Warum Kernenergie nach wie vor nicht sicher ist
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camilla gendollaDie Nuklearenerige erlebt in Europa eine Renaissance. Befürworter glauben, sie sei der einzige Ausweg aus der derzeitigen Energiekrise – zu Unrecht.
In den 1970er Jahren gab es ähnliche Probleme wie heute: Die Ölpreise schossen in die Höhe, der Nahe Osten wurde immer instabiler, die Sorgen aufgrund des Klimawandels wuchsen. Dies führte dazu, dass viele europäische Staaten in die Kernkraft investierten. Dreißig Jahre hat sich das Szenario geändert. Während einige noch immer behaupten, die Kernkraft sei ein sauberer, effizienter Energielieferant und die Antwort auf all unsere Sorgen, wollen die meisten Europäer, dass sie endgültig: der Vergangenheit angehört.
Der Bedarf an Atomenergie
Dass wir uns nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen umschauen müssen, ist jedem klar. Die europäischen Staaten haben sich im Kyoto-Protokoll verpflichtet, ihren Kohlendioxidausstoß bis 2008 bzw. 2012 um 8 % unter das Niveau von 1990 zu reduzieren. Und die Kernkraft ist emissionsfrei. Skeptiker weisen jedoch darauf hin, dass Kernkraft zwar selbst keine Schadstoffe ausstoße, aber trotzdem fossile Brennstoffe eingesetzt werden müssten, um Uranerz in Brennstoff umzuwandeln und um radikoaktiven Müll zu entsorgen.
Sicher: Die Kernenergie ist wesentlich verlässlicher als andere alternative Technologien. Obwohl Deutschland 50 % der europäischen Windkraftenergie produziert, stammen lediglich 8 % der deutschen Energievorräte aus Windkraft. Erst vor kurzem hat Dänemark ein Programm zur Energiegewinnung aus Windkraft wegen deren Unzuverlässigkeit zurückgezogen.
Ein Gespenst geht um in Europa
Doch ganz gleich, welche Vorteile die Kernkraft hat, sie wird durch die Reaktorexplosion von Tschernobyl wahrscheinlich für immer stigmatisiert sein. Damals wurden 200 000 km² und 6,7 Millionen Menschen radioaktiv verstrahlt.
Trotz dieser Zahlen sind die tatsächlichen Folgen der Explosion nach wie vor umstritten. Schweden zum Beispiel hat vor kurzem eine Studie präsentiert, laut der Tschernobyl an 849 Krebserkrankungen Schuld sei, obwohl gleichzeitig die Zahl der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs, dem viele Strahlenopfer erliegen, nicht gestiegen war. Doch diese Kontroversen sollten nicht von unbestreitbaren Tatsachen ablenken: Seit 1992 sind in der Ukraine 3 300 Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern registriert worden – diese übersteigt den Durchschnittswert um das 30-fache. Riesige Flächen in Weißrussland sind immer noch gesperrt und im europäischen Bewusstsein hat sich die Gewissheit eingebrannt, dass so etwas nie wieder passieren sollte. Befürworter der Kernkraft meinen hingegen, diese Reaktion sei überzogen und betonen, so etwas könne heutzutage nicht mehr passieren.
Größer und produktiver?
Wenn die Kernkraft tatsächlich attraktiver werden soll, dann muss sie billiger werden. Ein staatliches Subventionierungsprogramm könnte da helfen. In Frankreich, wo die Strompreise zu den niedrigsten in Europa gehören, ist der Preis pro Kilowattstunde Kernkraft niedriger als für die gleiche Menge Gas. Aber obwohl durch Kernkraft billiger Strom produziert werden kann, können durch die Entsorgung von Atommüll und der letztendlichen Stilllegung von Atomreaktoren auf lange Zeit erhebliche Folgekosten entstehen.
Die Suche nach billigerer Atomenergie lässt neue Sicherheitsprobleme aufkommen. Frankreich überlegt derzeit, neue Reaktoren zur Wiederaufbereitung von Uranerz zu bauen. So könnten die Franzosen begrenzte Uranvorkommen erhalten. Aber gerade die Wiederaufbereitung von Uranerz ist der umweltschädlichste und gefährlichste Teil des gesamten Brennstoffkreislaufs, und er ist außerdem sehr teuer. Selbst eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die Atomenergie ausdrücklich befürwortet, kommt zu dem Schluss, dass das Erz im Brennstoffzyklus nur einmal genutzt werden sollte.
Unabhängig von unserem Verbrauch müssen wir uns um das hoch radioaktive Abfallmaterial kümmern, das die Kernenergie produziert. Die USA, Schweden und Finnland beabsichtigen, riesige unterirdische Atommülllager zu bauen und sie in den nächsten Jahren instand zu halten. Was in hundert Jahren damit passieren wird, ist unklar – es gibt einfach bisher keine Methode, die Sicherheit solcher Anlagen zu testen, obwohl ein Modell des französischen Forschungsinstitutes CEA die Sicherheit solcher Experimente zumindest teilweise bestätigt.
Die Zukunft hat zwei Gesichter
Selbst wenn man für die Reaktoren in Westeuropa höchste Sicherheitsstandards sicherstellen könnte, bleiben einige Vorbehalte bestehen. Sieben von zehn Beitrittsländern haben Atomreaktoren, und diese zu schützen, wird in Zeiten des globalen Terrorismus schwerer werden als je zuvor. Auch die Nutzung von Atomenergie zur Lösung der weltweiten Energiekrise bringt Probleme mit sich. So geht der Journalist Paul Rogers davon aus, dass sowohl die Technologien als auch die Wissenschaftler eines zivilen Atomprojekts ebenso gut zum Bau von Atomwaffen eingesetzt werden können.
Doch das wird nicht der Sargnagel der Atomenergie sein, sondern die Kosten und die Menge des noch vorhandenen Urans. Zurzeit sind weltweit 440 Atomreaktoren in Betrieb. Wenn man von den derzeitigen Reserven und dem momentanen Verbrauch ausgeht, reichen die Uranvorkommen noch für etwa fünfzig Jahre. Laut Schätzungen des MIT würden die Reserven für lediglich vierzehn Jahre ausreichen, wenn 1000 neue Reaktoren gebaut würden – ein Tropfen auf den heißen Stein des Energiedursts der Erde.
Aber auch die starke Steigerung der Nachfrage, die dies nach sich ziehen würde, würde es nicht wert sein, Erz von geringerer Qualität einzusetzen – derzeit kann weniger als die Hälfte des in Gestein vorkommenden Urans extrahiert werden. Daher sind Erze von niederer Qualität nutzlos.
Zurzeit werden lediglich 6 % des weltweiten primären Energiebedarfs durch Atomenergie gesättigt. Es würde einen untragbaren und gefährlichen Einsatz verlangen, diese Quote deutlich zu erhöhen, nur um zu sehen, wie die Uranreserven versiegen, während wir noch immer Cadillacs fahren. Wir sollten den Weg der Atomenergie nicht noch einmal beschreiten.
Translated from Nuclear nightmares: why it's still not safe