„Nationale Souveränität kann nicht die Basis für Europas Zukunft sein“
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rahel weingärtnerFrieda Brepoels ist Vize- Präsidentin der „Neuen Flämischen Allianz“, eine Partei, die für die politische Unabhängigkeit Flanderns eintritt. Im café babel-Interview erklärt sie, warum Regionalregierungen ein europäisches Forum geboten werden muss.
1989 bekam Flandern sein erstes eigenes Parlament. Jetzt setzt sich die flämische Europaparlamentarierin Frieda Brepoels dafür ein, dass die Vorteile des Regionalismus auch die restlichen Länder der EU erreichen.
Was sind die Vorteile der Regionalisierung in Europa?
Der größte Beitrag der Regionen zum europäischen Prozess der Wirtschaftsintegration ist ihre kulturelle Vielfalt. Sie gleichen das demokratische Defizit der europäischen Institutionen aus, reduzieren interne nationale Spannungen und bieten grenzübergreifende Lösungen. Vor allem aber bringen sie die Bürger näher an die Machtstrukturen heran.
Werden die Regionen auf europäischer Ebene adäquat repräsentiert?
Im Moment haben die Regionen nicht wirklich Teil am europäischen Entscheidungsprozess. Sie werden nicht als so wichtig angesehen, wie sie sollten. Der Grund dafür liegt zuerst in ihrer großen Vielfalt, die natürlich von Region zu Region variiert. Das ermöglicht einigen Zentralregierungen immer wieder, auf ihren ausschließlichen Machtanspruch zu pochen.
Im Vertrag von Maastricht (1992) wurden die wichtigsten Entscheidungen getroffen, um die Rolle der Regionen in Europa zu stärken. Ein Komitee der Regionen wurde eingerichtet und ihre Präsenz im Ministerrat durchgesetzt. Außerdem wurden sie im Entwurf des Verfassungsvertrages berücksichtigt – in erster Linie, indem man sie als Teil der Mitgliedsstaaten anerkannte.
In der Zukunft müssen wir, denke ich, als Erstes daran arbeiten, uns in Richtung eines „Europas der Regionen“ zu entwickeln; ein Europa indem Regionen voll und ganz am Entscheidungsprozess beteiligt sind.
Ist die Angst vor dem Regionalismus ein großes Problem in Europa, speziell im Falle Belgiens?
Ich denke, dass die Europäer im Großen und Ganzen vor der Regionalisierung nicht zurückschrecken. Sie sind von den politischen und verwaltungstechnischen Vorteilen regionaler Behörden und Regierungen überzeugt. Natürlich neigen Regierungen und Verwaltung dazu, die Macht für sich zu beanspruchen, aber sie können den Drang nach nationaler Unabhängigkeit nicht aufhalten. Überall in Europa gab es einschneidende Veränderungen in dieser Hinsicht.
Fast alle europäischen Verfassungen haben sich zu einer größeren Dezentralisierung hinentwickelt; sogar einige osteuropäische Verfassungen haben in der letzten Zeit diesen Weg eingeschlagen, obwohl dort die nationale Unabhängigkeit erst zurück erobert wurde und deshalb ganz anders wahrgenommen wird als in Westeuropa. Diese enorme Machtverlagerung von oben nach unten wurde von den Völkern Europas unterstützt. Sie wissen, dass wirkliche Demokratie auf die Beteiligung der Bürger angewiesen ist. Dieses Vertrauen in die Regionalisierung war in Belgien besonders stark.
Wie kann Dezentralisierung, die den Bürgern die Demokratie näher bringt, davor bewart werden, ein Werkzeug oder eine Rechtfertigung für Separatismus oder Nationalismus zu werden?
Wenn europäische Staatsführung als die kollektive Verantwortung der europäischen Institutionen, nationaler Autoritäten, regionaler und lokaler Institutionen und des gut organisierten, privaten Interesses aufgefasst werden könnte, könnte die Diskussion über nationale Unabhängigkeit und Separatismus verhindert werden. Der Versuch etwa, regionale Parlamente aus der europäischen Leitung oder die Regionen aus dem Ministerrat heraus zu halten, würde sicherlich im Widerspruch zu der wirklichen Bedeutung und den traditionellen Werten unserer gemeinsamen europäischen Gesellschaft und unseres Erbes stehen. Nationale Souveränität ist ein Gedanke aus dem 18. Jahrhundert, sie kann nicht die fundamentale Basis der Zukunft Europas sein.
Translated from “National sovereignty cannot be the basis of Europe’s future.”