Multikulti-Populismus in Litauen
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Lea SauerLitauens Partei Ordnung und Gerechtigkeit zeigt in der letzten Zeit, dass Multikulturismus und Populismus sich nicht unbedingt ausschließen müssen. Erklärung.
Im Juli 2014 traf Rolandas Paksas eine wichtige Entscheidung: er blieb auf Kurs und hielt zu einem langzeitigen Verbündeten. Zusammen mit einem Haufen Splitterparteien, die er in Brüssel zu seinen Verbündeten zählt, schrieb der Chef von Litauens Partei Ordnung und Gerechtigkeit einen Brief an seinen alten Freund Nigel Farage – den Vorsitzenden der United Kingdom Independence Party (UKIP) in Großbritannien. Eine Partei, die als rechtspopulistisch gilt und besonders bekannt ist für ihre verächtliche Haltung gegenüber Migranten. Ihr Anliegen war es, zu versichern, dass sie die Gruppe Europe of Freedom and Democracy (EFD), zu der sie beide gehören, nicht verlassen werden.
EFD, die rechte, euroskeptische Gruppierung im Europäischen Parlament, hat schwere Zeiten hinter sich. Als der französische Front National (FN) unter der Leitung von Marine Le Pen versuchte, ihre eigene Gruppe zusammen mit anderen Parteien der Niederlande und Italien zu gründen, schienen viele Mitglieder der EFD bereit, dass sinkende Schiff zu verlassen. Im Gegensatz dazu stand Paksas nach wie vor zu den euroskeptischen und rechtspopulistischen Idealen, für die die EFD bekannt war.
Ein überraschendes Statement und zuverlässige Genossen
Die unerschütterliche Freundschaft zwischen der UKIP und Ordnung und Gerechtigkeit ist alles andere als überraschend. Beide sind bekannt für ihren besonderen Populismus, der verwoben ist mit konservativ-sozialen Werten. Er hinterlässt bei den linksgerichteten Beobachtern einen bitteren Beigeschmack. Beide Gruppen predigen vollste Loyalität zu den höchsten, wenn auch nicht genau definierten, nationalen Interessen und sehen die Werte der traditionelle Familie als persönliches Heiligtum, für das sie einstehen.
Was viele allerdings daran abscheulich finden, ist die ungezügelte Fremdenfeindlichkeit, welche die UKIP und viele der vorangegangenen Partner in der EFD verinnerlicht zu haben scheinen. Aber in einer Hinsicht bildet Ordnung und Gerechtigkeit eine Ausnahme.
An einem kalten Nachmittag im September sitze ich zusammen mit Paulius Paulionis Pirminikas in Vilnius in einem Café. Es liegt in einer dieser engen, kopfsteingepflasterten Gassen, die sich durch Litauens Hauptstadt winden. Pirmininkas ist der 31-Jährige Vorsitzende der Jugendbewegung von Ordnung und Gerechtigkeit und ein Mitarbeiter des Justizministeriums. Er trägt einen Anzug und eine ernste Miene und verkörpert so das Stereotyp eines konservativen Politikers. Aber seine Worte sind überraschend ungewöhnlich.
„Litauen war von Anfang an ein multikultureller Staat", erklärt er. „Das Große Herzogtum von Litauen, das seine Blütezeit zwischen dem 12. und dem 18. Jahrhundert hatte, war auch ein multiethnisches Gebiet, dessen Diversität hinsichtlich Religion und Kultur gefeiert wurde. Wir Litauer waren nie diskriminierend gegenüber ethnischen Minderheiten."
Ein Land ohne Immigration
Manche bezweifeln, dass die Toleranz von Ordnung und Gerechtigkeit besonders aufrichtig ist. Aber die Fakten sprechen dafür. Im offiziellen Parteiprogramm sind Diskriminierungen gegenüber ethnischen Minderheiten und Beschwerden über Immigration nicht zu finden. Obwohl dies gerade die Merkmale sind, die als allgemein typisch für rechts-populistische Parteien gelten.
Kritiker behaupten, dass dies nur so ist, weil Litauen, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern beinahe keiner Immigration ausgesetzt ist. Lediglich ca. 2000 – 2500 Ausländer kommen jährlich nach Litauen. Die meisten Immigranten kommen aus den umliegenden Ländern, wie Russland, Belarus, Polen und der Ukraine. Ergebnisse des Instituts für Ethnische Studien machen deutlich, dass die litauische Bevölkerung sich sehr viel wohler dabei fühlt, mit russischen oder polnischen Migrantengruppen zusammenzuleben als mit anderen ethnischen Minderheiten wie Roma oder Menschen von außerhalb der EU.
Aber ganz abgesehen von den Spekulationen darüber, wie Ordnung und Gerechtigkeit reagieren würden, wenn die Immigrationswelle doch plötzlich kommen würde, gibt es zurzeit keine Beweise dafür, dass die Partei sich den Ausschluss von einem realen oder eingebildetem "Fremden" zum Programm gemacht hat. Tatsache ist, dass die Rechte ethnischer Minderheiten, insbesondere die von Russen und Polen, einen Teil der Parteigrundsätze bilden.
Nina Sesternikova, eine Russin, die in den 1970ern nach Litauen gezogen ist, spricht leidenschaftlich von den vielen veerschiedenen interkulturellen Aktivitäten, die die Partei organisiert. Sie ist die Hauptorganisatorin des Kommittees für die Integration der ethnischen Minderheiten und zeigt mir direkt aufgeregt einen Stapel Broschüren für eine ganze Reihe von Events, die von der Partei organisiert werden. Wenn man Sesternikova und ihren Heftchen Glauben schenkt, sind multikulturelle Veranstaltungen mit Volksliedern und Kindern, die in mehreren Sprachen singen, an der Tagesordnung bei Ordnung und Gerechtigkeit.
In rhetorischer Hinsicht nehmen sich die Slogans der Partei nicht viel im europäischen Vergleich: Wie anderswo auch wird gern mit einem starken Gefühl für Anti-Establishment, das die sogenannten Eliten des Landes gegen die normale Masse stellt, geworben. Zudem die Liebe für den Parteiführer, die fast schon an den Personenkult zur Blütezeit des Kommunismus erinnert, und nicht zuletzt die besondere Betonung der nationalen Identität. Alles Merkmale des politischen Auftretens von Ordnung und Gerechtigkeit.
Die mehrsprachigen Bürger Litauens
Abgesehen davon betont Sesternikova, dass sich das Konzept der nationalen Identität in Litauen auf das Gefühl bezieht, ein Bürger der Nation zu sein und nicht darauf, ethnische Minderheiten auszuschließen. Eigentlich scheint Paksas Art des Populismus die Unterwürfigkeit der russischstämmigen Bevölkerung und Sesternikova mit ihrer internationalen Singtruppe nur zu befeuern. In Vilnius zum Beispiel, wo 30-45 Prozent der Bevölkerung ursprünglich nicht litauisch ist, schafft es Ordnung und Gerechtigkeit sogar, Stimmen der russischen und polnischen Konkurrenzpartei zu stehlen. Und das, obwohl sie ehemals Koalitionspartner im Parlament waren. Laut Vytautas Vasilenko, dem Abgeordneten für Ordnung und Gerechtigkeit in Kaunas, wird Russisch und Ponisch ebenso oft während der Parteitreffen gesprochen wie Litauisch. Und er selbst redet, während Vasilenko unter einem riesigen gerahmten Foto von Rolandas Paksas sitzt, freimütig über seine ukrainische Frau und über die multikulturelle Geschichte seines Landes.
Zurück nach Brüssel: Während die Französin Marine Le Pen weiter an ihrer rechtspopulistiscen Wunschkoalition bastelte, wurde ein perfektes Klima für das Fortbestehen von Europe of Freedom and Direct Democracy von Nigel Farage und seinem litauischen Kumpel Rolandas Paksas als eine der führenden rechtspopulistischen Gruppen geschaffen. Während vielen Beobachtern immer noch bei der Vorstellung, dass Parteien wie die UKIP in das Europäische Parlament einziehen, ein Schauer über den Rücken läuft, ist Ordnung und Gerechtigkeit ein lebendiges Beispiel dafür, dass Populismus Hand in Hand mit einer Art von Multikulturismus gehen kann. Nunja, zumindest in Litauen.
Translated from Multicultural Populism in Lithuania