Daech: der Feind von morgen
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Anita WestrupZum ersten Mal haben sich Selbstmordattentäter am 13. November in Paris in die Luft gesprengt. Einige Tage zuvor wurde in der Stadt Beirut ein Doppel-Attentat verübt. Es war der schlimmste Anschlag, den der Libanon seit 1990 erlebt hat. Am 2. Dezember sterben bei einer Schießerei im kalifornischen San Bernardino in einer Sozialeinrichtung 14 Menschen, 22 werden schwer verletzt. Eine Analyse.
Syrien: Die Ursachen des Konflikts
Im Jahr 2011 führen landesweite Demonstrationen in der arabischen Welt zu einer großen Protestbewegung, die später unter der Bezeichnung „Arabischer Frühling“ zusammengefasst wird. Im Maghreb und Mittleren Osten lehnt sich ein Volk nach dem anderen gegen das Regime auf. Länder wie Tunesien oder Ägypten bringen Diktaturen zum Sturz. Die bestehenden Regierungen fallen infolge der Protestbewegungen wie Kartenhäuser in sich zusammen.
Die Welle des „Arabischen Frühlings“ schwappt im Februar 2011 bis nach Syrien. Aber Bachar el-Assad versucht die Bewegung mithilfe verschiedener Reformen einzudämmen. In den Augen des syrischen Volkes sind diese Reformen doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sie fordern den Sturz des Machthabers. Im März 2011 gehen die Menschen in Syrien gegen die Regierung auf die Straße. Massendemonstrationen finden in großen Städten wie zum Beispiel Deraa statt. Deraa wird zum Schauplatz der ersten gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen dem syrischen Volk und den Einsatzkräften. Mehr als 100 Menschen werden erschossen. Es ist der Anfang eines Bürgerkriegs, der bis heute in Syrien wütet.
Abu Bakr el-Baghdadi, Nachfolger vom Al-Kaida-Chef im Irak Abu Moussab el Zarqaoui, nutzt die instabile Lage in Syrien für seine Zwecke und beschließt sich in den Bürgerkrieg einzumischen. Er entsendet etwa hundert Männer in das Krisengebiet, um an der Seite der Rebellen, Bachar El-Assad zu entmachten. Zur gleichen Zeit schließt sich die Terrorgruppe Al-Kaida mit dem Front Al-Nosra, einer Ableger-Gruppe der Al-Kaida in Syrien, zum sogenannten „Islamischen Staat“ im Irak und im Nahen Osten zusammen.
Daech ändert seine Strategie
Am 5. Juni 2014 zeigt sich El Baghdadi öffentlich in der Moschee von Mosul, einer vom IS eingenommenen Stadt. In seiner Rede („Ich wurde mit einer großen Mission betraut. Ich musste mich vielen Prüfungen unterziehen und wurde als euer Wächter auserkoren. Gehorcht mir, so wie ihr Allah gehorcht.“) gibt er zu verstehen, dass er ein Kalifat ausrufen und dessen Kalif sein möchte.
Die letzten Anschläge im Libanon, in Frankreich und den USA zeigen, dass Daech seine Strategie auf geopolitischer Ebene ausgeweitet hat. Vorher zielten seine Bemühungen auf die Gründung eines Kalifats und den Krieg gegen seine Feinde im Irak und Syrien ab, doch mittlerweile agiert das Terrornetzwerk international, genauso wie Al-Kaida unter Führung von Bin Laden.
Wie lässt sich dieser Kurswechsel begründen? Er könnte als Reaktion auf die Angriffe der intervenierenden Westmächte verstanden werden, die dazu aufgefordert werden, ihre Kampfhandlungen zu beenden. Im Umkehrschluss könnten die Attentate, die außerhalb des IS-Einflussgebietes begangen wurden, auch ein Lockmittel sein, um den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Kriegsregion zu forcieren, die militärisch und strategisch nach der Auffassung des IS unterlegen wären.
Vermuten ließe sich auch, dass Daech Schwierigkeiten hat, neue Dschihadisten zu rekrutieren. Grund für ausbleibende Kämpfer könnte die Verriegelung der türkischen Grenze sein, die die Regierung um Erdogan im Zuge der Anschläge in Suruç und Ankara beschlossen hat. Dies könnte zur Folge haben, dass der IS potentielle Dschihadisten eher in den jeweiligen Ländern ausbildet. So würde das Risiko umgangen werden, neue Rekruten nach Syrien einreisen lassen zu müssen.
Daech gegen den Rest der Welt?
Festzuhalten ist, dass der undurchsichtige „Islamische Staat“ schwieriger, als die Terrorgruppierung Al-Kaida, zu fassen ist. Al-Kaida verfügte über eine klar hierarchisierte Machtstruktur. Befehle kamen von hochrangigen Führungsmitgliedern. Bei Daech sieht es anders aus. Die Organisation gibt einzelnen Mitgliedern mehr Freiheit. Das erklärt auch, warum sich der Führungsstab der Terrorvereinigung nicht immer in vollem Maß zu einzelnen Terroranschlägen, die von Dschihadisten verübt wurden, bekennt.
Es könnte also sein, dass die Anschläge vom 13. November in Paris von einer französischsprachigen Splittergruppe aus Loyalität zu Daech begangen wurden, ohne dass sie dafür die volle finanzielle Unterstützung seitens der Führungsmitglieder der Terrororganisation erhielten. Im Nachhinein können wir die Attentate als strategischen Fehler des IS betrachten, denn unter den ermordeten Personen befanden sich Gläubige aller Konfessionen, auch Muslime.
Anders ist es nicht möglich einen Rückhalt in einer nicht radikalisierten Randgruppe der Bevölkerung zu finden, die sich von der westlichen Gesellschaft ausgest0ßen fühlt und die zur Zielscheibe, Personen des gleichen Glaubens hat. Bei Charlie Hebdo war das anders. Die Attentäter gingen gezielt gegen Personen vor, die sie als islamophobisch einstuften.
Dem IS ist es scheinbar gelungen, Länder gegen sich zu vereinigen, die eigentlich ein verfeindetes Verhältnis haben. Aber hinter diesem gemeinsamen Ziel verbergen sich zwei Fronten, die unterschiedliche, manchmal auch gegensätzliche, Interessen verfolgen. Es ist die Kluft zwischen den irakischen und syrischen Schiiten und Sunniten.
Der schiitische Block besteht aus der Armee von Bachar el-Assad, der libanesischen Hisbollah und dem Iran. Diese Interessensgruppe will, dass Bachar el-Assad an der Macht bleibt, denn er ist der Garant der schiitischen Achse, die vom Iran, über Damaskus bis in den Süden von Beirut reicht. Russland gehört übrigens auch zu dieser Gruppierung. Als Hauptverbündeter von Bachar el-Assad hat Moskau sein Ziel fest im Blick: weiterhin den syrischen Hafen Tartus als einzige Marinebasis im Mittelmeer zu unterhalten.
Und dann gibt es noch den Irak, eines der größten schiitisch dominierten Länder in der Region. Der Mullah-Staat wird vom Iran unterstützt und erfährt finanzielle Hilfe von Frankreich und den USA, die gemeinsam gegen Daech kämpfen, um die innere Sicherheit wieder herzustellen.
De Auf der anderen Seite befindet sich die sunnitische Achse, die sich aus syrischen Widerstandskämpfern, einigen sunnitischen radikalen Gruppen wie der Front Al-Nosra und kurdischen Guerilla-Kämpfern im Irak und Syrien (PKK und YPG) zusammensetzt. Sie verfolgen ein gemeinsames Ziel: Bachar el-Assad zu stürzen. Wenn Daech besiegt wird, könnte es sein, dass diese Achse, die eher taktisch als ideologisch vorgeht, mit untergeht. Weil die Achse von drei konkurrierenden Ländern finanziell unterhalten wird: Saudi-Arabien, Katar und Türkei. Sie wollen ihren Machteinfluss nicht verlieren und widersetzen sich mit allen Mitteln dem Iran, was zur Folge hat, dass sie ihre Hauptaufmerksamkeit eher auf den Kampf gegen das Regime von Bachar el-Assad, als auf die Bekämpfung des IS richten.
Eine Frage bleibt offen: Was geschieht mit diesen Bündnissen, wenn es Daech einmal nicht mehr gibt? Schwelt ein neuer Konflikt beziehungsweise Krieg an, der noch brutaler ausfallen wird, als jener, der bereits gegen die Terrorvereinigung geführt wird?
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Dieser Artikel wurde vom Cafébabel-Team in Brüssel verfasst.
Translated from Daech, ennemi d'aujourd'hui et de demain