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Was ist ein Zigeuner?

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Gesellschaft

Auch wenn am 8. April der Internationale Tag der Roma gefeiert wurde, dominieren - laut einem der führenden Roma-Aktivisten in Ungarn - weiterhin billige 'Zigeuner'-Klischees die Medien.

In Aladár Horváths Büro, nahe der Metrostation Keleti Pályaudvar in Budapest, herrscht dämmrige Beleuchtung. Der breitschultrige Mann ist der Vorsitzende der Roma Civil Rights Foundation und der Gandhi Public Foundation in Ungarn. Obgleich Horváths kämpferisches Engagement ihm viel Energie abverlangt, wirkt er gelassen und zuvorkommend. Schnell lassen die detaillierten, bedachten Aussagen des Aktivisten erahnen, warum er einst ein enger Berater von Premierminister Péter Medgyessy war.

1988, in den letzten Tagen des kommunistischem Regimes unter János Kádár, nahm Horváth an Versammlungen zu Reformprojekten in Lakitelek, 120 Kilometer von Budapest entfernt, teil. Heute gilt diese Bewegung als der Anfang des Niedergangs der Kommunisten in Ungarn. Die ungarischen Roma kämpften erfolgreich mit dem 'Anti-Ghetto-Komitee', einer der ersten Bürgerrechtsgruppen in Osteuropa. Zusammen ebneten sie den Weg für mehr Freiheit für Minderheiten. So bekämpfte die Bewegung auch die Errichtung eines Ghettos in Miskolc, der drittgrößten Stadt Ungarns, in der der Bevölkerungsanteil der Roma besonders hoch ist. Die Errichtung von 168 Wohnungen zu je 29 Quadratmetern, ohne Heizung und Abwasserleitungen, 20 Kilometer von der Stadt entfernt, hätte die vollständige und endgültige Abschottung der Roma von der lokalen Bevölkerung bedeutet.

'Zigeuner' - wer soll das sein?

"Es ist nicht einfach, die Roma und ihre Interessen zu vertreten", stellt Horváth fest. "120 000 Familien werden als 'Zigeuner' bezeichnet, obwohl sie völlig verschiedenen Kulturen angehören." Der Begriff 'Zigeuner' umfasst so viele unterschiedliche Gruppen, wie solle dabei eine nationale Einigung möglich sein? Horvath erklärt: "Die Roma werden stereotyp als arm, faul und schmutzig dargestellt. Das Resultat sind Vorurteile und ein Image der Passivität."

Ein Beispiel ist Gyozike: Die ungarische Reality-Show handelt vom täglichen Leben einer Zigeunerfamilie, die zu Reichtum gelangt, als der Vater Sänger der Zigeuner-Popband 'Romantic' wird. "Das entbindet die Bevölkerungsmehrheit von quasi jeder Verantwortung", sagt Horváth. "Derartiger Ruhm und materieller Status sind eine Seltenheit unter den Roma. Die TV-Show erweckt den Eindruck, als könne, nur weil ein kleiner Teil der Roma Geld hat, auch der Rest der Minderheit diesen Standard erreichen." Die Quintessenz dieser Sendung und anderer Zigeunerdarstellungen in den ist Medien eindeutig: 'Nur der ist arm, der nicht die richtige Arbeitsethik hat'. Solche Stereotype verhindern für viele, dass sie überhaupt Arbeit finden. Und das wiederum passt sich in den Teufelskreis der Armut der Roma ein. Die treibenden Kräfte dahinter sind Ignoranz und ethnische Spannungen - auch wenn das von der Gesellschaft so nicht wahrgenommen wird.

In der Reality-Show reichen Gyozike und seine Frau Bea Asszony die Scheidung ein, weil Bea ihn betrogen hat. Der Clip zeigt Bea beim Demolieren eines Autos, nachdem Gyozike ihre Kreditkarte gesperrt hat.

Horváth hält den Drang, eine Nation der Roma zu erfinden, für einen "Versuch von Nicht-Roma-Nationalisten". Eine derartige Kategorie sei nicht in der Lage, den Menschen, die sie repräsentiert, gerecht zu werden. "In dieser Gesellschaft wurden Menschen künstlich in einen Topf geworfen und im Endeffekt nur einer neuen ethnischen Isolation unterworfen", erklärt Horváth. "Diskriminierung kann zu einer Polarisierung der ethnischen Gruppen führen. Dann könnte es zu einem Showdown zwischen Roma und Nicht-Roma kommen, mit nicht abzusehenden Konsequenzen", warnt er.

Eine Nation der Roma

Die Politik der Armutsbekämpfung wendet sich heutzutage gleichermaßen gegen die Idee der Zigeuner. "Schuld ist die Wissenschaft - sie reduziert die Welt eindimensional auf die soziale Frage der Roma. Ein Bürger ist leicht davon zu überzeugen, dass Zigeuner arm sind (oder, wenn nicht arm, dann kriminell), und dass jeder Arme (quasi) ein Zigeuner ist."

Sogar einige der mit Minderheitenfragen betrauten Politiker machen sich, angesichts von unablässigem Rassismus, über die Präsenz der Roma lustig. Horváth erinnert sich an die Äußerung eines transsilvanischen Bürgermeisters, wonach er und seine Stadt froh darüber seien, dass Zigeuner in der Gegend wohnten - schließlich hätte man so immer gute Kunstgewerbler zur Hand. Er sagte dies, nachdem ein anderer Bürgermeister verkündet hatte, ihm sei es sehr recht, keine Zigeuner in seiner Gemeinde zu haben.

"Assimilation und Integration sind die zwei Seiten der Medaille namens 'Freiheit'", bekräftigt Horváth und ein Lächeln breitet sich über sein ansonsten ernüchtertes Gesicht aus. Die Verzweiflung hat Spuren hinterlassen. "All diese Vorurteile sind wie Handschellen, wie Ketten, die uns alle fesseln."

Tösender Applaus während eines Gyzike Konzerts

(Homepage-Foto: Francesco Parragio/flickr)

Translated from International Roma Day: Aladár Horváth on reality TV in Hungary