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Rumäniens Jugend gegen die Korruption

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Angi und Daria sind nach der Revolution von 1989 geboren, in einem Land auf dem Weg zur Demokratie. Doch seit 2015 ist diese Entwicklung ins Stocken geraten. Dreißig Jahre nach dem Ende des Kommunismus setzen sie sich mit ihrem Kollektiv gegen die Korruption ein und für ein Land, dass den europäischen Standards entspricht.

Eine Studie der Stiftung Eurofound aus dem Jahr 2006, lässt Rumänien als europäischer Spitzenreiter in Sachen Korruption in den Bereichen Bildungswesen, Krankenhausdienstleistungen und Kinderbetreuung hervorgehen. Anfang Januar 2020 wurde ein Universitätsprofessor zu acht Jahren Gefängnis verurteilt weil er von mehreren Studenten Bestechungsgelder angenommen hatte.

Bestechung scheint hier allgegenwärtig, manchmal auch mit tödlichen Folgen. 2015 starben 64 Personen bei einem Brand in dem Nachtclub „Colectiv“. Das Gebäude entsprach nicht den Sicherheitsstandards, trotzdem hatten die zuständigen Behörden seit Jahren keine Kontrollen durchgeführt. Dieser Vorfall führte zum Rücktritt der sozialdemokratischen Regierung und leitete einen Bewusstseinsschub in der rumänischen Gesellschaft ein. Mehrere Vereine und Bürgerbewegungen wurden gegründet um die Korruption zu bekämpfen. Doch im Dezember 2016 kam die sozialdemokratische Partei (PSD) wieder an die Macht. Bis zu ihrem Sturz 2019 führte sie einen regelrechten Kampf gegen die Unabhängigkeit der Justiz und gegen Antikorruptionsgesetze durch. Sie führte sogar eine Instanz ein, die sie damit beauftragte Untersuchungen gegen Richter durchzuführen.

Daraufhin wurde Rumänien mehrmals von der Europäischen Kommission ermahnt. 2019 drohte diese Rumänien mit dem Artikel 7 des Vertrages der Europäischen Union. Dieser sieht die Einleitung eines Gerichtsverfahrens im Fall eines schwerwiegenden Verstoßes gegen den Rechtsstaat vor.

Angi und Daria gehören zum Kollektiv „Coruptia Ucide“. Beide junge Frauen sind entschlossen die Verhältnisse in ihrem Land zu ändern.

Wann und warum wurde euer Kollektiv gegründet?

Angi: „Coruptia Ucide“ bedeutet „Korruption tötet“. Die Gruppe wurde 2016 von Florin Badita nach dem Brand in dem Nachtclub „Colectiv“ in Bukarest bei dem es 64 Tote gab, gegründet. Alles hat mit einer simplen Facebook-Seite angefangen. Heute hat sie 140 000 Follower. Wir gehören zu einem Netzwerk von Kollektiven und Vereinen die sich für eine größere Transparenz im öffentlichen Leben einsetzten.

Welche Aktionen führt das Kollektiv durch?

Daria: Das Ziel ist es die Korruption aktiv zu bekämpfen und zu reduzieren. Wir beobachten was um uns herum geschieht und melden was uns gesetzwidrig erscheint. Wir organisieren regelmäßig Demos auf dem Platz des Sieges vor dem Regierungssitz wenn Maßnahmen zur Schwächung der Antikorruptionsgesetze verabschiedet werden. In zweieinhalb Jahren haben wir mehr als 3000 Anfragen bezüglich der Verteilung und der Finanzierung von öffentlichen Aufträgen gestellt und wir haben viele Unregelmäßigkeiten entdeckt. Wir organisieren auch Workshops, Vorträge und Filmvorführungen um das allgemeine Bewusstsein über Korruption zu wecken. Damit wir neutral und unabhängig bleiben haben wir zu keiner Partei Verbindungen. Wenn jemand Politik machen will dann muss er aus dem Kollektiv austreten.

Was hat euch dazu bewegt euch zu engagieren?

Daria: Im Januar 2017 hat die Regierung versucht, das Strafgesetzbuch zu ändern. Hunderttausende Menschen sind spontan auf die Straße gegangen oder weil Kollektive wie wir sie dazu aufgerufen haben. Das war die größte Mobilisierung seit dem Ende des Kommunismus. Das Reformprojekt wurde aufgegeben, aber die Angriffe auf den Rechtsstaat haben nicht aufgehört. Damals waren Politiker an der Macht die direkt von den Antikorruptionsgesetzen betroffen waren wie der Chef der PSD Liviu Dragnea ( Dragnea wurde im Mai 2019 zu 4 Jahren Gefängnis wegen Machtmissbrauch verurteilt, ndlr). Eines Abends habe ich mich mit einer Freundin über darüber unterhalten und wir haben so viel Frust und Wut verspürt, dass wir beschlossen haben erneut auf die Straße zu gehen. Vorher habe ich versucht ein normales Leben zu führen mit einem Job, Freunden, Hobbies, aber wenn solche Sachen um einen herum geschehen dann muss man handeln. Seitdem habe ich an zig Demonstrationen teilgenommen.

Angi: Ich hatte den Eindruck, dass es nicht genug war jedes mal auf die Straße zu gehen wenn die Unabhängigkeit der Justiz bedroht wurde. Ich bin zu einem Treffen des Kollektivs gegangen und fühlte, dass ich hier effizient handeln konnte. Heute bin ich überzeugt, dass ich hier richtig bin. Das System hat mich dazu gebracht zu handeln und die Leute die sich hier für Veränderung einsetzen haben mich überzeugt zu bleiben.

Was hat sich seit den Demonstrationen 2017 geändert?

Angi: In zwei Jahren ist alles gekippt. Ich habe mich verändert sowie viele andere auch. Die Zivilgesellschaft hat mehr Gewicht, sie ist strukturierter und engagierter als vor dieser Protestbewegung. Die Bürger sind aufmerksamer über das was sich in der politischen Arena treibt und welche Gesetze verabschiedet werden. Jetzt wird in der U-Bahn, auf der Straße und in den Schulen über Politik geredet. Das ist neu.

Daria: Unter anderem zeigt unsere Aufklärungskampagne für demokratische Werte ihre Wirkung: Die Wahlbeteiligung an den Europawahlen ist zwischen 2014 und 2019 um 17% gestiegen und dieser Zuwachs ist besonders bei den jungen Leuten stark bemerkbar. Die Rumänen haben begriffen was für ein Gewicht ihre Stimme hat und haben sie dementsprechend genutzt. Wir während den Demos treffen wir oft Oberstufenschüler die uns sagen, dass sie noch kein Wahlrecht haben, sie sich aber auf ihre Art und Weise engagieren wollen. Das gibt uns Hoffnung. Die Situation in Rumänien entwickelt sich unserer Meinung nach in die richtige Richtung. Die junge Generation ist weniger tolerant gegenüber der „alltäglichen“ Korruption. Das verdanken wir auch der EU, die uns während all diesen Jahren im Kampf gegen die Angriffe der Regierung auf den Rechtsstaat unterstützt hat.

Euer Engagement bleibt nicht ohne Folgen…

Angi: Wir werden regelmäßig von Anhängern der Sozialdemokraten ins Visier genommen. Je mehr wir ins Licht der Öffentlichkeit treten, desto mehr werden wir zum Ziel von Desinformationskampagnen. Einmal hat mich ein alter Mann auf der Straße angegriffen und gemeint ich soll das Land verlassen. Er hatte mich aus dem Fernsehen erkannt. Ich habe 14 Prozesse laufen und die Mitglieder von „Coruptia ucide“ haben durchschnittlich 5000 Euro Schulden an Bußgeldern wegen illegaler Demonstrationen. Aber wir geben nicht auf. Wir haben das Recht hier zu sein und unsere Gesetze erlauben es uns zu demonstrieren. Die Anhänger der PSD haben keine gültigen Argumente gegen uns. Sie sind aus der alten Welt. Sie haben nicht verstanden, dass wir unter einem anderen Regime aufgewachsen sind mit Internetzugang und sozialen Netzwerken.

Habt ihr zum Abschluss eine Botschaft an die rumänische Jugend?

Angi: Engagiert euch! Macht bei sozialen und bürgerrechtlichen Projekten mit. Versucht Dinge zu ändern. -Daria: Verschließt nicht die Augen wenn ihr etwas ungewöhnliches seht. Und geht wählen!

Im November 2019, nur wenige Wochen nach diesem Interview, wurde der Mitte-Rechts-Präsident Klaus Iohannis im Wahlkampf gegen die PSD-Kandidatin Viorica Dancila, wiedergewählt. Der Wahlkampf war überwiegend vom Thema Korruption geprägt. Der Slogan des Wahlsiegers war: „Für ein normales Rumänien“. (ndlr)


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Foto: © Paul Arne Wagner - Flickr

Translated from En Roumanie : les jeunes contre la corruption