Refugees welcome? – Die Psychologie des Unbekannten
Published on
Translation by:
Lisa SteinHasskommentare auf Social Media zu lesen gehört zu den Dingen, die man NIE tun sollte. Ich habe es gemacht. Und war schockiert, wie Bekannte und Freunde über Flüchtlinge in einer gnadenlos menschenverachtenden Weise redeten. Dann setzte mein Abwehrmechanismus ein und ich ging mit dieser inneren Anspannung auf meine eigene Art um: Abstand gewinnen, indem ich die Situation analysiere.
Warum haben wir Angst?
Menschen sind oft abgeneigt von Personen, die sich extrem von ihnen unterscheiden. Wir können mitunter stark selektieren, mit wem wir verkehren. Tendenziell fühlen wir uns von denen angezogen, die in ihrer Meinung, sozioökonomischem Hintergrund, Intelligenz, religiösen und politischen Ansichten mit unserem Profil übereinstimmen. Menschen, mit denen wir am liebsten unsere Zeit verbringen, unsere Freunde und Partner die wir auswählen, haben sogar oft ähnliche genetische Merkmale wie wir.
Es scheint, als wären wir dazu vorbestimmt, eine eigene kleine Gruppe zu bilden. Und die Grundsätze für den Aufbau eines solchen Netzwerks an sozialen Beziehungen sind praktisch unsere eigenen Eigenschaften.
Früher lebten unsere Vorfahren in einer Gruppe von 100 bis 200 Menschen, was für die Entwicklung der Menschheit entscheidend war. Sie konnten nur in Gruppen überleben, indem sie mit ihren Mitmenschen zusammenarbeiteten. Menschen aus anderen Gruppen hingegen konnten eine Bedrohung bedeuten. Sie hätten Träger von Parasiten und Bakterien sein können, die sich von denen, die es bereits in der Gruppe gab, unterschieden hätten. Ein Außenseiter bedeutete daher eine reale Gefahr, weil er daher sogar lebensgefährlich für die Gruppe sein konnte.
Die Regeln und Normen variierten je nach Gruppe, sodass ein Unbekannter eine Bedrohung für das gesamte System darstellen konnte. Evolutionspsychologen sind der Ansicht, dass daher unsere Angst vor dem Unbekannten und unsere Abweisung alles Andersartigen rührt. Abweichung selbst ist ein soziales Konstrukt und hängt immer von den Normen einer bestimmten Gemeinschaft ab.
Aus der Annahme heraus, andere könnten für uns eine Bedrohung darstellen, haben wir offensichtlich noch immer die Angewohnheit, andere zu beobachten. Sich mit den Menschen zu umgeben, die uns sehr ähnlich sind, fühlt sich noch immer wie die ungefährlichere Wahl an. Doch wir wissen, dass sichere Entscheidungen nicht immer die besten sind und dass Neugier ebenfalls in unserer Natur liegt. Während unser Gehirn evolutionär bedingt also auf spezifische Bedrohungen achtet, lässt es uns ebenso den Drang fühlen, alles zu erforschen.
Warum können wir mitfühlen?
Es ist unschwer zu erkennen, warum unsere Reaktion auf Flüchtlinge so ambivalent ist. Als Außenstehende der Gruppe können sie einerseits schnell automatische Abwehrreaktionen hervorrufen, andererseits möchten wir mehr über sie wissen, und nachdem wir begreifen, dass sie uns eigentlich sehr ähnlich sind, wird eine weitere soziale Grundfunktion in uns aktiviert: Empathie. In unserem Hirn bewirken winzige Spiegelneuronen, dass wir Bewegungen und Emotionen imitieren, die wir sehen. Wir können also praktisch unsere Hirnaktivität mit den anderen Personen synchronisieren und das nur, indem wir sie beobachten. Die Tatsache, dass wir so ein feines Gespür für menschliche Gefühle sowohl auf kognitiver als auch affektiver Ebene haben, zeigt, wie stark unsere Existenz auf sozialen Interaktionen basiert.
Woher kommt das “Wir und die Anderen”?
Jeder von uns hat dieselben grundlegenden Mechanismen, und doch können sie sich aufgrund diverser Faktoren unterschiedlich auswirken.
Einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf unsere Reaktion auf das Unbekannte ist unser Identitätsgefühl. Menschen mit einer gut entwickelten Identität fühlen sich tendenziell weniger angreifbar und sind deshalb offener gegenüber neuen Dingen. In Fällen, in denen sich die Identität nicht zu einem kohärenten System von integrierten Funktionen entwickeln konnte, wird die Person für gewöhnlich defensiv und in manchen Fällen sogar aggressiv gegenüber allem, was sie für einen Teil ihres Wesens halten. Um ihre innere Instabilität zu kompensieren, werden sie so leichter beeinflussbar durch radikale und dogmatische Konzepte.
Größere Systeme, Gemeinschaften und Länder funktionieren in etwa genauso wie Individuen. Staaten mit einer instabilen Wirtschaft und einer schechter entwickelten kollektiven nationalen Identität sind intoleranter im Vergleich zu jenen in einer besseren Situation. Bei einer Flüchtlingswelle kommt es in diesen Ländern eher zu einer Zunahme von rechtsextremem Gedankengut. Es ist eine starke, polarisierende „Wir gegen die Anderen“-Rhetorik in solchen Gesellschaften zu beobachten, was die Erkenntnis nahezu unmöglich macht, dass Flüchtlinge auch nur Menschen sind, genauso wie wir.
Und die Moral von der Geschicht‘? Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, Leute in den Kategorien gut und schlecht einzuteilen. Hier ein besserer Ansatz: als menschliche Wesen haben wir ein großes Potenzial sowohl für pro- als auch antisoziales Verhalten. Urinstinkte wirken eine große Macht auf uns aus und generell reagieren wir sensibler und reaktiver auf Gefahr als auf Belohnung. Unsere sogenannten moralischen Entscheidungen hingegen basieren oft auf unseren intensiven Anstrengungen, unsere Gefühle und Gedanken zu kontrollieren. Es liegt in unserer Verantwortung, unsere eigenen Vorurteile zu analysieren. Sie abzustreiten oder zu unterdrücken wird nichts verändern, allein die bewusste Arbeit an unserer Einstellung kann etwas bewirken.
Translated from Refugees welcome? - The psychology of stranger