Lokale Mission: Auf der Suche nach Europa in Neapel
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Lea SauerEuropa scheint so oft so weit entfernt von der lokalen Politik. Aber ist es das wirklich? Die Verbindungen sind vielleicht manchmal stärker, als es auf den ersten Blick scheint. Wir haben dieses breite Thema mit den lokalen Politikern und Aktivisten in Neapel besprochen und das war ihre Meinung dazu.
Freundliche ältere Herren, die sich vor ihren alten Haustüren angeregt unterhalten und Karten spielen, während Jugendliche auf Rollern an ihnen durch die engen Gassen düsen, belebte Plätze und die alten Straßenschilder. Das sind die kleinen Dinge, die einem in den Kopf kommen, wenn man an Neapel denkt. Aber wenn es um Politik geht, verändert sich das Postkartenmotiv ziemlich schnell in ein düsteres Bild. Neapel und die anderen Städte der Region Campania sind ein großes politisches Labor. Mit dem Ergebnis, dass es anhaltende, große Probleme gibt. Dies gibt einem ernsthaft zu denken, wie gut die Lokalpolitik funktioniert und welche Rolle die Europäische Union in ihr spielen sollte.
Eines der größten Probleme in der Stadt ist die Umweltverschmutzung und die Müllentsorgung, erklären Claudio Silvestri, ein Journalist des Tagesblattes Roma, und sein Kollege Michele di Salvo. „Als de Magistris (der amtierende Bürgermeister) gewählt worden ist, war das größte Problem die Müllentsorgung. De Magistris versprach das Problem zu lösen, wenn er gewählt würde. Als er dann schließlich gewonnen hat, beseitigte er das Problem in mehr oder weniger einem Monat, aber er löste es nicht wirklich, er hat es nur woandershin verlagert."
Der Müll wurde einfach woandershin verfrachtet. Das war die einzige Lösung in so einem Notfall; aber der Prozentsatz an Müll in der Stadt blieb bei stabilen 18 Prozent. „Allora, brachten sie ihn in die Niederlande. In diesem November soll es nach Spanien gehen.", fügt er hinzu. Der örtliche Müll, das ist bekannt, wird auch von der örtlichen Mafia, besser bekannt unter dem Namen Camorra, kontrolliert. In den letzten fünf Jahren versammelten sich tausende von Bürgern, um gegen die Entsorgung von Chemieabfällen in der Umgebung zu protestieren. Diese wurden einfach in der freien Natur "entsorgt" und somit den Boden und das Grundwasser so sehr verschmutzt, dass manche Menschen ernsthaft krank geworden sind.
25 Jahre, ein Projekt
Neben der Planung von nachhaltigen und langfristigen Projekten, haben die Lokalpolitiker auch Probleme damit, Fördergelder von der EU einzusetzen, was schließlich darin mündet, dass die Lösungen eher nur kosmetischer Natur sind. So wie es beim Müll auch der Fall war.
In 25 Jahren gab es bislang nu rein Projekt, das mit Fördergeldern der EU fertiggestellt worden ist – das Metrosystem, metropolitan genannt. Ein Mammutprojekt, denn der Boden von Neapel ist voller archäologischer Monumente und Seewasser. "Das war eine Verbesserung unserer Lebensqualität, auf jeden Fall, aber für alle anderen Angelegenheiten, haben sie keine Ahnung, was sie machen sollen. Alles andere stagniert.", kommentiert Claudio Silvestri die Lage.
Silvestri erklärt zudem, dass die Kommune 100 Millionen Euro bei einem Einfuhrverbot verliert, weil sie den Papierkram nicht erledigen können, um das Projekt endlich zu beenden. Zudem müssen sie 100 Millionen Euro aufbringen, um das Geschichtszentrum vor Dezember 2014 fertigzustellen. Fünf Jahre sind vergangen, ohne dass ein Projekt zu Ende gebracht worden wäre. „Nicht ein einziges Projekt", wiederholt Claudio. „Man kann sagen, dass man kein Geld hat, ok, aber die haben ja 100 Millionen. Mit den 100 Millionen könnten sie was machen!"
Die Grenze zwischen uns
Die Schwierigkeiten politische Entscheidungen zu verstehen, bringt uns zu einem anderen Thema, das die anderen Kommunalpolitiker beunruhigt. Eine undurchlässige Grenze zwischen ihnen und der Mehrheit der Menschen. Die politischen Institutionen und Posten mit Macht scheinen undurchlässig. Und das könnte auch stimmen. Aber Institutionen und Regierungsapparate sind nicht die einzigen Instrumente mit denen man politisch tätig werden kann.
„Das politische System in Italien ist allgemein als Kastensystem, das Unmengen an öffentlichem Geld verschwendet, um seine Interessen zu verfolgen. In den letzten 30 Jahren haben Italiener Politik immer als etwas Fremdes betrachtet, als etwas, was sie selbst nichts angeht. So als ob ihre Stimmen in der Realität nichts anrichten könnten oder gehört werden würden, dort oben im sogenannten 'stanza dei bottoni', dem 'Kontrollzentrum'", erklärt Gianmarco Volpe, ein Journalist aus Neapel.
Der Mangel an Diskussionen und eines öffentlichen Dialogs gepaart mit der dortigen Vetternwirtschaft, schaffen deutliche Distanz zwischen der Politik und dem Alltag der Menschen. Giancarlo Bottone, Student der Politikwissenschaften und aktives Mitglied der Sinistra Ecologia Libertà SEL (Linksliberale Freiheit, AdR), berichtet von seiner Vorstellung der Kommunalpolitik, die sehr vertraut daherkommt. „Die Vorstellung der heutigen Politik ist negativ, so als wäre es Zeitverschwendung. Ich denke selbst manchmal, dass meine Leidenschaft Zeitverschwendung ist, weil sich nichts verändert." Während wir uns in einem Café am belebten Piazza Bellini betont Giancarlo weiter, dass es „nicht immer alles nur um Geld, Korruption und Macht geht. Politik ist eine Lebenseinstellung und wir brauchen Politik. Die Europäische Union sollte ein Vorbild für gute Politik und politische Beziehungen sein."
Annäherung an das Vorbild der Europäischen Union
Insbesondere die Europäische Union hat das Zeug und die Macht, um ein gutes politisches Vorbild zu sein. Dennoch steht sie heute eher für altbackene Institutionen mit Personenkult und wird eher mit Banken und Geld in Verbindung gebracht. Manche schreiben die positiven Aspekte den Mitgliedern zu, aber der Mangel an Inhalten und echten politischen Debatten und Statements, untergräbt die wichtige Rolle der Europäischen Union. Und auch die, ihrer Repräsentanten. Einigen institutionellen Gesetzen geht es genauso.
Nimmt man zum Beispiel einfach nur das Verfahren, wie die Europäische Kommission ihre Kandidaten wählt. SEL-Mitglied Dino Palma denkt, dass „die Europäische Kommission alle wichtigen Entscheidungen trifft, aber trotzdem haben wir kein Mitspracherecht und die Repräsentanten werden nicht gewählt. Es ist eine komplett geschlossene Gesellschaft." Alles ist eine Entscheidung von einem kleinen elitären Kreis, was den nationalen und kommunalen Politikern den Eindruck vermittelt, dass demokratische Prozesse nicht so wichtig sind. Aber auch die Strenge mit der einige Entscheidungen einfach schnell durchgeprescht wurden, zeigte, dass es eher darum geht schnelle Lösungen zu finden, als langfristige Veränderungen durchzusetzen. Anna Chiara Di Maro, eine Aktivistin, merkt an, dass „wir niemals wirklich was von der (EU)Politik mitbekommen. Wir wissen gar nicht, wie unsere Außenpolitik ist. Wir haben gar keine einheitliche europäische Finanzpolitik. Jedes Land macht sein eigenes Ding. Wir brauchen ein europäisches Finanzsystem, einheitliche Gesetze und nicht nur eine Kommission, die aus Leuten besteht, die ein paar gute Absichten haben, die gar nichts mit der Vorstellung von Europa zu tun haben, die man früher einmal hatte."
Sie glaubt daran, dass eine gemeinsame Basis dafür sorgen könnte, dass sich Menschen mehr verbunden fühlen und die Nationalpolitiker anders arbeiten würden. Aber diese einheitliche Linie müsste darauf ausgelegt sein, neue Jobs für junge Menschen zu schaffen und auf dem Modell einer Europäischen Sozialhilfe beruhen, wie Dino Palma betont. Das ist die einzige Art und Weise, die lokale Politik wirklich sichtbar und positiv verändern kann.
Die Schuld der convenientes
Es wäre aber auch falsch, die Schuld an den Mängeln auf kommunaler Ebene allein auf die Politiker, die Institutionen und die Mafia abzuwälzen. Giancarlo erklärt leichterhand, dass die Camorra und die schlechten Politiker nur convenientes – Bequemlichkeiten – und fährt weiter fort: „es ist eben bequem zu sagen, dass die Camorra das einzige Problem ist. Aber das Problem ist eigentlich die Art, wie die älteren Verantwortlichen hier denken. Und auch in der Basis, bei jedem einzelnen Menschen, ist es ein problem, wenn er nicht politisch denkt und Rechtmäßigkeit als normal ansieht."
Es ist ganz normal in Neapel, sein Auto in verbotenen Gegenden zu parken oder die Straße an Stellen zu überqueren, wo eben kein Zebrastreifen ist. "Es ist diese Art zu denken, die nicht richtig ist. Wenn wir wieder versuchen, die Probleme durch ein anderes Netzwerk auszutauschen, in dem die gleichen Leute sind mit den gleichen Ideen, der selbe Egoismus, die egoistische Gier nach Geld, dann wird sich nichts ändern", fügt Giancarlo an.
Alles in allem kann man sagen, dass sich die Situation in Neapel langsam verändert, da sich nach und nach mehr junge Leute, Gruppen und Bewegungen engagieren und einen politischen Dialog fordern. Italiens Wahlbeteiligung für das Europäische Parlament im Mai lag bei 57,22 Prozent. Eine Zahl, die jetzt zum fünften Mal in Folge, eine ganz und gar nicht geringe Beteiligung bescheinigt. Wenn man sie mit der anderer Länder vergleicht. Das bedeutet, dass die Italiener nicht aufgegeben haben. Alles, was sie brauchen, sind kleine Veränderungen von beiden Seiten und auf allen Ebenen, und schon könnte eine höhere Lebensqualität geschaffen werden.
Die Autorin, cafébabel und das gesamte Team von cafébabel Napoli danken Alessia Damatia und Giancarlo Bottone für ihre Unterstützung bei der Realisierung dieses Artikels.
Dieser Artikel ist Teil der cafébabel-Sonderreihe EU-IN-MOTION, mit Unterstützung des Europäischen Parlaments und der Fondation Hippocrène.
Translated from Mission Local: Searching for Europe in Naples