Wir sind alle Masken!
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ann-christin domsZum Karneval sind wieder tausende Touristen in die Narren-Hochburgen Europas geströmt. Doch wir haben längst vergessen, warum wir eigentlich Masken tragen.
Früher bot das Tragen einer Maske während des Karnevals die Möglichkeit, soziale Spannungen außerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie zu dramatisieren. Doch in der heutigen Zeit wird uns weis gemacht, dass wir uns endlos neu erfinden können. Mit jeder neuen Anzeige verspricht uns die Werbung ein neues Ich. Es gibt keine Hierarchie mehr, an der wir die Bedeutung unseres Lebens festmachen könnten.
Und da wir unsere Rollen in der Gesellshaft mehr und mehr in Frage stellen, kommen sie uns wie Masken vor, die früher zur Karnevalszeit getragen wurden. Sie werden beliebig austausch- und veränderbar. Jeden Tag setzten wir uns Masken auf – und deshalb haben die echten Masken in unserem Leben ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.
Die Macht der Masken
Was passiert, wenn man eine Maske trägt? Man gewinnt vor allem an Freiheit. Diese lässt uns wähnen, dass die Umgebung nicht länger weiß, wer wir sind. In Sierra Leone trägt man Masken zur Jagd, um ungesehen in den Busch zu kommen und Tiere zu verfolgen. Die Masken des Poro-Stammes beispielsweise wirken unnahbar und sogar gefährlich. Immer lächelnd und stumm, verbergen sie ganz und gar, was sich hinter ihnen befindet.
Das ist nicht etwa primitiv, sondern nur ein wenig fremd für das westliche Verständnis von Masken. Wenn Gegner des Irak-Krieges auf einer Demonstration Masken des amerikanischen Präsidenten George W. Bush tragen, dann machen sie sich über ihn lustig und zeigen ihn in Verbindung mit den Elementen, mit denen er sich nie in der Öffentlichkeit zeigen würde – einer Maschinenpistole etwa. Durch diese Kostümierung gewinnen die Demonstranten Macht über Bush. Ähnlich macht es auch der Stamm der Senufo an der Elfenbeinküste. Sie glauben durch das Tragen eines Tierkostüms, Macht über das Tierreich zu gewinnen und so dessen Energie absorbieren zu können.
Ganz egal, warum man sich verkleidet, ob zur Täuschung, zur Nachahmung, zur Jagd oder einfach nur im Theater: Jedes Mal wird eine Spannung zwischen der sichtbaren Erscheinung und dem dahinter Verborgenen erzeugt. Im Karneval der Renaissance wurde die soziale Hierarchie aufgehoben. Für einen Tag war es den Armen erlaubt, wie die Reichen aufzutreten. Und die Reichen durften sich wie die Armen verhalten. Musste man sich also nur anders anziehen, um reich zu sein? Natürlich glaubte damals keiner, dass die Armen im Karneval wirklich reich seien. Aber durch die Verkleidung wurde ihnen bewusst, dass ihr Leben prekär ist.
Zwang zur Wahl
Heute sind wir stolz darauf, das es keine Hierarchien mehr gibt. Warum sollten sich Arme wie Reiche anziehen, wenn sie durch harte Arbeit einfach reich werden können? Seit dem Verschwinden von Hierarchien und Monarchien, seit Gott als Zentrum des Lebens durch unser eigenes Ego ersetzt wurde, glauben wir, dass wir unser Schicksal selbst bestimmen und wir uns ständig wiedererfinden können. Ganz so wie man eine echte Maske beliebig gestalten kann.
Wir sind zu Masken geworden. Die Idee, dass wir die Wahl haben und unsere eigene Persönlichkeit erfinden können, ist der zentrale Pfeiler unserer Gesellschaft geworden. Aber da wir die Maske zum Wesentlichen unserer selbst gemacht haben, haben wir das Wesentliche der Maske verloren.
Nichts ärgert Kinder mehr als ein Spielverderber, der inmitten des Spiels beginnt, die Regeln zu brechen und ihnen die Lust zum Spielen raubt. Dann wird ihnen klar, dass Spiele nicht so zufriedenstellend sind wie das echte Leben. So wie mit den Spielen, ist es auch mit den Masken. Nach dem Karneval wurden die Armen wieder zu Armen. Und die Reichen unterdrücken wieder die Armen. Für eine kurze Zeit konnten wir uns eine andere Welt vorstellen. Und das funktionierte nur, weil es in einem klar abgegrenzten Zeitrahmen stattfand.
Die Zeit der Masken ist heute vorbei. Unsere Selbstentwürfe setzen sich unendlich fort. Die Spannung zwischen äußerer Erscheinung und dem dahinter Verborgenen ist allgegenwärtig. Früher boten Masken die Gelegenheit, über die Gesellschaft nachzudenken, indem sie Distanz zur Gesellschaft schufen. Heute sind wir ständig maskiert – und die Distanz schwindet.
Warum sollen wir uns also noch mit Masken beschäftigen? Die Politiker preisen unsere Wahlmöglichkeiten. Wir können wählen, zu welchem Arzt wir gehen, was wir kaufen und welchen Weg wir im Leben gehen. Die Welt, so scheint es, steht uns offen. Wir können alles wählen – nur nicht die Wahl selbst. Wir sind gezwungen, zu wählen, und uns ständig selbst zu erschaffen. Wir können ein Leben ohne Masken nicht mehr ertragen. Ein Blick auf die Masken zeigt uns, was aus uns geworden ist.
Translated from Masks and carnival, immortal combination