Das bewegte Berlin: Glücklich an der Spree
Published on
In „Das bewegte Berlin“ nehmen Babel-Autoren rückblickend das Top-Thema der vergangenen Woche in der deutschen Hauptstadt auf. Die Sichtweise ist subjektiv, analytisch, kommentierend aber immer auch informierend. Schreibt uns in Kommentaren eure Meinung zum Thema. Von Lena Meier Spontan hab ich mir am Sonntag eine interessante Ausstellung angeschaut, letzte Woche auch schon.
Gehe ich ins Kino, dann immer in die Originalversion oder mit Untertiteln, auch beinahe wöchentlich. Aus einer Laune heraus habe ich mich für einen Swingtanzkurs angemeldet. Die Tanzschule ist 10 Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Mein Job ist zwar fest, aber nur eine Drei-Tage Stelle mit prekärer Bezahlung. Trotzdem wohne ich in einer eigenen Wohnung und kaufe Fleisch im Bioladen. Das Angebot stimmt, die Lebensumstände auch. Ich kann also als rundum glückliche Berlinerin gelten.
Damit liege ich im Trend. Denn laut einer Anfang April veröffentlichten Studie sind Berliner freudige Großstädter und sogar glücklicher mit ihrer Stadt als andere Europäer. 89 Prozent der Befragten schätzen die deutsche Hauptstadt als Lebensraum. Gründe sind etwa das breite Kultur- und Freizeitangebot, die kulturelle Dynamik, die Wohnmöglichkeiten, der öffentliche Verkehr und die gut bezahlbaren Lebenshaltungskosten.
In Auftrag gegeben wurde die Studie von Veolia, einem international agierenden privaten Wasser- und Entsorgungskonzern. Neben Berlinern wurden Menschen in 13 weiteren Metropolen weltweit befragt. In Europa waren das Paris, Lyon, Prag und London. Dass Frankreich mit gleich zwei Städten vertreten ist, erklärt sich aus der Unternehmensgeschichte. Veolia begann, damals noch unter anderem Namen, als Wasserversorger von Paris und Lyon im 19. Jahrhundert.
Genau so ergiebig: Kleinstumfrage im Bekanntenkreis
Besonders neu sind die Ergebnisse der Studie nicht. Denn dass Berlin seinen Einwohnern dreckig vorkommt, sie aber finden, dass es recht viel Grün gibt, man hier auch Kinder großziehen kann und das Leben wirklich preiswert ist, hätte man auch mit einer Kleinstumfrage im Bekanntenkreis herausgefunden. Auch über die anderen untersuchten Metropolen ließen sich aufgrund von eigenen Erfahrungen genauso treffende Aussagen machen, wie Veolia sie liefert.
Pariser beispielsweise finden, dass man sehr gut verdienen muss, um in der französischen Hauptstadt angenehm leben zu können. 87 Prozent der Befragten gaben dies an. Das war vorhersagbar. Ein Freund aus Paris arbeitet sieben Tage die Woche, er wohnt in der Innenstadt, aber in einem Viertel, in das sich einige Pariser auch tagsüber nicht trauen. Seine Wohnung verschlingt den halben Verdienst. Auch die Pressesprecherin von Veolia Deutschland, Barbara Helten zog in einem Interview auf Deutschlandradio Kultur Schlüsse, die man getrost als Allgemeinwissen abtun kann: „Man hat erhoben, dass Pariser sich zwei Stunden mehr Schlaf wünschen. Das Leben scheint dort anstrengender zu sein.“
Was also soll eine Studie, die nur Offensichtliches erzählt? Veolia gibt an, sich angesichts der ständig steigenden Stadtbevölkerung um die Zukunft der Städte verdient machen zu wollen. Es menschelt sehr, wenn zu Beginn der Berliner Präsentation, die als Powerpoint auf der Firmenseite zu finden ist, vom besseren Verständnis der Großstädter und ihrer Bedürfnisse die Rede ist. Doch wo bleiben Untersuchungen aus Lateinamerika, Afrika oder Indien? Die Metropolen aus diesen Weltregionen klammert Veolia aus. Die Studie gibt – auch aufgrund ihrer geringen Anzahl von nur etwas mehr als 600 Befragten pro Stadt – wenig repräsentative Antworten auf die Frage nach den „urbanen Lebensstilen“ weltweit.
Die von einigen Berliner Medien begeistert aufgenommenen Erkenntnisse kaschieren zumindest in Berlin nur die düstere Wirklichkeit. Tatsache ist, dass Veolia zusammen mit RWE vor neun Jahren in die Berliner Wasserversorgung eingestiegen ist und seitdem die Preise für Wasser ständig gestiegen sind, allein in den letzten vier Jahren um 26 Prozent. 2007 machten die Berliner Wasserbetriebe Rekordgewinne, über die Hälfte streichen die privaten Investoren ein. Somit bezahlt der Verbraucher, also der Berliner, viel Geld an Veolia. Man wünscht sich, dass Veolia dafür im Gegenzug die Ergebnisse der Umfrage genau studiert und die Zukunftsängste der Berliner Ernst nimmt. Denn was das positive Denken für die Zukunft angeht, liegt Berlin unter dem Durchschnitt.
Berliner Ergebnisse der Studie „Urbane Lebensstile“