Londoner Prostestsänger: Olly The Octopus mobilisiert junge Wähler
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Simone BrunnerAnarchie in Großbritannien? Eher Desinteresse! 60 und 61% der Wähler sind 2001 und 2005 nicht an die Wahlurnen gegangen. Ein Londoner Protestsänger versucht junge Wähler für die Unterhauswahlen am 6. Mai in Grossbritannien zu mobilisieren.
Vielleicht habt ihr meinen Namen schonmal gehört. Er war am 10. November 2008 plötzlich in aller Munde, als ich Boris Johnsons erste Bürgermeisterversammlung in Bromley stürmte. Boris Fans haben meinen Song „Londons New Mare“ („Londons neue Stute“) ausgebuht, bevor ich von der Polizei rausgeworfen wurde. Dann, im März 2009, bin ich plötzlich auf Channel 4 und CNN aufgetaucht, als ich vor dem RBS Gebäude in BishopsgateFred Goodwin’s Pension sang. Und ein weiteres Mal während den G20-Krawallen im April 2009.
Meinen ersten Crash-Auftritt hatte ich im englischen Hauptquartier der Scientology-Kirche, wo ich mich eingeschlichen habe, um meinen Song The Scientologist zu präsentieren. Und wieder - wen wundert's - wurde ich rausgeschmissen; diesmal von zornigen Scientology-Anhängern. Diese Aktion war eine Hommage an John Sweeney, den BBC Panorama-Journalisten, der dabei gefilmt wurde, wie er ein Scientology-Mitglied angeschrien hat.
Bemüht, die Politik anzusprechen
Macht mich das zu einem Protestsänger? Gut, ich habe zu einigen Protestaktionen gesungen. Aber ich warte nicht auf den Tag, an dem die Pop-Musik die Welt rettet. Das erscheint uns, die nach der Beatles-Manie geboren sind, ein wenig kurios. Seit David Hasselhof 1989 in Berlin Looking For Freedom gesungen und uns alle vor der ideologischen Sackgasse des Kalten Krieges gerettet hat, ist die europäische Politik von Mitteparteien dominiert, die sich über unbedeutende Details zanken und die den Steuerzahlern pornographische Filme anlasten.
Wie öde - kein Wunder, dass wir nicht an die Urnen gehen. Wie können wir uns mit einer Politik verbunden fühlen, die nicht auf uns hört? Nehmt die Anti-Irakkrieg-Demonstrationen von 2003 als Beispiel: 10 Millionen Menschen in 60 Ländern protestierten - das war die größte Antikriegsdemo der Geschichte. Und trotzdem gab es Krieg. Das soll aber nicht heißen, dass es uns nicht kümmern soll. Der Irak-Krieg zeigte deutlich auf, dass die wahren Ungerechtigkeiten der Welt ein globales Ausmaß angenommen haben.
Die momentanen Umstände mögen uns sehr angenehm erscheinen; ist dies aber nur, weil wir alle unsere Ausbeuterbetriebe, unsere Minen und die Armut nach Süd-Ost-Asien und Afrika abgeschoben haben? Der Graben zwischen denen, die alles haben, und denjenigen, die nichts haben, wird nicht mehr länger mit Streikpostenketten, sondern durch Kontinentalgrenzen markiert. Und die nationale Politik kann nicht mehr länger glauben, globale Probleme lösen zu können. Kann es der bescheidene Protestsong?
Europa will keinen singenden Berlusconi, sondern Musik, die die Augen öffnet
Ich hoffe, was ich mache ist zumindest eine Inspiration für die Musiker, die sich politisch engagieren. Denn in letzter Zeit kamen diese ja nicht wirklich gut an. In Frankreich hat Doc Gynéco tonnenweise Fans verloren, nachdem er aus den linksgerichteten Vororten kommend, zu einem Pro-Sarkozy-Rapper wurde (übrigens ist er gerade wegen Steuerbetrug verurteilet worden). Der italienische Sänger Mariano Apicella ging noch einen Schritt weiter, indem er auf seiner CD mit Berlusconi ein Duett sang - in Erinnerung daran, dass Silvio gerne seine Freizeit summend auf Segeltörns verbrachte, bevor er zum Premierminister erkoren wurde (Apicella war in den Machtmissbrauch-Skandal involviert, der Berlusconi im Juni 2009 angehängt wurde).
Komiker Hape Kerkeling, alias Horst Schlämmer, kann vielleicht nicht gerade als Musiker bezeichnet werden, aber während der Bundestagswahlen im September 2009 in Deutschland rappte er zusammen mit dem Berliner Proll-Rapper Bushido über seine fiktive Polit-Partei HSP für sein Filmdebüt: Horst Schlämmer - Isch kandidiere.
In Großbritannien sind wir diesbezüglich ein wenig langsamer. Aber der Weihnachts-Hit Nummer eins 2009 von Rage Against the Machine, der in Anbetracht des Überflusses an Reality-Show-Gewinnern von empörten Fans auf die Beine gestellt wurde, zeigt, dass letztlich doch ein verborgener Appetit nach Veränderung in unseren Gesellschaften vorhanden ist. Unterdessen mobilisiert diese Woche auch die Künstlergemeinschaft in England. Das Londoner Künstler-Kollektiv Billbored spricht das Desinteresse an den Unterhauswahlen an, indem sie Slogans und politische Kunst an Wände in der ganzen Hauptstadt projiziert. Zudem betreiben sie eine Radiostation im Diesel Netzwerk. Also: Haltet Augen und Ohren offen für britische Kunst von MIA, Cassette Playa, Neville Brody und von euch natürlich. Fest steht, dass uns der gegenwärtige Haufen der politischen Parteien nicht sehr inspiriert. Inspirieren wir also selber!
Hört euch Olly the Octopus an, der auf 104.4 Resonance FM eine Spezialsendung zu den Wahlen in UK macht. Um 20 Uhr in der Wahlnacht vom 6. Mai.
Translated from London: protest singing for the UK elections