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Schwulenszene in Istanbul: "Wir haben die Eier, es laut zu sagen"

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Sakir Yilmaz und sein Partner behaupten, die Besitzer der ersten öffentlichen Schwulenbar Istanbuls im bekannten Partyviertel Beyoğlu zu sein.

Die Homophobie in der Türkei habe Fälle physischer und sexueller Gewalt zur Folge. Die Morde an mehreren Transsexuellen und Transvestiten seien beunruhigende Entwicklungen, stellt der Bericht der EU-Kommission von 2009 über die Erweiterung und den Beitritt der Türkei fest. Trotzdem gibt sich die Schwulenszene in Istanbul zunehmend offener. An der Gay Pride 2010 nahmen in diesem Jahr 5.000 Leute teil; die erste Transgender-Parade fand im Juni statt. Wir haben zum ersten Geburtstag der Schwulenbar mit einem der Gründer des Frappé Istanbul gesprochen.

Cafebabel.com: Wie waren die Reaktionen nach der Eröffnung des Frappé Istanbul im Oktober 2009?

Sakir Yilmaz: Wir waren die ersten in der Türkei, bei denen draußen ein Gogo-Tänzer auftrat. Und selbst die Polizei hat nichts gesagt. Aber es war ja auch nur ein Tanz, wir hatten keinen Sex in der Öffentlichkeit, sondern einfach nur unseren Spaß. Istanbul ist immer noch ziemlich konservativ. Die Schwulenszene betreibt ihre eigenen Clubs und Läden und lebt ihre Homosexualität, aber man trägt seine sexuelle Orientierung nicht nach außen. Türkische Schwule haben Angst um ihre Familien und der öffentliche Druck ist immer noch ziemlich groß. Vor einigen Monaten wurde im Norden der Stadt ein anderer Club namens 34.5 eröffnet. Der hielt sich allerdings nur 2 Wochen.

Cafebabel.com: Warum hat das 34.5 zu gemacht?

Sakir Yilmaz: Der Laden hatte nicht genug Kunden. Der Besitzer ist ein bekannter Geschäftsmann, aber man weiß nur in der Szene, dass er schwul ist. Er hat den Club unter dem Namen seines Freundes eröffnet, aber jeder aus der Szene wusste, dass es sein Club ist. Den Namen kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Außerdem war der Club auch nicht nah genug. Die Leute mögen es von einem Ort zum anderen zu ziehen. Unsere Gegend (Beyoğlu/ Taksim) ist ein lässiger Ort, sozusagen das Zentrum des Nachtlebens in Istanbul. In der Türkei schließen die meisten Clubs für Homosexuelle aufgrund mangelnder Geschäfte und Publicity schnell wieder. Nur das Privé, das es schon seit fast 20 Jahren gibt, und der zweite bekannte Club - das No Name - der dem gleichen Inhaber gehört, konnten sich dauerhaft durchsetzen.

Cafebabel.com: Aber werbt IHR nicht damit, die erste öffentliche Schwulenbar Istanbuls zu sein?

Sakir Yilmaz: Wir sind die ersten, die auch tatsächlich öffentlich zeigen, dass wir eine Schwulenbar betreiben. Deshalb haben wir auch die Regenbogenflagge draußen gehisst. In Istanbul gibt es fast 30 Bars und Clubs, die nicht die Eier dazu haben offen zuzugeben, dass sie schwulenfreundlich sind. Es heißt dort immer ‘Jeder ist willkommen‚, aber sie drängen damit die Gay-Community an den Rand, von der erwartet wird, dass sie weiß, welche Bar nun ‚schwul‘ ist und welche nicht.

die Leute leben teilweise echt hinter dem Mond..."

Cafebabel.com: Und warum hattet ihr gerade die Eier?

Sakir Yilmaz: Jemand musste doch irgendwo anfangen. Ich habe 13 Jahre lang in London gelebt, wo nicht jeder Schwule am Rande der Gesellschaft lebt. Wir können anständige und ehrliche Menschen sein. Wir kleistern uns nicht alle die Gesichter mit Make-up zu oder haben gegelte Kurzhaarfrisuren. Wir sind ’wer‘. Sich schräg anzuziehen macht es meistens noch schlimmer, weil die Leute dann denken, dass du ein lasterhaftes Leben führst. Schwule Bars und Clubs werden in Istanbul auch tendenziell eher im Untergeschoss eröffnet, in Kellern und mit hohen Sicherheitsstandards - das ist ein Problem in der Türkei. Die Menschen im Land, die uns in diesen Clubs verkehren sehen, denken, dass Homosexuelle schmutzig sind. Doch wir verstecken uns vor niemandem. Ich habe seit 4 Jahren eine feste Beziehung und betrachte mich selbst als menschliches Wesen. Und genau diese Message wollen wir auch als erste öffentliche Gay-Bar in diesem Land vertreten. Die Reaktionen der Medien waren teilweise negativ. Sie nannten uns Lügner, weil es schon mehrere Lokalitäten für homosexuelles Publikum in Istanbul gibt. Aber keiner war bisher so mutig wie wir. Unser Ziel ist es der Öffentlichkeit und auch unseren Freunden beizubringen, dass sie sich wegen ihres Lebensstils nicht verrückt machen müssen.

Cafebabel.com: Für die Öffentlichkeit ist 'schwul' also immer noch gleichbedeutend mit 'schmutzig'?

Sakir Yilmaz: Das Fernsehen zeigt Homo- und Transsexuelle, die in der Türkei immer noch umgebracht werden. Normale Leute kennen entweder keine Schwulen oder wissen nichts über deren sexuelle Orientierung. Der Islam verbietet den Sex mit unverheirateten Frauen und der Jungfräulichkeit einer zukünftigen Braut wird eine extreme Bedeutung zugemessen. Warum man dann aber Sex mit Prostituierten hat und gleichzeitig verlangt eine Jungfrau zu heiraten, ist mir ein Rätsel. Aber das ist Teil der Kultur. Die Männer, die sich keine Prostituierte leisten können, finden für gewöhnlich einen passiven Typen, mit dem sie schlafen können. Das ist hier auch nichts Ungewöhnliches. Vor ein paar Wochen erschien ein Artikel in einer türkischen Zeitung, in dem über drei Männer berichtet wurde, die einen Golden Retriever vergewaltigten. Tierschutzgesetze stecken bei uns noch in den Kinderschuhen, also werden sie wohl ohne eine Strafe davonkommen. Unser Land braucht mehr Bildung.

Cafebabel.com: Kann man in der Türkei schwul und gleichzeitig gläubig sein?

In Istanbul gibt es über 30 Schwulenbars und -restaurants - aber zeigen sie das auch in der Öffentlichkeit?Sakir Yilmaz: Nein. Jede Weltreligion verbannt die Homosexualität. Im Islam kannst du sündigen, solange du dir über deine Sünde bewusst bist und Allah um Vergebung bittest. Ich habe viele schwule Freunde, die während des Ramadans weder Alkohol trinken noch Sex haben, bevor sie wieder zum Alltag zurückkehren. Auch ich bin früher in die Moschee gegangen, aber wenn du einmal anfängst deine Sexualität zu reflektieren, hinterfragst du automatisch auch die Religion.

Cafebabel.com: Wie sieht die Gesetzeslage für Homosexuelle in der Türkei aus?

Sakir Yilmaz: Die Homosexualität ist in der Türkei zwar nicht illegal, aber die Polizei bedient sich oft der Moralvorstellungen der Öffentlichkeit. Küssen ist zum Beispiel Teil der türkischen Begrüßungskultur, aber in manchen Gegenden kann man für einen Kuss auf den Mund verhaftet werden; was du tust schadet der Öffentlichkeit. Bestraft wird man für gewöhnlich mit einer Geldbuße.

Cafebabel.com: Gibt es Anzeichen dafür, dass sich die Mentalität in Istanbul verändert?

Sakir Yilmaz: Die Medien informieren die Menschen zwar über Homosexualität in der Türkei. Sie rücken dabei aber oftmals Aspekte der Homophobie in den Vordergrund. Vor ungefähr zwanzig Jahren gab es hier keine wirkliche Schwulenfeindlichkeit. Jetzt aber trifft eine offenere Schwulenkultur auf eine wachsende Schwulenfeindlichkeit. (Sakir begrüßt eine vorbeigehende Frau) - Das ist eine Transgender-Aktivistin! Schaut uns an, bei uns verkehren nicht nur Schwule, Transvestiten oder Bisexuelle, sondern einfach jeder, der sich bei einem Kaffee unterhalten will.

Frappé Istanbul,  İstıklal Cad. Zambak Sok. No.10/A, Beyoğlu, İstanbul

Fotos: ©Cédric Audinot/ Mit Dank an Bülent Kilic

Translated from Gay culture in Istanbul: ‘We have the balls to say it out loud’