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Berlin: Was wohl nach der Wut kommt

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Berlin

Vier junge Frauen, die in Berlin eine Wahlheimat gefunden haben, sind fassungslos nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt vom 19. Dezember, der 12 Menschen das Leben kostete und Dutzende verletzte. 

Pia

"Die Gedächtniskirche steht als kraftvollstes Symbol Berlins gegen Krieg und Zerstörung, für Frieden und Freiheit. Mit dem Weihnachtsmarkt zu ihren Füßen verbinde ich früheste Kindheitserinnerungen; zum ersten Mal bin ich dort in einem Karussell und Riesenrad gefahren, und habe von hoch oben die Lichter der Stadt bestaunt. Ich bin traurig und fassungslos über die vielen Toten und über den Angriff auf mein freies Berlin."

Amélie

"Berlin, Berlin, eine Stadt, die mich empfängt, beherbergt, die sich mir öffnet. Berlin gibt mir seine Liebe, bevölkert seine Straßen mit soliden und dauerhaften Freundschaften; eine Stadt, die Feuerwerke in den Nachthimmel böllert, um die immense Freude zu feiern, die wir empfinden, hier sein zu dürfen. In diesen Vierteln, wo die Lebensfreude ungebändigt ist. Berlin ist eine Stadt menschlicher Größe. Das bezieht sich nicht unbedingt auf die Kilometer, sondern auf die Art, wie die Berliner zusammen leben; Multikulti in Kreuzberg, die Wärme der Weihnachtsmärkte, ein rosa Morgen auf der Oberbaumbrücke, eine Wintersonne in der Hermanstraße, die große Klappe der Barfrauen, Freiheit des Feiervolks, die Güte der Späti-Verkäufer, die unsere Freunde empfangen, wenn wir gerade nicht da sind. Sollen wir hier die Schlüssel abholen? Ja, genau hier. Ihr alle seid hier zu Hause, für ein Wochenende, einen Monat, viereinhalb Jahre. Berliner, Türken, Iraner, Franzosen, Afghaner, Pakistaner, Chinesen. Äthipier, Norweger, Inder, Australier, koraner - ihr seid hier bei euch. Prost Berlin, meine Schöne, ich trinke dich genauso wie ich dich liebe, ich feiere dich wie ich das Leben feiere.

Christiane

Gestern Abend war ich mit meinen Kollegen auf unserer Weihnachtsfeier im Wedding. Auf dem Weg nach Hause konnte man schon die erste Todesmeldung lesen. Zu Hause angekommen, wollte ich erst mal nichts sagen. Mein Freund hatte noch nichts mitbekommen und ich brachte es einfach nicht übers Herz zu sagen: „Hast Du gehört, was passiert ist?“ Ich wollte noch etwas Ruhe aufrecht erhalten, bevor der mediale Wahnsinn auf uns einbrechen würde. Was er dann natürlich tat. So ist das Leben im Jahr 2016: Nachrichtenkanäle aus Großbritannien, Portugal und Deutschland checken, zwischendurch Facebook- und Whatsapp-Nachrichten an die Freuden in aller Welt verschicken. Manche haben sogar angerufen und es war schön, ihre Stimmen aus Frankreich, Italien, Kolumbien und Portugal zu hören und über die Gott und die Welt zu sprechen. Wir sollten uns öfter hören und nicht auf die nächste schockierende Nachrichtenmeldung warten.

Julia

Seit fünf Uhr morgens höre ich Radio, aktualisiere regelmäßig den News-Ticker, schaue auf Twitter und Facebook vorbei. Und meine Fassungslosigkeit ist Wut gewichen. Ich kann es nicht fassen, dass dieser Anschlag wirklich passiert ist. Will es nicht fassen. Mein plötzlich unbändiger Bewegungsdrang treibt mich aus dem Haus und eine Runde um den Block. Aber die Wut lässt sich nicht einfach weglaufen. Dieses Wütendsein, es hört nicht auf. Momentan möchte ich auch gar nicht, dass es das tut - vor allem, weil ich nicht weiß, was nach der Wut kommt.