Temur Jakobaschwili: "Russland liebt Georgien, aber nicht den georgischen Staat"
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Hildegard SchneiderObama zu Besuch in Russland, der G8-Gipfel und “militärische Übungen” - im Nachkriegsgeorgien bahnt sich eine heiße Zeit an. Der georgische Vize-Premier (42) zu Nachwuchspolitikern, Familie und gegenseitiger Liebe.
Nach dem fünftägigen Konflikt im August 2008, den Russland problemlos dominierte, hat letzteres weiterhin eine militärische Präsenz in den georgischen Regionen Abchasien und Südossetien, was zur Abspaltung der beiden Regionen von Georgien geführt hat. Russland hat die Unabhängigkeit der beiden Regionen anerkannt. Südossetien hat Anfang Juni sogar ‘illegale’ Wahlen abgehalten. Zehn Monate später, auf einer Konferenz am 27. Juni in Korfu, haben die NATO und Russland ihre bis dato kriselnde Beziehung offiziell konsolidiert: immerhin sind sie aufeinander angewiesen. Sie haben sich darauf geeinigt in einem Punkt weiterhin uneinig zu sein - die georgische Unabhängigkeit von 1991 bleibt weiterhin Zankapfel.
Temur Jakobaschwilis Auftritt in Paris fällt auf denselben Tag, an dem die Überwachungsmission der OSZE in Georgien zu Ende geht. Nur eine 200-Mann starke Beobachtermission der Europäischen Union wir noch in Georgien stationiert bleiben. Es ist nun auch fast ein Jahr her, seitdem Frankreich versuchte, einen Waffenstillstand zu vermitteln, als es die EU-Ratspräsidentschaft innehatte. Den Waffenstillstand haben die Russen immer noch nicht eingehalten.
Während der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft der Tschechen konnte sich Georgien über die so genannte “Östliche Partnerschaft” im Mai der EU annähern. Im Januar haben die USA und Georgien ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft unterzeichnet. Aber vom 30. Juni bis 6. Juli - Tag, an dem Präsident Barack Obama seinen russischen Amtskollegen treffen wird - werden 8.000 russische Truppen “militärische Übungen” an der Georgischen Grenze betreiben.
42Jahre - in der georgischen Regierung gilt das als ‘alt’
Jakobaschwili sieht Obamas Schritt und den anstehenden G8-Gipfel in Italien als “wichtige Treffen an, welche entscheidenden Einfluss auf die Politik nehmen können”. Die Kalorien des Französischen Frühstücks verbrennt er mit Humor. "What To Expect When You Are Expecting [Worauf man sich einstellen muss, wenn man schwanger ist; A.d.R.] lautet der Titel eines Buches zum Thema Schwangerschaft. Etwas Ähnliches brauchen wir auch in der Politik”, lächelt er trocken in Richtung Pershing Hall Hotel in einer Seitenstraße der Pariser Champs Elysées.
Was denken Russen und Georgier denn nun wirklich übereinander? “Wussten Sie, dass die letzten 3 russischen Außenminister aus Georgien stammten?” sagt er während er in seinem Sitz hin- und herrückt. “Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind gut. Wir sind Nachbarn; Nachbarn streiten ständig miteinander. Wir genießen die Kultur des Anderen: Ich habe nichts gegen Tolstoi oder Dostojewski. Eine “Russlandphobie” gibt es im heutigen Georgien nicht, und wenn, dann ist diese marginal. Russland liebt Georgien, aber nicht den Georgischen Staat”.
Die Britische Presse sagt, Medwedew sei Saakaschwili gegenüber abgeneigt. Es sei bekannt, dass der russische Präsident ein Treffen mit seinem georgischen Pendant ablehne. Medwedew ist 43 Jahre alt, Saakaschwili und Jakobaschwili sind 42 - sie sind Teil einer Art ’40-er Elite’, die in den sechziger Jahren geboren wurde. Sie reden Klartext. Jakobaschwili adaptiert den Slogan, Teil der “Schönheit eines post-revolutionären Systems” zu sein. “Wir sind wahrscheinlich die ältesten Minister in Georgien”, fügt er hinzu. “Die meisten sind in ihren Dreißigern. Der Konkurrenzkampf fängt gleich nach der Uni an. Wir hatten früher ein vertikales, politisches System in Georgien: Der Vater war die Nummer eins, die Kinder waren alle gleichberechtigt. Aber der jetzige Präsident hat eine horizontale Linie geschaffen. Alle sind Brüder, er ist ein Bruder. Wir sind zumindest ein Vorbild für junge Leute.”
Jakobaschwili: Europa auf dem iPod
Ich versuche meinem Sohn beizubringen, dass die Welt nicht das ist, was man durch das Fenster von Microsoft Windows sehen kann.
Seit dem 1. Januar 2008 “Staatsminister für Reintegration” zu sein, bedeutete viele Opfer, sagt Jakobaschwili heute. “Meine Familie, meine Hobbies - Ich bin ein Kunstsammler, aber ich habe immer weniger Zeit dafür. Man hat weniger Zeit für sich selbst, bei all den Flügen und Jetlags bleibt keine Zeit für Sport. Mein Arbeitstag beginnt mit dem Computer und endet am Computer. Noch bevor ich morgens in den Spiegel sehe, blicke ich auf meinen iPod. Ich versuche mir selbst und meinem 17-Jahre alten Sohn beizubringen, dass die Welt nicht das ist, was man durch das Fenster von Microsoft Windows sehen kann, sondern das, was man durch sein eigenes Fenster sieht. “Meine Kinder” - Jakobaschwili hat auch eine sechs Jahre alte Tochter - “sind sehr unglücklich darüber, dass ihre Eltern Regierungsbeamte sind. Sie erleben diese Scheinwelt tagtäglich.”
Jakobaschwili und Saakaschwili sind Teil einer mehrsprachigen Elite, die eine Ausbildung im Ausland genossen hat. Der Physikabsolvent von Tiflis hat in Europa an einem Programm für junge Diplomaten in Oxford teilgenommen und war Gastdozent in Schweden. “Es war Dezember, kalt und dunkel als ich unterrichtete”, sagt er. “Aber es war eine gute Zeit, um sich auf Ideen zu konzentrieren und zu vergleichen, was in anderen Ländern funktionierte und was nicht. In dem Buch Democracy in America (1835/ 1840) [Über die Demokratie in Amerika], schrieb der französische Philosoph Alexis de Tocqueville: 'Politiker ziehen Pragmatismus Moralität immer vor' - ich habe Schwierigkeiten, mich zwischen den beiden zu entscheiden.” Moralität, Pragmatismus und ein Portion guten Humor - in sechs Monaten sagt er, während er eine Frage beantwortet und aufsteht, um seine Frau zu suchen (“sie muss sich wohl beim Shoppen auf den pompösen Champs Elysées verlaufen haben”), wird Georgien sich einfach auf “eine neue Zeit vorbereiten.”
Translated from Temuri Iakobashvili: 'Russia loves Georgia; they just don’t love the Georgian state'