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Pegida: Warum gerade Dresden? (Teil 1)

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Gesellschaft

Pegida hält  nicht nur die Stadt in Sachsen in Atem: Beobachtungen zu Staat, Zivilgesellschaft und politischer Kultur in Dresden.

Zivilgesellschaftliches Engagement war in der DDR, gerade im „Tal der Ahnungslosen“ um Dresden, nicht gewollt. Auch der Fürst der Nachwendezeit, Kurt Biedenkopf, arrangierte sich mit der Staatsfixierung. Diskurs – der ja den Herrschaftsanspruch hätte in Frage stellen können – wurde zurück gedrängt: Schulen durften keine Politiker einladen, den Kultusminister als Amtsperson gleichwohl, Studentengruppierungen wurde über lange Zeit mit dem völlig fehlgehenden Hinweis auf die „Neutralität des Staates“ untersagt, politische Veranstaltungen in Räumlichkeiten der Hochschulen abzuhalten. Und die Redaktionen der immerhin vier Tageszeitungen in der Landeshauptstadt schafften es nicht einmal zur Bundestagswahl, Diskussionen zwischen den konkurrierenden Kandidaten zu veranstalten.

Zivilgesellschaft unerwünscht

Der offene Diskurs war schon in der DDR ins Private verdammt. Dort blieb, dies ist eine selten gemachte, aber zutreffende Beobachtung über Uwe Tellkamps Turm, die DDR-Kritik punktuell an Versorgungsengpässen, tröpfelnden Wasserhähnen und fehlender Reisefreiheit stehen. Politische Alternativen mitsamt der Analyse von Widersprüchlichkeiten blieben außen vor.

Auszüge aus dem TV-Literaturverfilmung "Der Turm" von Christian Schwochow

Noch heute trifft man auf viele dieser wohl gebildeten und gelegentlich etwas selbstgefälligen Menschen, die sich in ihrer Nische eingerichtet haben und dort ihre Art der Bürgerlichkeit leben, sich aber für den Rest der Welt – oder schon ihrer eigenen Stadt – nur vermittels der Literatur zu interessieren scheinen. Gleichwohl ist die Klage über die Zustände (sind es jetzt denn eigentlich andere als vor 25 Jahren??) im Grunde allgegenwärtig. „Politik“ als das „Öffentliche“ ist dann das „Schmutzige“, das Unvermeidbare, mit dem man fremdelt. 

Eingerichtet in der Nische

In den Nischen, die sich in unendlichen Kirch- und Hauskreisen, Literaturzirkeln usw. eingerichtet haben, fängt es freilich an zu modern: Aufklärungskritik und Romantizismus verbindet sich mit Verlogenheit, wo das System DDR noch nachvollziehbare Rechtfertigung für ein Leben im Verborgenen bot. Oder wie es der verstorbene große Rechtshistoriker und -philosoph Gerd Roellecke in einer späten Rezension des Turms zusammenfasste: „Auf Gemeinwohlfragen verschwenden die Dresdener ‚Türmer‘ keinen einzigen Gedanken.“

Der Diskurs über gesellschaftliche Probleme und Fragen war dann eben auch von der neuen Staatspartei CDU nicht gewollt, die Kritiker gerne mal als Investitionshemmnis oder Krakeeler beschimpfte. Aber der sächsische Freistaat mit unzähligen Firmen, die – sei es direkt über Bürgschaften oder über unendlich viele Freundschaftsnetzwerke – mit dem Staat und dessen Repräsentanten verbandelt waren, konnte sich dank großzügiger Förderpolitik und zugegebenermaßen ziemlich eiserner Haushaltsdisziplin vor allem gegenüber den darbenden Kommunen wirtschaftlich eine Weile recht ordentlich entwickeln. Die gesellschaftlichen Probleme blieben aber außerhalb der Diskussion. Opposition war unerwünscht, selbst die allzu brave Grüne Jugend geriet ob ihres Anti-Atom-Engagements ins Visier des Verfassungsschutzes, während gleichzeitig Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in den NSU untertauchten und – unbehindert von Verfassungsschutz und Polizei – ihre Mordtaten vorbereiteten. 

Demonstrationen im öffentlichen Raum, ob gegen Autobahn- oder Brückenbau an der falschen Stelle, gegen Sozialabbau, gegen Schul- oder Kitaschließungen, aber auch die seit Mitte der 1990er wachsenden Neonazidemonstrationen waren unerwünscht und wurden, so blieb der Eindruck, nur deshalb nicht kurzerhand verboten, weil es die vom fernen Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit gab. 

Besonders die Neonazidemonstrationen wie die der NPD hätte man – da bestand dann eine bemerkenswerte Einigkeit mit den auf letztlich ähnliche Weise staatsorientierten SED-Nachfolgern – gerne einfach verboten und damit schlicht und einfach wegdefiniert. Biedenkopf trieb diese Haltung mit dem Satz auf die Spitze: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“.

Der Staat richtet es

Den wachsenden Teilnehmerzahlen an Neonazidemonstrationen vermochte der Staat Sachsen nichts entgegenzusetzen. Oft genug hieß es: „Lasst sie doch einfach laufen, und gebt ihnen nicht durch Gegendemonstrationen zusätzliche Aufmerksamkeit“. Ein Verbot von Demonstrationen an „historischen Stellen“ der Stadt und an besonderen Tagen des Jahres steht zwar nach wie vor in sächsischen Gesetzessammlungen, ist aber offensichtlich verfassungswidrig. Es waren erst die zivilgesellschaftlichen Initiativen bis hin zur Antifa, die mit friedlichen Demonstrationen und Blockaden die Neonazi-Demonstrationen rund um den 13. Februar weitgehend verdrängen konnten. Angehörige der zivilgesellschaftlichen Initiativen sahen sich ihrerseits der Strafverfolgung ausgesetzt; sie wurden gar beschuldigt, das eigentliche Problem zu sein. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die in Genuss der eher sparsamen Landes-Förderung für Weltoffenheit kommen wollten, mussten auch von ihren Kooperationspartnern ein formales Bekenntnis zum Staat vorlegen, selbst wenn es sich um die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung handelte.

Auch beim großen Hochwasser von 2002 konnte der Staat nicht sein umfassendes Vor- und Fürsorge-Versprechen halten, es waren überwiegend die Bürger selbst, die sich beim Sandsackabfüllen, beim Deichbau, beim Aufräumen selbst organisierten und damit die Krisensituation meisterten.

Es muss dann im Zusammenhang mit dem zweiten großen Elbe-Hochwasser im Juni 2013 gewesen sein, dass genau die Truppe um Lutz Bachmann zusammenfand, und diese dort ein eigenes Selbstvertrauen entwickelten, das in Verbindung mit Sendungsbewusstsein und Geltungssucht zu ihren Aktivitäten führte.

PEGIDA - Mittelschicht zwischen 30 und 50

Die PEGIDA tragenden Figuren sind allesamt zwischen 30 und 50 Jahre alt; diese Altersgruppe ist auch unter den Demonstranten überdurchschnittlich stark vertreten, während junge Leute unter 25 deutlich weniger zu finden sind. Diese Alterskohorten haben ihre gesellschaftliche Prägung allesamt noch in der DDR erfahren, die theoretische Unterweisung und praktische Erfahrung, sich in das demokratische Gemeinwesen konstruktiv einzubringen, fehlt ihnen.

Nur wenige PEGIDA-Protagonisten haben konkrete Erfahrung mit Parteien (Siegfried Däbritz – ehemals FDP; Thomas Tallacker – immer noch CDU), ohne allerdings Politik konstruktiv gestaltet zu haben.  Sachsen hat seit langem die Rote Laterne unter den Bundesländern bei der politischen Bildung („Monitor politische Bildung“).

Nach der Wende hat man in Sachsen aus Gründen der Sparsamkeit ältere Lehrer für den Unterricht in Gemeinschaftskunde notdürftig umgeschult anstatt jungen engagierten Nachwuchs für die politische Bildung heranzuziehen. Vorgeblich um der parteipolitischen Indoktrination zu wehren, blieben für lange Zeit die Türen zu Schulen, sogar zu den Hochschulen für aktive Politiker verschlossen. Jeglicher Konflikt und politischer Streit sollte von den Menschen ferngehalten werden. Politik wird von vielen immer noch nicht als etwas verstanden, zu dem man unterschiedliche, ja gegensätzliche Positionen vertreten kann, zu dem es oft unterschiedliche Perspektiven und damit „Wahrheiten“ geben kann. 

Mit Sendungstiteln wie „Fakt“, „Exakt“ und „Fakt ist“ trägt der Heimatsender MDR leider dazu bei, ein derartig monolithisches Verständnis des Politischen zu zementieren. Auch von langgedienten Journalisten kann man Neujahrswünsche lesen, das Parteiengezänk möge doch endlich aufhören, und die Politiker möchten an einem Strang ziehen.

Dieser Artikel wurde dank einer Creative-Commons-Lizenz von Dietrich Herrmann / Heinrich-Böll-Stiftung übernommen.

Lest nächste Woche Teil 2 und Teil 3 der Serie PEGIDA - Warum gerade Dresden?