Second Home: Ein theoretischer Schlusspunkt
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Lilian PithanZwei Jahre war Cafébabel Berlin mit dem Projekt "Second Home" beschäftigt, das nun zu Ende geht. Der Fotowettbewerb und die Ausstellung im betahaus und im Centre Marc Bloch drehte sich ganz um die Geschichten junger Europäer, die vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise eine neue Heimat suchen. Diesmal jedoch nicht in Texten, sondern in Bildern.
Bei der Podiumsdiskussion im französischen Forschungszentrum Centre Marc Bloch am 10. April 2014 dreht sich alles um den Fotografen Jean-Paul Pastor Guzmán, den Gewinner des Second Home Fotowettbewerbs. Ausführlich erzählt er, wie seine Bilder entstanden sind und wie er die Geschichten dieser Menschen, die zwischen ihrer Heimat und ihrem neuen Zuhause in der Schwebe leben, gesammelt hat.
Das Publikum im Centre Marc Bloch besteht zum Großteil aus jungen Leuten, die sich in ihrer zweiten Heimat befinden: junge Europäer, die in Berlin studieren, forschen oder arbeiten. Unter ihnen ist auch die Deutsche Elena Tropartz, die in Griechenland aufgewachsen ist, und der Ausstellung ein Foto beigesteuert hat. Sie trage ihre Heimat immer bei sich, erzählt sie, denn keiner ihrer beiden Heimatorte sei ihr vollkommen vertraut - aber ebenso wenig fremd. Das, was sie "Heimat" nennt, ist nicht an einen Ort, sondern an sie selbst als Menschen gebunden.
Von Gastarbeitern hin zu einer Willkommenskultur
Im Konferenzsaal des Centre Marc Bloch, von dessen Fenstern aus man die Friedrichstraße überblicken kann, drängen sich Forscher, Studenten und Praktikanten. Der Ort entpuppt sich als eine gute Wahl, da das Publikum nicht nur zuhört, sondern auch in die Diskussion eingebunden wird. Die Debatte wird dann auch schnell heißer, wenn es nicht mehr nur um Fotos, sondern um den Einfluss von Migranten auf die deutsche Gesellschaft geht. Die französische Soziologin Ingrid Tucci beschreibt den Mentalitätswandel innerhalb der deutschen Institutionen: Während die Gastarbeiter zu Zeiten des Wirtschaftsbooms noch mit eisiger Kälter empfangen wurden, herrsche heutzutage eine angenehme "Willkommenskultur", die in den Migranten vor allem eine Möglichkeit sehe, dem demografischen Wandel innerhalb Deutschlands entgegen zu wirken. Ingrid Tucci kritisiert jedoch viele der Integrationsmaßnahmen, die es jungen, oft hochqualifizierten Migranten immer noch nicht erlaube, einen angemessenen Arbeitplatz zu finden - laut Tucci ein Scheitern des Systems, das zu viel Frustration und enttäuschten Erwartungen führe.
Doch wie ist Second Home ins Centre Marc Bloch eingewandert? Alles beginnt 2012 in Brüssel während der Babel Academy, einer der jährlichen Zusammenkünfte der Cafébabel-Lokalredaktionen. Dort wird die Idee zu einer Reportageserie geboren, die Geschichten junger europäischer Berufstätiger sammelt, die auf der Suche nach einem Arbeitsplatz ihre Heimat verlassen. Was haben sie vorgefunden? Wie hoch ist der Preis? Was haben sie zurückgelassen und was haben sie gewonnen? Im Projekt vereint sind die Lokalredaktionen in Berlin, Wien, Budapest, Belgrad, Warschau und Neapel. Es folgen Monate der Koordination, der Recherche, der Interviews und Reisen, immer auf der Suche nach Geschichten, die eine ganze Generation auf dem Sprung abbilden. "Second Home" wird schließlich von der Wochenzeitung Der Freitag mit dem Preis Europa der Bürger ausgezeichnet, wobei die Jury besonders die mit dem Projekt angestrebte Schaffung einer gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit lobt.
"Meine heimat liegt in mir selbst"
Dank des Preisgelds kann die Redaktion von Cafébabel Berlin einen Fotowettbewerb ausschreiben, um die Geschichten der neuen Heimatsucher nicht nur im Text, sondern auch in Bildern zu erzählen. Gewinner des Second Home Fotowettbewerbs ist der deutsch-chilenische Fotograf Jean-Paul Pastor Guzmán, der auf dem Podium des Centre Marc Bloch erzählt, wie genau seine Bilder entstanden sind. Am Anfang standen abstrakte Statistiken über Migrationsbewegungen in Europa, denen er die Gesichter wirklicher Migranten entgegen setzen wollte. Die Suche nach Modellen in Sprachschulen, auf der Straße, in Internet und Freundeskreis war nicht einfach, aber am Ende fand er doch zehn junge Griechen, Italiener und Spanier, die sich für sein Fotoprojekt hello crisis! (2013) porträtieren ließen.
Viele von ihnen würden Elena Tropartz sicher zustimmen, wenn sie unterstreicht, dass sie ihre Heimat immer bei sich trage. In der Schwebe zwischen verschiedenen Lebensphasen, im Raum und in der Zeit, zwischen verschiedenen Kulturen, die sich im Laufe eines Lebens durchmischt haben, führt die Suche nach dem Ursprung, nach einer Heimat, oft ins Innere. Für die Söhne und Töchter der immerwährenden Bewegung ist aber auch das ein sich entziehender Ort. Angesichts solch tiefschürfender Diskussionen ist die fotografische Auseinandersetzung mit dem Thema "Heimat" vielleicht sogar anderen Arten künstlerischer und intellektueller Reflexion überlegen: Schließlich lässt sich "Heimat" als Gefühl am besten an Gesichtern ablesen.
Translated from SECOND HOME: Il Gran Finale