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Ukraine: Zukunft der Studenten in den Sternen

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Default profile picture Manuela Markolf

GesellschaftPolitik

Wie viele andere ukrainische Studenten hofft auch Varvara Shmygalyova, dass ihr Land eines Tages der EU beitreten kann. Doch die neusten Entwicklungen in der Bildungspolitik des Landes setzen neue Prioritäten im Kampf um die Zukunft der Ukraine.

Seitdem Wiktor Janukowitsch im Februar Präsident der Ukraine geworden ist, bemüht er sich, an das Erbe der Orange Revolution von 2004 anzuknüpfen. Er verspricht ökonomische Reformen, die nicht selten kleinen und mittleren Unternehmern Probleme bereiten. So möchte Janukowitsch seit dem Machtwechsel vor acht Monaten die Korruption innerhalb der Regierung bekämpfen, zeigt jedoch nur mit den Fingern auf alle anderen politischen Parteien. Seine eigene Partei (Partei der Regionen PR) lässt er bei der Bekämpfung der Korruption außen vor. Nicht einmal einen Monat nach seinem Amtsantritt hat er Dmytro Tabachnyk zum Bildungs- und Wissenschaftsminister ernannt. Damit änderte sich die Debatte um die Bildungsreform in der Ukraine grundlegend.

Richtige und falsche Ukrainer

„Nachdem die neue Regierung gewählt wurde, musste ich meine Zukunftsvisionen ändern“, sagt die 17-jährige Varvara Shmygalyova, die in Kiew Politikwissenschaften studiert. Tabachnyk war von 2002 und 2005, als Janukowitsch noch Premierminister war, dessen Stellvertreter. Er ist ein umstrittener Politiker. Berüchtigt ist er für seine Aussage, dass die Westukrainer, die traditionell als Europa-Befürworter gelten, keine richtigen Ukrainer seien.

Als Varvara und andere Studenten von Tabachnyks Ernennung zum Bildungsminister hörten, machten sie das, was sie 2004 gelernt hatten: Sie gingen auf die Straße, um seine Absetzung zu fordern. Denn auch wenn Tabachnyk versprochen hat, die Reformen fortzuführen und die Korruption im Bildungssystem zu bekämpfen, sehen seine Gegner seine Präsenz in der Regierung als Gefahr für die Stabilität ihres Landes.

„Dmytro Tabachnyks Ernennung hat die Angst der Studenten vor einer Regierung geschürt, die sich weigert den demokratischen Prozess weiterzuführen, der vor sechs Jahren gestartet wurde“, sagt Alexandra Goujon, Professorin am Pariser Institut für politische Studien Sciences Po und Ukraine-Expertin.

Doch gleichzeitig unterstützten tausende anderer Studenten, hauptsächlich aus dem Süden und Osten der Ukraine, diesen Mann, von dem sie glauben, dass er traditionelle ukrainische Werte verkörpert. Laut Alexandra Goujon sei das Land nicht gespalten, in Leute, die eine Zusammenarbeit mit Russland unterstützen und Leute, die sich wünschen, dass die Ukraine Teil der EU wird. „Von einem kulturellen Standpunkt aus gesehen gibt es wahrscheinlich 4 oder 5 verschiedene Ukrainen“, so Alexandra Goujon. Um heikle Themen wie die Bildungsreformen voranzutreiben, hat sich die Regierung bisher noch nicht gekümmert.

Korruption - ein großes Problem

Beamtenbestechung und andere Arten der Korruption sind tief verwurzelt im ukrainischen Bildungssystem. Ein anderes Problem ist, dass Zeugnisse von ukrainischen Studenten, die im Ausland ihren Master oder Doktor erlangt haben, in der Ukraine nicht anerkannt werden. Anstatt diese dringlicheren Probleme anzugehen hat Tabachnyk nun erklärt, dass er sich für mehr russischsprachige Seminare an den Hochschulen einsetzen möchte und hinsichtlich dessen an einem neuen, für alle Lehrstühle obligatorischen Vorschlag arbeite.

Studenten wie Varvara sehen sich selbst als Patrioten, die die ukrainische Sprache und Kultur verteidigen wollen. Sie glauben, dass Tabachnyks Plan den Weg für noch mehr russischen Einfluss ebnet. „Die Ukraine ist ein sehr junges Land. Damit es wirklich unabhängig und eigenständig wird, müssen wir es beschützen und ihm helfen“, sagt Varvara. „Ich mache mir Sorgen, ob sich die Ukraine nochmals gegen den Einfluss von Russland wehren kann.“

Die heutigen Studenten haben all die Veränderungen erlebt, die das Land seit seiner Unabhängigkeit 1991 erfahren hat. Schlechte politische Entscheidungen könnten die Anstrengungen, das Land zu modernisieren, behindern. „Die Jugend ist es gewohnt, den Versprechen der Regierung mit Argwohn zu begegnen“, sagt Lesya Kuruts, eine Master-Studentin, die in einer Stiftung arbeitet, die ukrainische Kultur im Ausland fördert.

Das Bildungsministerium ist sich bewusst darüber, dass seine Politik nicht überall gut ankommt. Regierungsvertreter reisen regelmäßig durchs Land, um Studenten zu treffen und zu beschwichtigen. Aber die Regierung sollte mehr mit den Graswurzelbewegungen arbeiten, die sich aktiv in die Debatte einbringen, anstatt Studentengruppen zu begünstigen, die geschaffen wurden, um die Sicht der Parteien an der Universität zu vertreten, meint Lesya Kuruts.

Jugend bringt sich ein

Varvara studiert an der Kiev-Maohila Academy in der ukrainischen Hauptstadt. Laut Internetseite der Uni sollen Studenten „interkulturelle Fähigkeiten beherrschen, über das heutige Europa lernen sowie sich für die Verbesserung der Bildung in der Ukraine einsetzen“. Aber Studenten wie Varvara sind eine Minderheit in einem Land, in dem das Studium nach wie vor sehr teuer ist, besonders an privaten Universitäten.

Lesya Kuruts schätzt, dass trotzdem bis zu 50 Prozent der ukrainischen Studenten gegen die Politik der Regierung aufbegehren. „Die meisten Proteste finden in Lemberg (lviv), Rivne, Ivano-Frankivsk und Kiew statt. All das sind Städte, die im westlichen Teil der Ukraine liegen“, so Lesya Kuruts. „Die meisten meiner Professoren unterstützen Studenten, die legale Kundgebungen organisieren, um die Öffentlichkeit zu erreichen.“

Doch längst sind die Bildungsreformen der Regierung nicht bei allen angekommen. Nationale Fernsehsender berichten nicht immer über alle Debatten, und die redaktionelle Freiheit der Lokalzeitungen wird oft von politischen Parteien eingeschränkt. Das bedeutet nicht, dass das Volk Tabachnyks Reformen blind akzeptiert. Aber vielleicht haben viele über die Debatte noch nichts gehört oder denken, dass es sie nicht betrifft.

Fotos: ©Delphine Reuter

Translated from Ukrainian students fight uncertain future