MdEP Christian Engström von der Piratenpartei: „Wir hacken uns ins System“
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Julia EichhorstDer 49-jährige ehemalige Programmierer aus Stockholm und neugewählte MdEP der Piratenpartei erklärt, warum die EU stärker als die USA ist, warum sich die Blicke wieder auf Schweden richten und warum Europas zweite Welle der Piratenparteien auf gutem Wege ist.
Das Parteiprogramm der schwedischen Piratenpartei formuliert drei Ziele: die Reform der Urheberrechts- und Patentgesetze, die Stärkung der Rechte auf Internetzugang und Privatsphäre sowie eine erhöhte Transparenz der öffentlichen Verwaltung. Die Piratenpartei errang mit diesem Programm einen Sitz im 736-köpfigen Europäischen Parlament, nachdem sie im Juni 2009 7,13% der schwedischen Stimmen erhalten hatte und damit fünfstärkste Partei nach den Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und den Moderaten wurde. Sollte der Vertrag von Lissabon ratifiziert werden, würde sie einen weiteren Sitz erhalten: Die EU strebt ein Inkrafttreten des Vertrags bis 2010 an. 26 EU-Staaten haben den Vertrag bislang ratifiziert - alle bis auf Irland, das am 2. Oktober ein Referendum abhalten wird. Am 25. Juni trat Christian Engström der Fraktion der Grünen bei - eine Maßnahme, um im Europaparlament nicht marginalisiert zu werden. Dabei steht die Piratenpartei doch für ganz eigene Ideen. Nimmt sie Kurs auf weitere Erfolge oder fährt sie auf stürmischer, ideologischer See?
Die Anfänge der Piratenbewegung in Nordeuropa
„Ich war gerade von einer Reise nach Ägypten zurückgekommen, als man mich auf die Existenz der Piratenpartei aufmerksam machte,“ erklärt der Vater eines Kindes im gemütlichen Marienpark in Stockholm. „Im Januar 2006 sah ich die Homepage, die vom Parteigründer Rickard Falvinge [ein früherer Microsoft-Mitarbeiter; A.d.R.] aufgebaut worden war. Sie war halb scherzhaft, aber auch halb ernst gemeint. Ich wusste von Anfang an, dass das die Sache war, die ich machen wollte.“ Engström entwickelte damals Open Source Software und erlebte als Unternehmer die erste Welle der schwedischen Internetexpansion in den 1990ern mit. Er war außerdem freiwilliger Aktivist der Foundation for a Free Information Infrastructure [FFII, auf Deutsch „Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur“; A.d.R.]. Zwischen 2004 und 2005 machte Engström im Europäischen Parlament Lobbyarbeit im Zusammenhang mit dem Streit über die geplante EU-Richtlinie zu Softwarepatenten. Der Ausgang des Kampfes war ein großer Erfolg für ihn, weil das Parlament die Richtlinie in zweiter Lesung ablehnte. Der Erfolg der Bewegung für freie Software sowie der wachsende Konflikt zwischen Internetpiraten und der Plattenindustrie gaben den Impuls für einen neuen Anfang. Die besten Voraussetzungen dafür gab es in Schweden.
Viele in Europa schauen jetzt auf ein nordisches Land!
„Das Piratenbüro [ein schwedischer Think Tank; A.d.R.] machte sich über die Antipiraten-Anstrengungen der Plattenindustrie in Schweden lustig, indem sie diesen Namen annahmen und stolz verwendeten,“ erklärt Engström. Man könnte hinzufügen, dass dies auch zur Aura von Abenteuer, Kameradschaft und programmatischer Stimmigkeit beitrug, die die Partei damals umgab. „Schweden ist wieder einmal Vorreiter,“ meint Engström. „Viele in Europa schauen jetzt auf ein nordisches Land in demselben Maße, wie Schweden in den 1990ern für die hohe Verbreitung des Internets bewundert wurde.“ In der Tat ist die Diskussion über Internetpolitik in Schweden überaus einflussreich gewesen. Außerhalb Schwedens hat die internationale Piraterie nur wenige Erfolge zu vermelden. Engström gibt zu, dass seine Schwesterparteien ein zurückgehendes oder niedriges Niveau an Aktivitäten verbuchten. „Eine politische Partei zu starten bedeutet jede Menge harter Arbeit“, fügt er erklärend hinzu.
Die zweite Welle der Piraten und die US-Macht
„Wir stehen vor einer zweiten Welle der Piratenparteien,” argumentiert Engström und weist darauf hin, dass die Piraten vom schwedischen Erfolg gestärkt wurden. So werden gerade etwa neue Zweige in der Schweiz und in Slowenien aufgebaut. Die Partei ist ganz nach den technischen Erfordernissen des Internets organisiert. Das Webforum der Partei dirigiert die Politikrichtung und die parteipolitische Organisation unterscheidet sich eindeutig von der hierarchischen Form, die für heutige Parteien typisch ist. „Wir sind eine sehr fokussierte Partei. Wir sind nur daran interessiert, unsere Schlüsselthemen voranzutreiben, und wir werden unsere Stimme derjenigen Seite geben, die diese Themen unterstützt.“ Könnte das bedeuten, dass die Piratenparlamentarier im Zusammenhang der Parteidisziplin zuliebe gegen ihre Überzeugung abstimmen müssen? „Wir hacken uns ins System. Es gibt keine Mehrheiten, die ihre politischen Programme ohne Kompromisse umsetzen können.“
Engström macht sich aber auch Sorgen, dass Lobbyisten der Copy Right-Industrie Einfluss auf die Regierung des US-Präsidenten Barack Obama gewinnen könnten. „Wir sollten uns vor den USA nicht fürchten. Europa ist stärker und die Amerikaner können uns nicht boykottieren. Wir sollten ein gutes Verhältnis zu den USA unterhalten, aber nicht um den Preis, dass wir uns auf ihre Interpretation von Urheberrecht und Patenten einlassen.“ Die zweite Generation der Piraten begann ihre politische Karriere innerhalb der Piratenpartei und befasst sich mit Themen wie Klimapolitik, Technologietransfer, Gesundheits- und Handelspolitik, allerdings immer vor dem Hintergrund einer von den Piraten geprägten Ideologie. Engström betont, dass Informationspolitik heute viele Politikfelder beeinflusse, aber es bestehe auch das Risiko, dass die Partei ihre ursprünglichen Ziele aus dem Blickfeld verliere. Ein Beispiel sei die grüne Bewegung der 1980er, die heutzutage auf vielen Gebieten, die mit Umweltschutz wenig zu tun haben, Stellung beziehe. Kann man dann noch in der Lage sein, die Versprechen an die Wähler zu halten? „Das ist das Hauptproblem der jetzigen Politik,“ sagt Engström. „Es ist leichter, Politik zu machen, wenn man ein einfaches und klares Programm hat.“
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