat eine (statistisch nicht repräsentative) Umfrage zur Zusammensetzung der Bewegung durchgeführt. Seiner Meinung nach setzt sich PEGIDA zu einem großen Teil aus Menschen mit einem hohen Bildungsgrad zusammen.
Es ist wohl eher wahrscheinlich, dass die extremistischen Elemente keinerlei Interesse daran haben, die eigene Position preis zu geben. Und was ist die Folge? Die Ergebnisse sind völlig verzehrt. Die Meinung der Menschen auf dem Marienplatz in München ist auf jeden Fall eindeutig. Einer der am häufigsten angestimmten Sprechchöre ist „Nazis raus“. Maxie, 34 Jahre alt, den Sohn auf dem Arm, zeigt den Mittelfinger Richtung Bühne und urteilt: „PEGIDA ist keine Meinung, sondern eine Straftat“. Dann kündigt Bachmann die Gründung einer Partei bis 2016 an, um eine „wirkliche Alternative“ für Deutschland zu schaffen. Wer kann schon sagen, ob das nur leere Worte sind?
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Dieser Artikel ist die Einleitung der Reportage Reise ins ausländerfeindliche Deutschland, die am 1. August 2015 in der italienischen Wochenzeitschrift Left erschienen ist.
Translated from Dentro PEGIDA, la banalità del male