Kuscheln gegen Rechts: Mein Konzertbesuch in Chemnitz
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Kann man mit einem Konzert ein politisches Statement gegen Rechts setzen? Oder bleibt am Ende doch nur der Fun-Faktor übrig? Ein Erfahrungsbericht aus Chemnitz, wo ich und weitere 65.000 Menschen Montagabend unter dem Motto #wirsindmehr gegen Naziaufmärsche und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland protestiert haben.
„Lass uns mal nach Chemnitz fahren!“ Das Festival-Wochenende lag mir noch in den Knochen, als ich am Montagmorgen Annas Nachricht auf meinem Telefon las. Ich hatte Anna erst vor zwei Wochen auf einem Festival kennengelernt, und jetzt schlug sie mir vor, was so einige in meiner Timeline als „hohles PR-Event, Selbstdarstellung und Eventtourismus von Partylinken“ kritisiert hatten.
In Chemnitz war vor einer Woche ein Mann, wohl von Geflüchteten, ermordet worden. Tausende Rechtsextreme hatten die Messerattacke auf Daniel H. daraufhin ausgenutzt, um während einer Demonstration in der Chemnitzer Innenstadt Jagd auf alles zu machen, was in ihren Augen ausländisch aussah. Die Polizei - sichtlich in der Minderzahl - konnte oder wollte dem Treiben keinen Einhalt gebieten.
Felix Brummer, Frontmann der Band Kraftklub und selber aus Chemnitz stammend, wollte den schrecklichen Bildern ein Zeichen des Anstands entgegensetzen. Unter dem Hashtag #wirsindmehr mobilisierte er befreundete Bands und Rapper, die zum größten Teil im Osten Deutschlands aufgewachsen sind und in ihrer Jugend ihre eigenen Erfahrungen mit Nazis gemacht haben. Und ja, das Line-up am 3. September war traumhaft: Trettmann, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., Kraftklub, die Rapper Marteria und Casper und die Toten Hosen, die grauen Eminenzen der deutschen Punkszene, sollten auftreten. Eintritt frei!
Nicht so der Demo-Typ
Ich muss gestehen, Demonstrationen sind eher nicht meine Sache. Diese Massen von Menschen. Dieses Rausbrüllen von meist doch sehr verkürzten Parolen, bei denen ich lieber Für und Wider diskutieren möchte. Dieser latente Antagonismus, dieses Wir-gegen-die, das doch oft in der Luft liegt, auch wenn es um eine gute und sehr unterstützenswerte Sache geht. Aber soll man deshalb den Nazis die Straße überlassen?
Die Idee, den Protest in Form eines Konzerts auszudrücken, war eine, die mir gefiel. Ich konnte Präsenz zeigen, ohne mich komisch zu fühlen, weil es mir eben nicht so behagt, als einziger stumm in einer Gruppe von Menschen zu stehen, die „Alerta, alerta, antifaschista“ rufen. Und irgendwie lag auch noch etwas anderes in der Luft: dieses Gefühl, dass dieser Abend einer von jenen werden sollte, von denen man noch lange sprechen würde und die man einfach nicht verpassen dürfte.
Hin da!
Also Bedenken zur Seite geschoben und hin da! Anna fuhr aus München los und ich aus Berlin. Wir hatten uns beide Mitfahrgelegenheiten mit Leuten besorgt, die auch zum Konzert wollten. Und standen erst einmal im Stau. Stundenlang. Während die Menge vor Ort in Chemnitz eine Schweigeminute für den ermordeten Daniel H. abhielt, kämpften wir uns noch Meter für Meter voran, folgten Googles mal besseren, mal schlechteren Ausweichrouten durch die Pampa und erreichten, dank der Ortskundigkeit eines Mitfahrers, der in Chemnitz studiert hatte, schließlich den Parkplatz vor der Johanniskirche, wohin das Konzert wegen des großen Andrangs verlegt wurde.
Trettmann, K.I.Z. und Feine Sahne hatte ich schon verpasst, aber wie es ein junger Schüler vor mir so schön ausdrückte: 'Darum geht es heute ja auch nicht.' Was ihn nicht davon abhielt, bei Kraftklub pogend und laut grölend in der Masse zu verschwinden. Alleine versuchte ich mich weiter nach vorne durchzukämpfen, aber die Hoffnung, Anna oder irgendwelche anderen Bekannten, die auch nach Chemnitz gekommen waren, hier zu finden, schwanden schnell.
Der schweigenden Masse ein Gesicht geben
Da stand ich also, allein unter vielen, aber eben doch nicht allein. Denn allen Unkenrufen zum Trotz waren die meisten wirklich gekommen, um ein Zeichen zu setzen: Manche lautstark, viele - wie ich - aber auch etwas unsicher und zögernd, immerhin durch ihre bloße Anwesenheit oder mit ein paar Seifenblasen, die ich noch vom letzten Festival eingesteckt hatte. Ein Zeichen, um denen, die sich im Osten gegen Nazis engagieren, zu zeigen: Ihr seid nicht allein! So jedenfalls formulierte es Kraftklub-Sänger Felix Brummer auf der Bühne - und man merkte dem eigentlich recht coolen Typen seine Rührung darüber an, wie viele Menschen seinem Aufruf gefolgt waren. Die junge Frau mit den grünen Haaren zum Beispiel, die ein „Kuscheln gegen Rechts“-Plakat hochhielt. Oder der alte Punk mit dem bunten Hahnenkamm. Oder der Typ im Rollstuhl neben mir, der ganz sicher nichts sehen konnte, aber trotzdem bis zum Schluss geblieben ist.
Als die beiden großen Bildschirme die Massen von Menschen zeigten (zwischen 65.000 und 75.000 werden später gezählt), die von hier bis zum Nischel reichten, dem großen Karl-Marx-Monument, an dem dies Konzert ursprünglich stattfinden sollte, musste sich so mancher eine Träne verdrücken. Ich übrigens auch. Mein Gänsehautmoment passierte ausgerechnet bei „Sascha“, einem der ältesten Anti-Nazi-Songs der Hosen, bei dem ich mich plötzlich unglaublich textsicher mitgrölend fand. „Vor gut 50 Jahren ist's schon einmal passiert“ wollte ich schon schreien, als mich Frontmann Campino zeitlich korrigierte: „Vor gut 80 Jahren.“ Das ließ den Damm fast brechen: Wie gruselig, dass dieses Lied nach 30 Jahren noch genauso aktuell ist wie damals!
Das Ende war erst der Anfang
Und eigentlich wäre es das dann auch gewesen. Die Hoffnung, Anna in diesem Gewühl von Menschen und ohne Handynetz noch einmal zu treffen, hatte ich längst aufgegeben, wollte mit einem der letzten Züge Richtung Berlin zurück tingeln. Bis ich die Seifenblasen in meinem Beutel wiederfand, die ich im Laufe des Konzerts total vergessen hatte.
Und weil Seifenblasen nun mal jeder mag und ganz schön auffällig sind, hatte ich fünf Minuten später nicht nur Anna wieder, sondern auch einen neuen Freund gefunden, einen 30-jährigen Familienvater, der alleine aus Zwickau angereist war. Zu dritt beschlossen wir spontan, diese besondere Nacht so weit wie möglich nach hinten zu verlängern - auch weil Anna jede Möglichkeit der Rückkehr nach München und jede Übernachtungsmöglichkeit ausgeschlagen hatte, um bis zum Ende dabei zu sein.
Vorsichtig ausgedrückt: Auf diese Idee waren noch ein paar andere gekommen. Und während irgendwelche Polizeikarren ihr Blaulicht aufheulend in irgendeine Richtung fuhren (weshalb, keine Ahnung, die Polizei sollte später berichten, dass die Nacht über alles friedlich verlaufen war), saßen wir am Straßenrand vor irgendeiner Bar, die spontan die Nacht über geöffnet hatte. Wir tranken Bier mit irgendwelchen Menschen aus Süd und Nord und West und Ost, schossen lustige Bilder mit meiner Polaroid, die ich eigentlich zu journalistischen Zwecken mitgebracht hatte, und unterhielten uns. Über unsere Beweggründe herzukommen, über unsere Erfahrungen mit Rassismus in unseren Heimatstädten und über das Gefühl, doch etwas tun zu müssen. Und dann wurde Flunkyball gespielt, bis nicht nur die Flaschen fielen. Da wurde mir klar: Die beste Waffe gegen Nazis und Rassisten ist nicht jener Protest, der mit besonders betonter Ernsthaftigkeit ausgeführt wird, sondern die eine Sache, die wir den Ewig Gestrigen immer voraus haben werden: Lebensfreude!
Nachtrag: Geschlafen haben wir dann doch noch ein Stündchen. Bei Ahmed, einem jungen Geflüchteten aus Syrien, der seit einigen Jahren in Chemnitz wohnt, und uns spontan aufgenommen hat.