Was ist nur aus der besseren Welt geworden?
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ruth esserAuf dem G8-Gipfel in St. Petersburg werden wieder zahlreiche Globalisierungskritiker erwartet. Die Medien haben sie schon für tot erklärt, doch französische Aktivisten sind sich da nicht so sicher.
Es hatte alles so viel versprechend angefangen. 1999 brachen beim Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle Proteste aus. Zehn Jahre nach dem Niedergang des Kommunismus sah es so aus, als hätte die Linke ein neues Gesicht gefunden.
Und die Unterschiede zu ihrem alten Gesicht hätten deutlicher kaum ausfallen können.
War der Kommunismus noch streng hierarchisch organisiert gewesen, bildeten die Demonstranten von Seattle Netzwerke aus Gruppen – eine dezentralisierte Form des Protests für eine dezentralisierte Weltwirtschaft. Im Kommunismus war nur die konsequente Treue zur Linie der Partei erlaubt gewesen.
Nur der Feind blieb gleich
Die Demonstranten bei den chaotischen Sozialforen hingegen, die in Porto Alegre begannen und sich von dort über die ganze Welt verbreiteten, einigten sich noch nicht einmal auf ein gemeinsames Programm, geschweige denn auf eine eindeutige Botschaft. Französische Bauern und afrikanische Aktivisten demonstrierten in Seattle Seite an Seite, erstere für den Protektionismus und die Gemeinsame Agrarpolitik, letztere dagegen. Neben ihnen marschierten Autonome aus Spanien und, jawohl, alte Kommunisten.
Von 1989 bis 1999 blieb nur eine Sache unverändert: der Feind. Nur hieß der jetzt ‚Neo-Liberalismus’ statt Kapitalismus. Das war das einzige, worauf sich alle Aktivisten einigen konnten. Von den Medien wurden sie, in einem Anfall von Kurzsichtigkeit, als „Globalisierungsgegner“ tituliert.
Sechs Jahre später behaupten die Medien, die Bewegung habe sich aufgelöst. Seit dem 11. September, so ihre Logik, sind sich die Menschen wieder der wahren Probleme bewusst, mit denen diese Welt konfrontiert wird; und so ist die Bewegung der Globalisierungskritiker, wie sie sich selbst bezeichnen, von unseren Bildschirmen verschwunden. Die Aktivisten, mit denen ich mich unterhalten habe, waren sich da allerdings nicht so sicher.
Unter der Oberfläche
„Mit den Medien ist es doch immer das Gleiche. Sie entwerfen ein Bild und erwarten dann von der Realität, dass sie sich an dieses Bild anpasst. Die Medien haben uns als einen Haufen von Ludditen dargestellt, die einfach gegen alles sind“ sagt Eric, ein engagierter Aktivist aus Frankreich, der für die Rechte von Immigranten kämpft. „Dabei sind wir von allen am stärksten globalisiert! Die Medien haben nur nach etwas gesucht, woraus sie eine Story machen konnten. Doch das Phänomen unter dem Label, das hat wirklich existiert. Und es existiert immer noch.“
In seiner Wut gegen die Medien ist Eric kaum zu bremsen: „Ich bin Tag für Tag als Aktivist tätig – ich mache bei Kampagnen mit, protestiere und versuche bei den Leuten ein Bewusstsein zu schaffen. Das ist es, was wirklich zählt. Doch das erfasst der Radar der Medien nicht – also glauben sie, uns gibt’s nicht mehr.“
Der Franzose glaubt an die Macht der neuen Sozialbewegung: „Die riesigen Protestveranstaltungen, die Sozialforen – all das hatte eine symbolische Macht, ich habe dort Kontakte zu einer Menge Leute aus der ganzen Welt geknüpft, aber nicht dort machen wir die wirkliche Arbeit“, so Eric weiter. In seiner Darstellung kämpfen die Globalisierungskritiker weiter, aber leise, außer Reichweite der Kameras.
Die Bewegung hat sich nicht aufgelöst – sie hat nie wirklich existiert. Es waren die Medien, die eine Sache als zusammenhängend dargestellt haben, die viel diffuser war als eine geeinte Organisation mit einem gemeinsamen Ziel. Von Anfang an gab es tiefe Spaltungen, vor allem zwischen denen, die mit dem Staat zusammenarbeiten wollten, und denen, die dagegen waren.
Sogar innerhalb einzelner Gruppierungen gibt es Teilungen: Die Spitze der großen französischen Organisation ATTAC steht Politikern wie Jean-Pierre Chevènement nahe, während die Basis viel radikaler ist. Angesichts dieser Spaltungen war ATTAC immer schon zersplittert und bestand eher aus einer Vielzahl von Gedankenströmungen, vereint allein durch ihre feindliche Einstellung zum Kapitalismus.
Wenn du sie nicht besiegen kannst…
„Ich finde, wir haben gewonnen. Schauen wir mal zurück nach Seattle; schauen wir uns mal an, wofür wir dort demonstriert haben: Schuldenerlass für die armen Länder, eine faire Handelspolitik. Spulen wir sechs Jahre vor und schauen uns an, was wir erreicht haben: Wir haben den Schuldenerlass von Gleneagles; Unternehmen werden gegründet, die fairen Handel betreiben. Wir haben es geschafft, dass diese Themen ins allgemeine Gedankengut eingedrungen sind. Wissen Sie, als ich gesehen habe, dass Unternehmen anfangen, wirklich in Umweltschutz zu investieren, da habe ich gedacht, dass sich wirklich etwas zu ändern begonnen hat.“
Sophie arbeitet heute für eine Nichtregierungsorganisation (NRO) in Brüssel, die sich für Umweltbelange einsetzt: „Ich glaube, viele von uns sind erwachsen geworden und haben gemerkt, dass man sehr wohl gute Arbeit innerhalb des Systems machen kann.“ In Sophies Augen ist die Bewegung versickert, weil sie vom Mainstream absorbiert worden ist.
Vielleicht muss man gesellschaftliche Bewegungen immer so verstehen: Man muss sich überlegen, inwieweit sie die Denkweise einer Gesellschaft verändern. Man darf das Vermächtnis von 1968 nicht an den Kämpfen auf Pariser Straßen messen, sondern daran, wie die Frauenbewegung und der Multikulturalismus unsere Kultur geprägt haben. Vielleicht dürfen wir die Bewegung der Globalisierungskritiker nicht anhand der nicht stattgefundenen Revolution beurteilen, sondern anhand der gedanklichen Spuren, die in die allgemeine Sichtweise eingeflossen sind.
…verbünde dich mit ihnen
„So ein Unsinn“ fährt Benjamin auf, als ich ihm erzähle, wie Sophie die Sache sieht. Wütend fährt er fort: „Schuldenerlass, fair gehandelter Kaffee – das ist Kapitalismus mit einem freundlichen Gesicht. Doch unter der Oberfläche sitzt der gleiche Motor. Die Menschen stecken noch immer in ihren entfremdenden Jobs, sie haben nichts Ernsthaftes getan, um den Welthandel zu reformieren. Aus meiner Sicht sind die Dinge nur noch schlimmer geworden.“
Benjamin, Mitglied einer französischen Anarchistengruppe, glaubt auch weiterhin an gewaltsamen Protest. Auf die Frage hin, ob nicht der berüchtigte Black Bloc, der von Zeit zu Zeit auch Gewalt anwendet, Leute von der Bewegung abschreckt, erwidert Benjamin: „Das ist doch nur Mist, den die Medien erzählen. Niemand denkt über die Gewalt nach, die sich in den Gütern verbirgt, die wir zerstören: die Ausbeutung, die nötig ist, um sie überhaupt erst zu produzieren. Das ist die Gewalt, über die die Leute sprechen sollten.“
Für Benjamin hat es nie eine Bewegung der Globalisierungskritiker gegeben, sondern nur ein Zusammenstellung von Methoden. „An den Protesten in Frankreich gegen den so genannten Ersteinstellungsvertrag lässt sich eine gewisse Kontinuität erkennen – wir haben das Internet, haben eine dezentrale Form der Organisation genutzt. Was Seattle an den Tag gelegt hat, war eine neue Art der Organisation – die Leute haben das eine Bewegung genannt, weil sie den Unterschied noch nicht begriffen haben.“
Benjamin erklärt, dass er vorhat, zu den Protesten beim G8-Gipfel zu fahren. Sophie betreibt in aller Stille seit Monaten Lobbyismus am Spielfeldrand. Die Bewegung hat, wenn es sie denn je gegeben hat, andere Formen angenommen.
Auf Wunsch der Befragten wurden einige Namen in diesem Artikel geändert.
Translated from Whatever happened to another world?