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Türkei-Beitritt: Mein lieber Schwede!

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Story by

Anna Patton

Translation by:

Default profile picture Hartmut Greiser

Politik

Schweden ist einer der EU-Mitgliedstaaten, die dem Beitritt der Türkei am offensten gegenüber stehen. Kommt das Thema Türkei während der schwedischen Ratspräsidentschaft erneut auf den Tisch?

„Die Vereinigten Staaten unterstützen nachdrücklich den Antrag der Türkei um Mitgliedschaft in der EU.“ Seit Präsident Barack Obamas Rede in Ankara im April haben sich jedoch sowohl Merkel als auch Sarkozy für eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei und gegen eine Vollmitgliedschaft in der EU ausgesprochen. Der französische Außenminister Bernard Kouchner spricht sich - nach der Aufregung um die Ernennung des dänischen Premiers Anders Fogh Rasmussen zum NATO-Chef im gleichen Monat - jetzt gegen einen türkischen Beitritt aus. Empörte Reaktionen in der Türkei waren wiederum unverzüglich Anlass für die EU-Kommission, die EU-Verpflichtungen gegenüber der Türkei als völlig gesichert zu bestätigen.

Hoffnungen zerschlagen

Derartige Diskrepanzen sind nicht neu. Das Thema Türkeibeitritt ist eines der umstrittensten in der EU. Ankara schloss 1963 ein Abkommen als assoziiertes Mitglied; vier Jahrzehnte später wird die Mitgliedschaft für 2014 erwartet. Offizielle Verhandlungen wurden 2005 aufgenommen. Kader Sevinç, Brüsseler Vertreter der türkischen oppositionellen Republikanischen Volkspartai (CHP), erinnert sich an den hoffnungsvollen Optimismus. „Wir gingen davon aus, dass das Zypernproblem bald gelöst sein würde.“

Frankreich und Deutschland definieren die EU als christlich. Das ist in der heutigen Welt unannehmbar!

Stattdessen kennzeichnete 2005 das Ende eines jahrzehntelangen „Goldenen Zeitalters“ in den Beziehungen mit der EU. Die Türkei bleibt wegen Zyperns EU-Mitgliedschaft verbittert. An eine Lösung für die geteilte Insel ist vor Ende 2010 nicht zu denken. Die Opposition eint ein Gefühl von Verrat und Verwirrung. Nach Sevinçs Ansicht passen die französische und die deutsche Sicht der Dinge nicht mit dem zusammen, was man als europäisches Friedensprojekt bezeichnen könnte. „Sie definieren die EU als christlich. Das ist in der heutigen Welt unannehmbar.“ Auch Sabine Freizer, Türkeiexpertin in der internationalen Krisengruppe mit Sitz in Brüssel, sieht die französischen und deutschen Äußerungen als „äußerst negativ“, weil sie den Eindruck verstärkten, die Türkei verdiene es nicht, Teil der EU zu werden.

Geteilte Verantwortung

„Mehrere Schlüssel-EU-Mitgliedstaaten sind von der Idee heute nicht mehr so angetan wie 2004“, sagt Freizer. In Sevinçs Worten hat „die türkische Seite auch eine Verantwortung, Forderungen zu erfüllen. Seit 2005 haben wir keine ausreichende Bemühung oder Motivation erkennen können.“ Diese Stagnation sei größtenteils auf lokale Unruhen zurückzuführen, mit denen sich die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) konfrontiert sieht, ist Freizer überzeugt. Dazu gehörten auch die Eskalation des Konflikts mit der terroristischen PKK und das zeitweilig drohende Parteiverbot wegen eines Verstoßes gegen die säkulare Ordnung.

Bei einer Rede in Brüssel gab Erdoğan im Januar zu, dass die Krise die Gespräche verzögert und der öffentlichen Unterstützung für den EU-Zugang geschadet habe. Der Bericht der EU-Kommission aus dem Jahr 2008 stellt fest, dass das Tempo der Reform den EU-Erwartungen weder entspreche, noch seien ausreichend Personal oder Ressourcen eingeplant. Die versprochene neue Verfassung sei nicht in Sicht. 2009 schien sich ein neuer Anfang anzubahnen: Erdoğans Besuch in Brüssel war sein erster seit 2004, und im Januar wurde der neue Posten des Hauptunterhändlers für EU-Themen geschaffen. Und trotzdem: EU-Beamte sprechen heute verzweifelt von der türkischen „Trödelei“ beim Reformprozess.

Von den 35 zu verhandelnden Themen konnte bislang nur eines erfolgreich abgeschlossen werden. Im Mai meint Sevket Pamuk, Professor für türkische Studien in Brüssel, die EU solle beweisen, dass „sie kein introvertierter Klub ist, der der Philosophie vom Konflikt der Zivilisationen anhängt, sondern einer, der sich an die Kopenhagener Kriterien hält.“ Ein EU-Vertreter erwiderte, dass es jetzt an der Türkei sei, den Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen - und aufzuhören, andere verantwortlich zu machen.

Wenn das Volk „Nein“ sagt

©ccarlstead/flickrEine Eurobarometer-Umfrage kam 2008 zu dem Ergebnis, dass nur 31% der EU-Bürger für einen Beitritt der Türkei waren. Neben der Einschätzung, dass „die Türkei noch nicht ausreichend europäisch“ sei, kann auch eine Erweiterungsmüdigkeit die Ursache dafür sein, dass die Opposition stärker wird, glaubt Freizer. Solange Bestechungen in Bulgarien nicht in den Griff zu bekommen sind, wird die Ansicht vorherrschen, dass man die Erweiterung „vorsichtiger angehen solle“. Die europäische Rechte - und nicht nur die extreme Rechte - ist nach Ansicht von Binnaz Toprak, Professor an der Bahcesehir Universität in Istanbul, das Haupthindernis für die Türkei. Christdemokratische Parteien in Europa haben klargestellt, dass die EU für sie eine christliche Union sei. Vor den europäischen Wahlen veranstaltete die französische rechte UMP eine Kampagne mit dem Versprechen, die Türkei aus der EU zu halten.

Euroskeptiker in der Türkei und die Türkei-Skeptiker in der EU haben sich ununterbrochen gegenseitig befruchtet.

Nach Freizers Aussage beschädigt die nachlassende Unterstützung innerhalb der EU die Vertrauenswürdigkeit der Union bei den Türken. Nach Eurobarometer-Umfragen hatten im Jahr 2005 in der türkischen Öffentlichkeit 61% ein positives Bild der EU. Bis zum Herbst 2008 war dieser Wert auf 41% gefallen. Die Popularität des EU-Projektes begann 2005 abzunehmen, und - wie Prof. Pamuk sich ausdrückte - „die Euroskeptiker in der Türkei und die Türkei-Skeptiker in der EU haben sich seitdem ununterbrochen gegenseitig befruchtet“. 2008 sagten 61% der Türken, dass sie einen Beitritt zur EU begrüßen würden, verglichen mit 71% bei den Kroaten und kolossalen 94% in Mazedonien.

Welches Türkeibild soll man vermitteln?

2008 gab es eine „Nation-Branding“-Studie von Anholt-GfK Roper, die die Wahrnehmung einer Nation misst. Darin kam die Türkei unter 50 Ländern - nach China und Russland - auf den 36. Platz. Sevinç sagt, dass ihre Partei zum Teil auch deshalb ein Brüsseler Büro eröffnet habe, um dieses schlechte internationale Image zu korrigieren. „Die fehlende Kommunikationsstrategie ist das größte Problem - die Türkei ist zurzeit nicht ausreichend befähigt, ihre Position zu bestimmten Themen zu erklären.“ Beim Umgang mit Brüssel habe die Türkei eine Art „Gleichheitskomplex“, sei vielleicht sogar arrogant, meint die Brüsseler Anthropologin Bilge Fira. „In der Türkei erkennt man zwar allmählich den Kommunikationsbedarf, ich bin mir aber nicht sicher, ob die Themen klar sind.“

Das Image der Türkei bleibt dadurch geprägt, wie dort mit den Menschenrechten und den Minderheiten umgegangen wird. Aber die zunehmende internationale Bedeutung als wichtiger Partner der NATO und in der Nahost-Diplomatie könnte helfen, negativen Wahrnehmungen entgegenzuwirken, das gilt übrigens auch für die Beziehungen zu Armenien. Die eindrucksvolle Leistung bei den jüngsten Kommunalwahlen der CHP, einer weltlichen, sozialdemokratischen Partei, die besonders für die Rechte der Frauen eintritt, könnte auch zu einem ausgewogeneren Bild im Ausland beitragen. Im Januar offenbarte die WTO, dass die Türkei eines der wenigen Länder sei, das sich dem globalen Abschwung des Tourismus 2008 widersetzt habe. Istanbul ist zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 ernannt worden.

Schweden, einer der Türkei-freundlichsten Mitgliedstaaten, übernimmt ab Juli 2009 die EU-Ratspräsidentschaft. Dies wird aber vermutlich nicht ausreichen, um Verhandlungen auf den Weg zu bringen. Nach Bilge Firats Erkenntnissen ist der Trennungsgraben tiefer als viele zugeben. „Türken und Europäer spielen bei ihren Verhandlungen in zwei völlig unterschiedlichen Ligen. Wenn ich beurteilen soll, was ich in der Praxis so beobachte, dann muss ich sagen, dass ich bei den Beteiligten kaum gemeinsame Interessen erkennen kann.“

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Translated from Run-up to Swedish EU presidency: Turkey-EU blame game