Bitter: Brexit macht ernst
Published on
Die britische Premierministerin May hat das Austrittsgesuch unterschrieben, mit dem der Artikel 50 des Vertrags von Lissabon ausgelöst wird. Am heutigen Mittwoch trifft das Schreiben bei EU-Ratspräsident Tusk ein. Nun beginnt also der gefährliche Sprung ins Ungewisse, orakeln einige Kommentatoren. Andere sehen den Brexit als Chance, die internationalen Beziehungen der EU neu auszurichten.
La Stampa: Alle Seiten werden verlieren; Italien
Jetzt schlittert Europa in die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, lautet die pessimistische Prognose von La Stampa: „Europa zu verlassen, bedeutet für das Vereinigte Königreich einen Sprung in die totale Ungewissheit ohne Auffangnetz. Die EU ist einer der wichtigsten Haupthandelspartner für Großbritannien, eine nahezu unerschöpfliche Quelle von Arbeitskräften und klugen Köpfen und zudem unentbehrliche Stütze im Trickspiel der internationalen Außenpolitik. Die EU ihrerseits geht aus dieser Saga sicher nicht als Sieger hervor. Das Scheitern der politischen Reformen, die unwürdige wirtschaftliche Situation in Ländern wie Griechenland und das grauenhafte Schauspiel der Flüchtlingspolitik waren hauptverantwortlich für die Entscheidung der Briten, Nein zu Europa zu sagen. Ohne das Vereinigte Königreich wird es für die EU noch schwieriger sein, einen politisch-wirtschaftlichen Block zu schaffen, der mit den USA und China Schritt halten könnte. “
The Times: Zerreißprobe für Vereinigtes Königreich; Großbritannien
Der Druck von EU-Anhängern und -Gegner im eigenen Land wird für Theresa May das größte Problem bei den beginnenden Brexit-Verhandlungen mit der EU, meint The Times:„In Wahrheit stehen May im eigenen Land eine Reihe von Verhandlungen bevor, die mindestens genauso schwierig sein werden wie jene, die sie mit der EU führen muss. Beim Thema schottische Unabhängigkeit befindet sich May bereits jetzt in einem gefährlichen Kräftemessen mit der dortigen Regierungschefin Nicola Sturgeon - was ihre Behauptung, dass der Brexit ein 'vereinigteres Großbritannien' bringen werde, hohl klingen lässt. Schwere Folgen wird es auch für Nordirland geben. Und doch sind die Auswirkungen auf die britische Union nur der Anfang der Probleme für die britische Premierministerin. Auch nach ihrem Sieg beim Brexit-Referendum werten die Euroskeptiker unter den Tories jeden Kompromiss mit Brüssel als Verrat.“
Echo24: Rachegelüste sind fehl am Platz; Tschechische Republik
Mit Großbritannien verlässt eines der attraktivsten Länder die EU, bedauert Echo24 und warnt davor, sich jetzt an den Briten rächen zu wollen: „Gerade der Vertrag über die neue Partnerschaft mit London wird der erste große Test, ob Europa fähig ist, aus seinen Fehlern zu lernen. Ob es fähig ist, die aktuellen Probleme rational, ohne abseitige Gedanken an Bestrafung, Rache oder Abschreckung zu lösen. Im Kern geht es um die Wirtschaft und die Sicherheit. Es ist in Europas Interesse, dass der Handel mit London so frei wie möglich bleibt. Bei entsprechendem Willen kann man sich auch über die Finanzdienste einigen. London übertrifft alle anderen europäischen Finanzmetropolen. Wie bisher müssen künftig aber auch so viel Geheimdienstinformationen wie möglich im Kampf gegen den Terrorismus ausgetauscht werden. ... Aus erfolgreichen Verhandlungen könnte die EU Selbstbewusstsein für weitere Reformen ziehen, damit nicht noch mehr attraktive Länder sie verlassen.“
Dagens Nyheter: Verbündeter für freien Handel bricht weg; Schweden
Wie sehr der Brexit den verbleibenden EU-Staaten zu schaffen machen wird, skizziert Dagens Nyheter: „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal, sagt Theresa May, aber das ist eine Propagandaphrase. Wenn Großbritannien ohne Abkommen aus der EU fällt, entsteht Unsicherheit in der Rechtsprechung und in der Wirtschaft. Selbst wenn sich die Konjunktur nach dem Referendum ziemlich gut entwickelt hat: Das Pfund ist gefallen und die Inflation gestiegen. Und die großen Risiken liegen in den langfristigen Auswirkungen. Großbritannien war für Schweden ein guter Verbündeter, wenn es um freie Märkte und Handel ging. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass mit den Briten die vielleicht stärksten Fürsprecher des freien Markts diesen ausgerechnet verlassen. ... Der Brexit hat nicht nur für die Briten einen Preis, sondern für die gesamte EU. Es ist von beiderseitigem Interesse, das Problem so geschmeidig wie möglich zu lösen.“
Die Presse: Flexible EU-Partnerschaften ermöglichen; Österreich
Anlässlich des Starts der Austrittsverhandlungen sollte die EU auch für Länder wie die Schweiz, die Türkei oder sogar Russland neue Partnerschaftsregelungen evaluieren, meint Die Presse: „Die Brexit-Verhandlungen sind letztlich eine Chance, ein neues, variables System der Anbindung zu schaffen. Die Erweiterung der Gemeinschaft gerät sowieso an ihre Grenzen, deshalb muss eine neue Form einer flexiblen Partnerschaft entwickelt werden, um die restlichen Nachbarländer je nach Reife, Wille und Bedeutung an die EU zu binden. Es wäre klug, ein Stufensystem zu entwickeln, das die Teilnahme am Binnenmarkt von einer sehr eingeschränkten Form bis hin zur Vollintegration anbietet. In diesem Stufensystem könnte dann auch die finanzielle Seite des Mitgliedsbeitrags gestaffelt werden.“
__