Laut, dreckig, südländisch
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TextwolffAuf Parkbänken schlafen oder Alkohol in der Öffentlichkeit trinken – in Barcelona ist beides seit einem Jahr verboten. Wie hat sich das Leben seitdem verändert?
Auf den berühmten Ramblas in Barcelona: Che Guevara saugt an seiner Zigarre und winkt einem Clown zu, der ein Stück weiter unten am Boulevard steht. Straßenkünstler auf den Ramblas sind den Touristen vertraut. Rasch zücken sie jedoch die Kameras, als Robi der Clown von Polizisten unterbrochen wird – das ist in Kataloniens Hauptstadt ganz normal.
Ein neuer Werbegag? Nicht wirklich. Zur Förderung des „friedlichen Miteinanders“ sind seit Januar 2006 zahlreiche neue Verordnungen in Kraft. Öffentliche Auftritte sind verboten. Vergeblich ist Robis Flehen, er wolle doch nur „eine kleine Show geben“. In den Augen der Stadtverwaltung verträgt sich das nicht länger mit dem friedlichen Miteinander.
Im Ermessen der Polizei
„Diese 'Bürgerpflichten' verbieten nicht nur das Rumkaspern. Beinahe jeder spontane Ausdruck der Freiheit wird durch sie verfemt,“ kritisiert der Student Albert Padros. Trinken auf der Straße, Schlafen auf Parkbänken und Pinkeln in der Öffentlichkeit sind Touristen und Bürgern streng verboten. Geldbußen reichen von 750 Euro für leichte Vergehen wie Ruhestörung bis zu saftigen 3 000 Euro für Graffiti an öffentlichen Gebäuden.
Der Stadtrat Ramon Nicolau i Nos hält diese Strafen nicht für sehr hart. „Positive Anreize alleine reichen nicht aus“ erklärt der sozialistische Politiker. Es habe dringend etwas geschehen müssen. Billigflieger brächten immer mehr Touristen, denen Bier wichtiger sei als die Häuser des berühmten Architekten Gaudí und die zum öffentlichen Ärgernis würden.
„Die Einwohner Barcelonas sähen es gerne, wenn dieser Tourismus abnähme,“ glaubt der Stadtrat. Die Stadt wolle aber mit diesen Verordnungen nicht elegantere oder wohlhabendere Touristen anlocken. „Unser einziges Ziel ist die Sicherstellung des friedlichen Miteinanders. Wir leben in einer dicht bevölkerten Stadt. Man kann Spaß haben und sich ausruhen, aber alles zu seiner Zeit.“
Die Polizei Barcelonas scheint mit ihren erweiterten Befugnissen zufrieden. Streifenpolizist Laurens kurvt mit seinem Wagen durch die engen Gassen des Armenviertels Raval. Er mustert die Dealer und Prostituierten. Ein Großteil seiner Arbeit bestehe darin, den Bürgersinn zu stärken, erklärt er. „Von den 30 Vorfällen während einer normalen Streife sind nur fünf Diebstähle oder Kämpfe. Bei allen anderen geht es um das friedliche Miteinander“.
In dieser Januarnacht scheint die bittere Kälte der beste Friedensstifter zu sein. Laurens schickt einige Obdachlose, die noch auf der Straße sind, zu einer Notunterkunft. Einen von ihnen belegt er wahllos mit 45 Euro Buße für Trinken in der Öffentlichkeit. Viel weniger als die Verordnung hierfür gestattet und wohl viel mehr als der Mann bezahlen kann. Vieles liegt im Ermessen der Polizisten.
„Die Verordnungen regeln Nebensächlichkeiten“
Vor ihrer Einführung gab es zahlreiche Proteste gegen die „drakonischen und spielverderberischen“ Verordungen. Im Viertel Garcia wird das traditionelle San Antonio-Fest gefeiert: Junge Menschen wärmen ihre Hände an großen Grillfeuern und ihre Füße bei traditionellen Tänzen. Das Gesetz scheint sie nicht zu stören. Weinflaschen und Bierdosen beulen die Jacken aus. In der für Barcelona typischen Gastfreundschaft werden sie mit Freunden und Fremden geteilt. Zwar halten viele der Nachtschwärmer Regeln zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung für nötig. Aber die jetzigen Verordnungen empfindet man als zu weit gehend.
Miriam Rodriguez arbeitet für einen Nachbarschaftsverein, der das Open-Air-Festival organisiert hat. „Regeln für Bürgerpflichten sind notwendig,“ sagt sie. „Aber sie müssen realistischer sein als die aktuellen. Diese regeln Nebensächlichkeiten und verlieren die wichtigen Dinge aus dem Blick.“ Viele teilen diese Meinung. Sie sagen, die Stadt sollte sich auf die Eindämmung von Drogenmissbrauch und Gewalt konzentrieren, statt öffentlichen Alkoholkonsum und Skateboardfahren zu verhindern. Der Student und Journalist Albert Salarich hält das Gesetz sogar für „komplette Zeitverschwendung. Du musst nur zu allen Tages- und Nachtzeiten unterwegs sein, dann entdeckst Du das echte Barcelona: Laut, dreckig, südländisch.“
Das Gesetz zur Regelung des friedlichen Miteinanders trat vor einem Jahr in Barcelona in Kraft. Mit Verve verteidigt der Stadtrat seine Einhaltung, die Polizei setzt es nach ihrem Ermessen um und die Bevölkerung hält sich nicht daran. Zugegeben: Die Stadt ist sauberer geworden, friedlicher und, paradoxerweise, lebenslustiger: Verbotene Früchte sind eben die süßesten...
Zurück auf den Ramblas: Robi unterhält in die Stadt strömende Touristen. Der trotzige Clown wurde nicht festgenommen. Der Streifenpolizist hat sich anderen Gefilden der Stadt zugewandt, in denen das friedliche Miteinander bedroht ist. Das Gesetz ächtet mangelnden Bürgersinn. Ziviler Ungehorsam steckt den Einwohnern Barcelonas aber viel zu sehr im Blut, als dass er einfach verschwinden könnte. Bald werden sie sich einer neuen Herausforderung gegenübersehen. Die spanische Gesundheitsministerin Elena Salgado schlägt ein neues Gesetz gegen Alkoholmissbrauch vor. Jugendlichen unter 18 soll die Teilnahme an botellóns verboten. Diese berüchtigten Trinkgelage unter freiem Himmel bilden für spanische Jugendliche eine wichtige soziale Klammer. Aber wie sagten die Römer: Dura lex, sed lex. Ein hartes Gesetz, aber ein Gesetz.
Translated from Beer over Gaudi