Serbiens Weg in die EU: Die Rechung, bitte!
Published on
Translation by:
Bianca KöndgenDie Verhaftung von Radovan Karadzic ist nur eines der Signale, die Serbien setzt, um im Konzert der Nationen wieder mitzuspielen.
Im Laufe der Woche wird Serbien seine Botschafter wieder auf ihre Posten nach Europa zurückschicken. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo waren diese zunächst abgezogen worden. Dies kündigte die serbische Regierung kurz nach der Verhaftung und Übergabe von Radovan Karadzic an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag an. Am 30. Juli wurde der serbisch-bosnische Politiker, der mutmaßlich für den Genozid an 8.000 muslimischen Zivilisten in Srebrenica im Jahre 1995 verantwortlich sein soll, zum ersten Malvor dem UN-Tribunal angehört.
Diese Ereignisse häufen sich nur 2 Monate nachdem die pro-europäischen Parteien (das Bündnis für ein europäisches Serbien ZES und die Sozialisten der SPS) eine neue gemeinsame serbische Regierung gebildet haben. Der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn bezeichnete die Verhaftung als "Eckpfeiler" für die Integration in die EU. Javier Solana, Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wertet seinerseits die Geste der Serben als ein Zeichen von "uneingeschränkter Zusammenarbeit".
Die schwindelerregende Abfolge der Ereignisse verschleiert allerdings einige Widersprüche. Schwer nachzuvollziehen ist, ob Serbien wirklich seine Einstellung zur eigenen Geschichte und Zukunft ändern wird. Laut Alexander Mitic, dem serbischen Chefanalytiker des Instituts 4S (Symbol of Serbian Synergy Scope) in Brüssel und einzigen Auslandskorrespondenten während der Bombenangriffe im Kosovo 1999 "wurden seit der Zeit der konservativen Nationalisten viele flüchtige, angeklagte Kriegsverbrecher verhaftet". Der Spanier Ricardo Angoso, Koordinator der NGO Diálogo Europeo, Experte für den Balkankonflikt und unabhängiger Wahlbeobachter der Vereinten Nationen nuanciert: "Kostunica hat sich in der Öffentlichkeit dagegen ausgesprochen, die flüchtigen Serben an das Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag zu übergeben. Seiner Meinung nach müssten sie vor ein serbisches Nationalgericht gestellt werden."
Kurswechsel mit überraschendem Steuermann
Es ist nur schwer verständlich, dass Karadzic nicht gefasst werden konnte, bis die Sozialistische Partei Serbiens an die Regierung kam. Pateigründer war wiederum Slobodan Milosevic, ehemaliger Präsident Serbiens und Kriegsverbrecher, der seine Hand schützend über Figuren wie Karadzic hielt. Laut Angoso kein Zufall: "Bereits vor vielen Jahren hat die Familie Milosevic die serbischen Sozialisten hinter sich gelassen. Es ist wahrscheinlich, dass Karadzic vom serbischen Geheimdienst beschützt wurde. Mit den proeuropäischen Politikern Tadic und Cvetkovic ist man nun bereit, einen Teil des Eintrittspreises für die EU zu zahlen." Erst vor kurzem ist die Führungsriege des Geheimdienstes ausgewechselt worden.
Für Serbien hat die Aufnahme in die EU ihren Preis
"Wahrscheinlich wird Serbien auch den General Ratko Mladic verhaften müssen, der ebenso für Kriegsverbrechen auf die Anklagebank soll. Auch wenn er als Soldat sicher sein kann, durch das eigene serbische Militär geschützt zu werden", fügt Angoso hinzu. Der sozialistische Innenminister Ivica Dacic hat Mladic öffentlich darum gebeten, sich zu stellen. Die Niederlande sträuben sich bislang am meisten gegen jegliche Abkommen mit Serbien. Sie machen aus der Auslieferung von Mladic eine Bedingung. "Wenn Sie mich fragen", schaltet sich der Spanier erneut ein, "wird Serbien noch eine dritte Rechung zu begleichen haben, um in die EU aufgenommen zu werden: die Anerkennung des Kosovo als eigenständigen Staat." Um in diese Richtung ein Zeichen zu setzen, sind die Botschafter bereits auf ihre europäischen Posten zurückgekehrt.
Lebendiger Nationalismus
Ist Serbien in zwei Lager gespalten wie Spanien nach dem Ende der Diktatur? "Das ist nicht vergleichbar", erklärt Angoso: "In Serbien gibt es keine gesellschaftliche, auf das Milosevic-Regime zurückgehende Basis wie damals die frankistische in Spanien". Die junge Französin Julie Thisse hat drei Jahre als Richteramtsausbilderin des französischen Außenministeriums in Belgrad gearbeitet: "Sie sind Nationalisten. In Serbien gibt es keine Meinungsfreiheit: Man ist zuerst Serbe oder Serbin, dann Mann oder Frau, links oder rechts, gläubig oder ungläubig." Mitic ist anderer Meinung: "Auch wenn ich keine Zweifel daran habe, das sich die Demonstrationen der Karadzic-Anhänger wiederholen werden - er wird von einer Minderheit immer noch für einen Märtyrer gehalten - so glaube ich nicht, dass es sich dabei um ein generelles Gefühl der serbischen Gesellschaft handelt. Es gibt eine Generation von Serben, die danach geboren wurden und noch nie von Karadzic gehört haben."
"Das Gedächtnis der Völker ist kurz und ich bemerke einen gewissen Überdruss in Serbien nach all den Jahren der Fehlschläge und wirtschaftlichen Krisen", fasst Angoso zusammen. Möglicherweise wollen die Serben das Kapitel abschließen. Es stimmt, dass das Land die wirtschaftlichen Beziehungen mit den Nachbarländern auf dem Balkan wie Kroatien und Slowenien ausbaut. Laut Mitic hätten die Nachbarn allerdings kein großes Interesse an einer Versöhnung mit Serbien, sondern "wollen einzig die Rechnung präsentieren". "Vorsicht vor dem albanischen Nationalismus, der sich im Kosovo und Mazedonien ausbreitet", warnt Angoso. "Er ist der gefährlichste in der Region, angesichts einer Integration in die EU. Er wird in Zukunft noch Gesprächsstoff liefern."
Serbiens offene Wunden
"Wut und Traurigkeit" empfindet Angoso, wenn Serbien von anderen Staaten vereinfachend zum Kriminellen herabgestuft wird. "Niemand kritisiert den verstorbenen kroatischen Präsidenten oder den Bosnier Izetbegovic." "Serbiens Wunden sind noch lange nicht verheilt", behauptet Mitic. "Es ist das Land mit den meisten Flüchtlingen, dem ohne Rechtsbasis ein Teil des Territoriums weggenommen wurde. Berüchtigte Verbrecher im Krieg gegen Serbien, wie der Kosovar Haradinaj und der Bosnier Naser Oric, wurden von internationalen Gerichten freigesprochen. Die von der EU akzeptierte Autonomie des Kosovo hat das Vertrauen vieler Serben in Europa geschmälert. Sie sehen es als Verrat an den Gemeinschaftswerten", schließt er.
Translated from Serbia en la UE: la cuenta, por favor