Küstendorf 2011: Großes Kino bei Emir Kusturica
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Claudia StolteEine Woche auf einem entlegenen Hügel Ostserbiens verbringen, einen Film nach dem anderen anschauen und im Beisein von großen und aufsteigenden Filmemachern seine Hüften zu den Hits des No smoking Orchestras schwingen: Das kann man jedes Jahr im Januar aufs Neue erleben: in Küstendorf, dem Dorf des berühmten Cineasten Emir Kusturica.
Hoch auf einem Hügel über Mećavnik (Mokra Gora- Massiv) liegt dieses ganz besondere Dörfchen nur 10 Kilometer weit von der bosnischen Grenze entfernt. Belgrad allerdings ist 4 Stunden (260 Kilometer) entfernt, und diejenigen, die nicht das Glück haben, sich mit dem Helikopter einfliegen (!) oder im Autobus ankarren zu lassen, müssen sich auf die seltenen Direktbusse aus Richtung Hauptstadt verlassen… oder auf ihren guten alten Daumen! Aber die Mühe lohnt sich allemal, vor allem wenn man das Filmmilieu für sich entdeckt.
Hoch in den Bergen, wo sich Himmel und Erde berühren
Im Jahr 2002 dreht Emir Kusturica, weltbekannter Cineast und Preisträger zweier Goldener Cannes- Palmen für Papa ist auf Dienstreise (1985) und Underground (1995) , in Mokra Gora sein neues Werk: Das Leben ist ein Wunder. Eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des bosnisch-serbischen Krieges, die sich auf der pittoresken Eisenbahnstrecke « Šarga Osmica » abspielt, welche einige Jahre zuvor wieder in Betrieb genommen worden war.
Für Kusturica ist es geografische Liebe auf den ersten Blick: Der Regisseur beschließt, auf den Höhen einer unbewohnten Felsspitze ein traditionelles Dorf nachzubauen. 50 Häuser aus Pinienholz restauriert und transportiert er bis hierher. Küstendorf, dem Kusturica absichtlich einen deutschen Klang verliehen hat, wird das Schlaraffendörfchen des Regisseurs, das er dem Tourismus öffnet. Drvengrad („die Holzstadt“), so sein serbischer Name, zählt ein Hotel, eine Spa-Badeanstalt, Kinderspielplätze, mehrere Kneipenrestaurants, eine Bibliothek, eine orthodoxe Kirche und natürlich einen Kinosaal.
Philanthropie, Musikbegeisterung, Globalisierungskritik ?
Beim Spaziergang durch die Alleen Küstendorfs wird offensichtlich: Hier errichtet Emir Kusturica eine utopische Stadt nach seinen Vorstellungen. Es sind lokale Traditionen gemixt mit Globalisierungskritik, eine Mischung, die sich gut macht. Die Straßen dieses Mini-Skansen [Museum in Stockholm; A.d.R.] verdanken ihre Namen den Leidenschaften ihres Schöpfers: dem Kino (die Fellini – Straße); dem Fußball (Maradona); der serbischen und jugoslawischen Kultur (der Platz des Literaturnobelpreisträgers von 1961, Ivo Andrić,); und natürlich Che Guevara.
Anstatt des Coca-Cola® gibt es hier « bio- revolutionären » Fruchtsaft: Große Multis sind in dem Nest nicht willkommen. Diese Haltung vermag vielleicht die Bewunderung zu erklären, die der weißrussische Diktator Lukaschenko für seinen Kameraden Kusturica hegt. Nur, dass bei „Kusto“, dessen politische Positionen im Balkan nicht immer unumstritten sind, die Autokratie nicht über das Stadium des Humoristischen hinausgeht. Von einer wahren Philanthropie à la Kusturica zeugt überdies die regelmäßige Organisation kultureller Veranstaltungen in dieser Ecke Serbiens, allen voran ein exzellentes Filmfestival.
Küstendorf Jahrgang 2011: eine gelungene Odyssee
Seit 2008 findet droben in den Bergen eine Woche lang das Kino- und Musikfestival Küstendorf unter der Schirmherrschaft des serbischen Kulturministeriums statt. Dort finden sich Film- Liebhaber, Filmhochschulstudenten, Partygänger und die politische und cinematographische Prominenz des Landes. Und nicht nur die. Es ist DIE Gelegenheit für zahlreiche internationale Stars, ihrem Kollegen Emir einen Besuch abzustatten.
2010 zählten Johnny Depp und Marjane Satrapi zu den Ehrengästen, 2011 sind es Abbas Kiarostami, Nikita Mikhalkov und Gael García Bernal. Aber Achtung, Küstendorf ist nicht Cannes: Schicke Abendkleider, roter Teppich, keine Spur - weit gefehlt! Dafür gibt es echte cinematographische Emotionen und lange Gespräche. Die gefeiertsten Filmemacher stellen sich gern der Herausforderung des Frage -und –Antwort-Spiels, und die Newcomer schicken ihre Kurzfilme für den Wettbewerb um das Goldene Ei ins Rennen.
Das Vergnügungsprogramm gibt dem Autorenkino den Vorrang, sei es Werken « zeitgenössischer Tendenz » (Hrebejk, Die Rose von Kawasaki; Erik Poppe, Troubled Water und viele andere) ; Filmgrößen (jeweils rund um einen Autor: in diesem Jahr Abbas Kiarostami) oder aber Filmwettbewerben (Kurzfilme der jungen Filmkünstler). Immer schließt ein Konzert den Abend ab, der sich bis spät in die Nacht hinzieht.
Eine einmalige ästhetische Erfahrung, nach der nicht mehr alles ist wie vorher. Vor allem, da die familiäre Atmosphäre von Küstendorf den Austausch von Worten, Rakia und Visitenkarten leicht macht, auch mit dem entspannten, zugänglichen Hausherrn.
Die Siegerliste des Festivals Küstendorf 2011:
• Preis der Presse: The Fifth Column, (USA-Libanon) von Vatche Boulghourjian.
• Preis Vilko Filač für die beste Kamera: Quan, (Schweden) von Johann Holmquist.
• Bronzenes Ei: Golden League, (Serbien) von Ognjen Isailovic.
• Silbernes Ei: Tomorrow I’ll be Gone, (Polen) von Julia Kolberger.
• Goldenes Ei: The Chance, (Russland), von Sonya Karpunina.
Fotos: (cc)Kmeron/flickr; Küstendorf: ©Hélène Bienvenu ; No Smoking Orchestra: Mit freundlicher Genehmigung von ©No Smoking Orchestra; Videos: (cc)You Tube
Translated from A Küstendorf, Emir Kusturica fait son cinéma