Wie wir die Demokratie schützen können
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dinah stieberDie Anschläge auf New York und Madrid haben gezeigt, wie leicht westliche Demokratien zum Ziel des Terrorismus werden können. Aber eine besonnene Reaktion auf solche Ereignisse ist wichtig, damit die Demokratie selbst nicht auf der Strecke bleibt.
Die Anschläge vor einem Jahr in Madrid haben nicht nur eine der weltoffensten Städte Europas getroffen, sondern wurden auch als Angriff auf das europäische Freiheitsverständnis empfunden. Und dies nicht, weil wir Terrorismus nicht gewöhnt wären, denn tatsächlich sind einige unter uns mit Sektierertum und Terrorismus eng vertraut. Dennoch stellten die Bombenanschläge auf die Eisenbahn in Madrid genau 30 Monate nach dem 11. September eine neue Dimension des Terrors in Europa dar, da sie nicht durch politische Motivation erklärt werden konnten, sondern sich direkt gegen die Zivilgesellschaft an sich, ihre Werte und gegen die Demokratie richteten. Europa wurde zum Ziel, und die Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit wurde unscharf.
Solidarität in Europa?
Nach dem 11. September wurde es sowohl für die EU als auch die Mitgliedsstaaten zur Priorität, neuen und ernsthaften Bedrohungen von Gruppen wie Al Qaida entgegenzutreten. Mit diesem Ziel einigte sich der europäische Rat auf dem Gipfel in Laeken in den Monaten nach dem 11. September auf eine gemeinsame Definition von Terrorismus (Common Definition of Terrorism, CDT). Dies war sicherlich notwendig, nicht nur um Solidarität mit Amerika auszudrücken, wo die Attentate auch europäische Opfer gefordert hatten, sondern weil man sich der Schwierigkeit einer klaren Definition eines „Terroristen“ bewusst war. Auch wurde der Beschluss zum Europäische Haftbefehl (European Arrest Warrant, EAW) auf diesem Treffen verabschiedet, der die Auslieferungsprozeduren zwischen den Mitgliedsstaaten beschleunigen sollte. Zwar war der Entwurf zum EAW schon seit Tampere 1999 auf dem Tisch, gewann aber durch die Ereignisse des 11. Septembers wieder an Bedeutung. Mit dem EAW sollte die Kooperation verbessert werden; und zwar im Bereich der Strafverfolgung von Terrorismus und von Aktivitäten, die den Terrorismus unterstützen, wie zum Beispiel Sabotage oder Geldwäsche. Mit der Verabschiedung solcher Maßnahmen bezeugten die Europäischen Staaten ihre Kooperationsbereitschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen im Kampf gegen den globalen Terrorismus.
Dennoch dauerte es, bis sich dieser Enthusiasmus in Taten umsetzte. Das Problem bei einer gemeinsamen Terrorismus-Definition ist, dass es nicht widerspiegelt, wie die verschiedenen europäischen Länder die Bedrohung einschätzen. Also wird dem Thema in jenen Ländern mehr Bedeutung zugemessen, die Erfahrung mit Terrorismus gemacht haben, wie in England und Frankreich, weniger aber in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Finnland und Schweden. Diese Tatsache ist insofern beunruhigend, als Al Qaida vor allem "soft targets" angreift, wie jene vom 11. September und bei den Attentaten in Bali. Auch wurde die Implementierung des Europäischen Haftbefehls dadurch hinausgezögert, dass nur wenige Staaten die Frist zum 1. Januar 2004 einhielten. Zwar drängte Brüssel die übrigen Staaten nach den Vorfällen von Madrid dazu, die Maßnahme zu implementieren. Doch dies scheiterte bislang daran, dass von der Tschechischen Republik Einspruch erhoben wurde, Deutschland Verfassungskonflikte einräumt, und unklar ist, ob Italien diese Maßnahme überhaupt umsetzen wird.
All dies beweist, dass europäische Mitgliedsstaaten noch weit davon entfernt sind, vereint gegen den Terrorismus zu kämpfen. Während man einen europäischen Ansatz begrüßen sollte, kann dieser jedoch nur effektiv sein, wenn man dann nicht versucht, die Dinge mit nationaler Politik zu bewältigen.
Demokratie schützen und ihre Werte untergraben?
Neben den Schwierigkeiten, eine gemeinsame europäische Politik zu formulieren, stellt sich auch die Frage, wie groß das Interesse der Einzelstaaten ist, den Terrorismus zu bekämpfen. Während man zum Schutz der Bevölkerung auf jeden Fall höhere Sicherheitsstandards setzen sollte, ist es auch wichtig, dabei nicht die Rechte und Freiheiten der Bürger einzuschränken. Nach dem 11. September und den Anschlägen von Madrid wurden sowohl Bürgerrechte und die Unterbindung terroristischer Aktivität heiß diskutiert. In Großbritannien ist man sogar von der Europäischen Menschenrechtskonvention abgewichen, um ausländische Verdächtige ohne Haftbefehl festhalten zu können. Natürlich würde sogar der standhafteste Liberale zustimmen, dass diejenigen, die eine Bedrohung darstellen nicht auf freiem Fuße sein sollten, damit sie keine derartigen Verbrechen begehen können. Aber wir leben auch in einer demokratischen und zivilisierten Gesellschaft und aus diesem Grund sollten Verdächtige angeklagt und mit der Annahme vor Gericht gestellt werden, dass sie unschuldig sind, bis man tatsächlich das Gegenteil bewiesen hat. Zwar wurde die britische Praxis inzwischen illegal erklärt, doch wurde sie schon bald durch einen ebenso problematischen Plan ersetzt, der Hausarrest für Verdächtige vorsieht. Wegen der Terrorismusbedrohung bekamen zudem Vorschläge wie der genetische Fingerabdruck Auftrieb, obwohl deren Bedeutung im Kampf gegen den Terrorismus fragwürdig ist und sie selbst eine Gefahr für Rechte und Freiheiten der Bürger darstellen.
Unsere Politiker versichern uns, dass Al Qaida unsere Demokratie angreifen und zerstören will. Wenn wir aber unsere Bürger beschützen und im Kampf gegen den Terrorismus bestehen wollen, sollten wir nicht genau jene Wertvorstellungen wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit opfern, auf denen unsere Demokratie erbaut wurde und durch die unsere Freiheit garantiert wird.
Translated from Safeguarding democracy