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Tolle Knolle - Wie die Kartoffel Europas Agrarpolitik verkörpert

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Barbara Braun

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Was verbindet die Europäer mehr als die Kartoffel ? Als Bratkartoffel oder Pommes, püriert, im Teig verarbeitet oder sogar in flüßiger Form, diese vielseitige Knolle ist in jeder europäischen Küche zuhause. Doch gleichzeitig führt sie auch zu größeren Uneinigkeiten innerhalb Europas. Agrarsubventionen, biologische Anbautechnicken, geschützte Ursprungsbezeichnungen, so viele Themen die den Alltag tausender Landwirte beeinflussen und für zahllose Diskussionen zwischen den verschiednen Nationen sorgen. Um den sozialen und politischen Einfluss der Kartoffell besser zu verstehen hat sich Aurélie auf eine Kartoffeltour quer durch Europa begeben.

Am 14. Juli sind in Frankreich alle mit den Vorbereitungen für den Nationalfeiertag beschäftigt. Ich nicht. Gewappnet mit meinem Fotoapparat, meinem Interrail Ticket und jeder Menge Fragen, begebe ich mich auf die Suche nach Kartoffelfans quer durch Europa um herauszufinden, warum diese Knolle einen so wichtigen Platz in der kollektiven europäischen Kultur einnimmt.

4 000 Kartoffelnuancen

"In Schweden gibt es rund 100 Kartoffelsorten. In Lulea im Norden des Landes baut man die Amande-Sorte an die sich gut an die langen Tage anpasst" die das Klima in Nordschweden kennzeichnen. Das gilt nicht für alle Sorten, erklärt uns Anders Andersson bei einem Frühstück auf seiner Veranda. Er ist der Präsident des Kartoffelbauernvereins "Potatisodlarna". Er weiß auch, dass "95% der in Schweden produzierten Kartoffel auf den schwedischen Markt kommen. Die Schweden wollen schwedische Kartoffel."

Am anderen Ende Europas finden wir bei Agoston Nobilis das gleiche Denkschema wieder. Er baut auf den Feldern seiner Familie in Szàr, knapp eine Autostunde von Budapest entfernt, Biokartoffeln an. Auch wenn "Bioprodukte in Ungarn vor allem von Großkonzernen verkauft werden", besteht er und sein Team darauf ihre Kartoffeln auf dem lokalen Markt zu verkaufen, unter anderem an ein Dutzend Restaurants in Budapest. Verkosten kann man Agostons Kartoffeln im "Stand25Bisztró", im "Traktor Farmfood" oder im "Hilda".

"Man kann durchaus überleben indem man nur Kartoffeln isst."

"Ihr Nährwert ist sehr hoch. Man kann durchaus überleben indem man nur Kartoffeln isst", behauptet Romain Cools, Präsident des World Potato Congress. Das bestätigt auch das Fritten-Museum in Brügge. Eine Information die gleich im Eingang des Museums hervorgehoben wird. Der Nährwert der Kartoffel ist aussergewöhnlich gut : 200 Gramm Kartoffeln beinhalten 40% des täglichen Vitamin-C-Bedarfs, 10 bis 15% des für die Produktion von roten Blutkörperchen nötigen Magnesium- und Eisenbedarfs sowie 50% des Potassiumbedarfs der für einen gesunden Herzrhythmus sorgt. Außerdem besteht die Knolle zu 80% aus Wasser, ist fettfrei und kalorienarm. Eigenschaften die auch meine Großeltern ständig wieder unterstreichen, vor allem wenn sie über das Leben in Kriegszeiten erzählen. Die Kartoffel ist ein zentraler und erschwinglicher Teil der Ernährung der Europäer und wird heute in allen möglichen Variationen serviert.

Auch wenn das Frittenmuseum nicht verrät ob die berühmten "Frech fries" nun tatsächlich französischen Ursprungs sind, so haben die belgischen Frittenbuden doch ihr eigenes Rezept: Tierisches Fett statt Bratöl. Vor Ort oder zum Mitnehmen, das Frittenstanitzel ist eine volle Mahlzeit. Im Gegensatz zu den deutschen "Pommes" die nur eine Beilage zum Döner oder zur Currywurst sind. Die Currywurst ist übrigens auch ein typisches Gericht des zweiten Weltkrieges. Weiter im Norden, in Finnland, findet man die Kartoffel zum Beispiel in der traditionellen Lachssuppe. Das kommt nicht von ungefähr, haben mir meine finnische Freunde erklärt: Im Land des Weihnachtsmannes ist die Kartoffel genauso wichtig wie Weissbrot in Frankreich. Es gibt sie immer und überall, ganz besonders bei älteren Menschen.

Pierogi sind polnische Raviolis, gefüllt mit Kartoffeln
Pierogi sind polnische Raviolis, gefüllt mit Kartoffeln © Aurélie Pugnet

Quer durch Europa begeistert die Kartoffel aber nicht nur unsere Großeltern. McDonald's, KFC und andere Fastfoodketten können das bezeugen. Sie ist ein generation- und kulturüberschreitendes Nahrungsmittel. Deshalb muss sie sich auch neuen Trends anpassen. Die Menschen sorgen sich immer mehr darum, was sie essen, und setzen deutlich mehr auf biologisch angebaute Nahrungsmittel. Also müssen auch die Kartoffelkulturen grüner werden.

"Grüne" Pommes

Ich treffe Orsolya Papp in ihrem Labor in Budapest. Sie ist Wissenschaftlerin am ungarischen Forschungsinstitut für Biolandwirtschaft (ÖMKi) und spezialisiert im Kartoffelanbau. Anhand von Tabellen, jeder Menge Zahlen, komplizierter Namen und Fotos von kranken Kartoffeln erklärt mir Orsolya Papp warum es notwendig ist weiter über die Kartoffel zu forschen und wie das gemacht wird, denn jede Kartoffelsorte hat unterschiedliche Bedürfnisse. Daher eignen sich auch nicht alle für den biologischen Anbau. Die Forschungsprojekte sollen herausfinden, welche man "grüner" anbauen kann. Sie erklärt mir außerdem, dass biologische Landwirtschaft mehr manuelle Arbeit benötigt während man in der gewöhnlichen Landwirtschaft mit chemischen Mitteln Kakerlaken oder Unkraut leichter bekämpfen kann. Auch die herkömmliche Maschinen eignen sich oft nicht für kleinere und empfindlichere Anbauflächen.

Kartoffelanbau
Kartoffelplanzen in Podole Wielkie in Polen © Aurélie Pugnet

Der ungarische Jungbauer Agoston Nobilis baut auf den Feldern seiner Familie, knapp eine Stunde von Budapest entfernt, Biokartoffeln an. Er hat Landwirtschaft studiert und sich dann für ein Leben als Bauer entschieden, weil "biologische Landwirtschaft es ermöglicht zu lernen wie die Natur ohne chemische Eingriffe funktioniert. Und weil die konventionelle Landwirtschaft schlechte und viel zu intensive Auswirkungen auf die Kulturen hat."

Doch lohnt sich das? Laut Orsolya und Agoston: nein. Agoston erklärt zum Beispiel, dass die Kartoffel ohne chemischen Produkte weniger gut wachsen. Dazu kommen noch die zusätzlichen Arbeitsschritte die eine chemiefreie Landwirtschaft benötigt. Trotz der vielen Herausforderungen ist Orsolya allerdings davon überzeugt, dass das Thema rund um Bio und die damit verknüpften Herausforderungen wichtig sind: der Umweltschutz, die Gesundheit der Konsumenten und qualitativ bessere Nahrungsmittel. Mit den Bildern der ungarischen Felder im Kopf steige ich wieder in den Zug.

Europäische Subventionen: ein Hoffnungsschimmer?

Die Landwirtschaft ist ein wichitger Teil der kulturellen Identität Europas. Sie ist ein Eckpfeiler der EU, wie es die Einführung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bereits im Jahr 1962 bewiesen hat. Auf dem Weg zu den Feldern erklärt mir unser Biobauer, wie die GAP heute funktionniert: man erhält einen festen Betrag pro Hektar wenn man Lebensmittel anbaut. Wenn es sich um einen biologischen Anbau handelt, erhält man eine höhere Summe - ca. 130 Euros pro Hektar in seinem Fall. Der Rest der Subventionen kommen vom Staat.

In Ungarn verteilt die Regierung beispielsweise höhere Unterstützungen für konventionelle Landwirtschaft. Der Unterschied bei den Unterstützungen ist also zu groß um neue Produzenten mit finanziellen Anreizen anzuziehen. In Schweden ist es genau das Gegenteil: Biolandwirte erhalten dank des Beitrags des Staates fast doppelt so viel Unterstützung wie konventionelle Produzenten.

"In Ungarn werden Bioprodukte vor allem von Großkonzernen verkauft"

Bedarf es höherer Subventionen um eine nachhaltigere Landwirtschaft zu fördern? Dieses Thema sowie generell die Gemeinsame Agrarpolitik deren Aufgabe vor allem ist, die europäische Landwirtschaft zu modernisieren und weiterzuentwickeln, wird im Mittelpunkt der nächsten Budgetdiskussionen der EU stehen.

Für die ungarische Forscherin Orsolya Papp bringen höhere Subventionen für biologische Anbauflächen auch Risiken mit sich. Umstellungen auf einen rein biologischen Anbau wären folglich nur finanziell motiviert. Ihrer Meinung nach könnte das zur illegalen Verwendung von umwelt- und gesundheitsschädlichen Produkten führen. Andererseits bedeutet Bioanbau mehr Arbeit für weniger Ertrag. Eine finanziell motivierte Umstellung der Kulturen scheint daher nicht der lukrativste Weg zu sein, ganz unabhängig von Subventionen vor allem bei Kleinbauern. In der Zwischenzeit frage ich mich immer noch, ob man die Landwirte nicht doch dazu bewegen sollte ihre Aktivitäten in Einklang mit dem Umweltschutz und der Gesundheit der Konsumenten zu bringen.

Weiterlesen : Wie die GAP die europäische Landwirtschaft verändert

Für Romain Cools, unserem "Kartoffelkönig", bedeuten Subventionen "nicht einen Schritt vorwärts in Richtung Zukunft und Innovation, sondern ein Festhalten an der Vergangenheit." Der Sektor hat es geschafft, sich ohne die Europäische Union zu organisieren: "die Produzenten, Händler und Verarbeiter organisieren sich untereinander um den Markt bedienen zu können. Das passiert über verschieden Organisationen für die unterschiedlichen Berufskategorien und -niveaus. Der schwedische Grossproduzent Anders Andersson erhält ebenfalls Subventionen aus dem GAP-Topf für seinen Felder in Hörte am baltischen Meer. Er behauptet allerdings lieber ohne Subventionssysteme arbeiten zu wollen. "Subventionen garantieren zwar die Versorgung mit Nahrungsmitteln, aber die Landwirtschaft sollte von sich aus gewinnbringend arbeiten können." Ein Anstoss zu einer langen Debatte über die Rolle der Europäischen Union bei der Nahrungsversorgung ihrer Bürger und ihres Konsums im Allgemeinen. Zur Erinnerung: die Finanzierungen im Rahmen der GAP betragen 58,4 Milliarden Euro im Jahr 2019, d.h. ein Drittel des EU-Budgets.

Geschütztes Know-How

Bio oder nicht bio, die Kartoffel dient seit Jahrhunderten zur Erzeugung von Alkohol. In Polen, einem der europa- und weltweit größten Kartoffelproduzenten, treffe ich Karin Barris, die Leiterin des polnischen Wodkamuseums in Warschau. Wir trinken polnische Vodkacocktails und machen es uns in den Ledersitzen der Museumsbar gemütlich. Polen produziert weltweit 90% des Vodkas auf Kartoffelbasis, erklärt mir Karin. Vodka ist dort mehr als nur Business; es geht um eine Kultur und eine Identität auf die die Einwohner stolz sind.

Kartoffelkisten in der Brennerei Podole Wielkie
Kartoffelkisten in der Brennerei Podole Wielkie © Aurélie Pugnet

Die Polen versuchen seit Jahren ihren Qualitätsvodka vor der Konkurrenz zu schützen, der manche unfairen Wettbewerb vorwerfen. Vor dem zweiten Weltkrieg gab es in Polen mehr als 1000 kleine Brennereien die Alkohol herstellten, großteils auf Kartoffelbasis. Heute gibt es nur mehr knapp 50. Manche wurden im Krieg zerstört oder in der kommunistischen Ära aufgegeben. Aber dieser Verfall hängt eng mit der starken Konkurrenz zusammen. Alkohol aus China und Usbekistan ist viel billiger. Obwohl die Flaschenetiketten stolz "polnischen Vodka" versprechen, ein weltweit anerkanntes Qualitätsmerkmal wie auch belgische Fritten, handelt es sich um Fälschungen.

Aber der Wind dreht sich. 2013 hat die Europäische Union das Label Polska Wódka in ihr System der geschützten Ursprungsbezeichnungen aufgenommen. Das Logo der Ursprungsbezeichnung auf der Flasche garantiert die Qualität des Produkts das den Polen so viel bedeutet. Die Brennereien müssen für die Nutzung der Ursprungsbezeichnung Polska Wódka eine Reihe an Bedingungen erfüllen: Der Alkohol muss aus einer von 5 Getreidearten (Roggen, Weizen, Gerste, Hafer, Triticale) oder aus Kartoffeln erzeugt werden. Die Hauptzutat muss aus Polen stammen. Alle Produktionsetappen müssen auf polnischen Boden durchgeführt werden. Diese strengen Kriterien garantieren den Ursprung, den Geschmack und die handwerkliche Herstellungsmethode, wie auch beim Parmigiano Reggiano.

Europa ist ein großer Kontinent mit vielen verschiedenen Kulturen. Im laufe meiner Kartoffelreise habe ich allerdings festgestellt, dass die Gewohnheiten und Sorgen im Bereich der Landwirtschaft sehr ähnlich sind. Nach einem Monat auf Tour vom ruhigen Malmö über die Felder Polens bis nach Wien, habe ich junge und weniger junge Menschen getroffen, große Produzenten und bescheidene Landwirte. Eines scheinen sie gemeinsam zu haben: sie alle lieben die Kartoffel. 22 Züge, 5 Flieger, 100 Reisestunden, 10 Länder, ein Dutzend Interviews und viele, viele Kartoffeln später habe ich das Gefühl dass uns diese Gemeinsamkeit so wie viele andere, näher bringen werden. Die Leidenschaft für die Kartoffel hat noch viele glorreiche Tage vor sich. Mit oder ohne GAP.


Diese Reise wurde in Zusammenarbeit mit der europäischen Agentur Interrail ermöglicht.

Mehr über die Kartoffeltour durch Europa auf Aurélies Blog United in the diversity of potatoes

Weiterlesen: Startet eine journalistische Reise mit Interrail und Cafébabel

Translated from Tour d'Europe de la patate : PAC ou pas cap ?