Visionen für ein neues Europa
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Andrea SchindelNur noch wenige Tage bis zur Europawahl... Da wird es Zeit Bilanz zu ziehen und zu sehen, welche neuen Herausforderungen auf die kommenden Spitzenpolitiker Europas warten. Welche Probleme müssen in der neuen Legislaturperiode gelöst werden? Sieben junge Europäer sprechen über Euroskepsis, den Kampf gegen Korruption und den Einfluss der Lobbyisten.
Nach den letzten Umfragen könnten die euroskeptischen Parteien 20 Prozent der europäischen Stimmen bekommen. Marine Le Pen (Vorsitzende der französischen, rechtsextremen Partei Front National) setzt darauf eine Allianz mit der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (dt. 'Partei für die Freiheit') des Niederländers Geert Wilders einzugehen. Dafür müssten mindestens 25 Europaabgeordnete aus sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten zusammenkommen.
„Heimat statt EU-Diktat“
„Die Rückbesinnung auf sich selbst wird immer präsenter. Die Leute denken, dass man sich nicht noch mehr um die anderen kümmern könne, zunächst müsse man an sich selbst denken.“ Einer der Gründe, den Viki (25) aus Österreich als Erklärung für das stärker werdende Anti-Europa-Gefühl angibt. Sie nennt als Beispiel ein Plakat der FPÖ, ehemalige Partei des Österreichers Jörg Haider. Dort steht: „Heimat statt EU-Diktat“. Für Philipp (28) aus Deutschland trägt auch die Unwissenheit über die Rollen der europäischen Institutionen zur Euroskepsis bei. „Die EU achtet kaum auf regionale Besonderheiten. Ich kann verstehen, dass die Bürger ihre Identität verteidigen wollen. Die europäischen Normen gelten gleichermaßen für alle, ob man will oder nicht“, fügt er hinzu.
Die Rechtsextremen mundtot machen?
Um gegen die antieuropäische Stimmung vorzugehen, schlägt Viki vor, dass die Europäische Union Informationskampagnen über ihre Institutionen und Funktionen an Schulen auf die Beine stellen sollte. Sie sagt auch, dass ja bereits viele Informationen frei verfügbar seien, „aber niemand sucht danach“.
Wenn es nach Dora (26) aus Ungarn ginge, sollte man die rechtsextremen Parteien verbieten, „auch wenn ich weiß, dass es eigentlich keine Lösung ist“. Sie schätzt jedoch, dass die Erinnerung an die deutsche Besetzung während des Zweiten Weltkriegs ein großes Problem in der ungarischen Geschichte darstellt. „Die ungarischen Machthaber weisen alle Verantwortung von sich. Sie sagen, allein die Deutschen seien verantwortlich. Aber Ungarn hat genauso dazu beigetragen und damals existierte sogar eine ungarische Nazi-Partei. Eine ähnliche Geschichte mit den Roma oder Juden könnte sich wiederholen...“
Korruption durch und durch
Nach den Korruptionsanalysen von Transparency International sind die südeuropäischen und vor allem die osteuropäischen Staaten am meisten von Korruption betroffen. Die drei neuen EU-Mitgliedstaaten, Bulgarien, Rumänien und Kroatien, kommen jeweils auf einen Korruptionsscore von 43, 41 und 48 von 100.
„Die kroatischen Machthaber sind bestechlich und inkompetent, und jeder weiß darüber Bescheid. Der letzte Premierminister sitzt derzeit wegen einer Korruptionsaffäre im Gefängnis“, erklärt Antonio (25) aus Kroatien.
Ihm nach ist die Korruption in allen Bereichen der kroatischen Gesellschaft präsent, sogar bei der Geldmittelvergabe an studentische Vereinigungen. „Wenn du die richtigen Leute kennst, bekommst du, was du willst“, versichert er.
Der Anthropologie-Student macht der EU keinen Vorwurf, seiner Regierung jedoch schon. „Doch leider kann man nichts machen, um die Korruption einzudämmen.“
Brüssel oder die Lobbyisten-Hauptstadt
Viele Bürger finden, dass sich die EU-Institutionen, insbesondere die Kommission, sich zu sehr auf unbedeutende Themen konzentrieren und sich so im Detail verlieren.
Zum Beispiel im Mai 2013 versuchte die Kommission (vergeblich) die Benutzung von mehrfach verwendbaren Olivenölflaschen auf Restauranttischen zu verbieten. Viele Mitgliedsstaaten, darunter Frankreich, haben sich gegen diese Entscheidung ausgesprochen. „Ich habe mich zu der Zeit gefragt, warum sie ihre Zeit damit vergeuden über Olivenölflaschen in Restaurants zu sprechen“, erinnert sich Philipp.
„Die Europa-Abgeordneten sind wohl nicht kompetent genug und orientieren sich an den Vorschlägen der Lobbyisten“, fährt er fort. Die Interessengruppen sind in Brüssel gut aufgestellt: Mehr als 15 000 Lobbyisten zählt die Hauptstadt Europas.
Im weltweiten Vergleich liegt Brüssel damit auf dem zweiten Platz, hinter Washington, D.C. „Google hat beispielsweise gerade ein Büro in Brüssel aufgemacht. Der amerikanische Riese unter den Suchmaschinen gibt pro Jahr 1,25 Millionen Euro für Lobbying aus“, erklärt Olivier Hoedeman von der Corporate Europe Observatory, einer NGO, die gegen Lobby-Einflüsse arbeitet.
Doku des Tages
Weiteres zur Arbeit von Lobbyisten in der europäischen Hauptstadt findet ihr in der Dokumentation The Business Brussels Documentary. Darin wird auch der so genannte Drehtür-Effekt erklärt, der das Phänomen beschreibt, wenn Spitzenpolitiker oder hohe Beamte aufhören, für die EU zu arbeiten und anschließend in Privatunternehmen anfangen. Ihre politischen Kontakte und Erfahrungen öffnen wiederum Türen für die Lobbyisten.
Die Zitate in diesem Artikel resultieren aus Interviews mit sieben jungen Europäern (zwischen 25 und 30), die vom 21. März bis 05. April 2014 geführt wurden. Sie kommen aus sechs EU-Mitgliedsstaaten: Deutschland, Österreich, Kroatien, Ungarn, Tschechien und Slowenien.
Translated from Nouveau Parlement européen, nouveaux défis ?