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Kim Ki O auf Tour: "Die Nachteile, Türke in Europa zu sein"

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Translation by:

Ingo Henning

Von der schwedischen Popelite werden sie geliebt, doch die Bürokratie der EU hindert sie an einem Durchbruch in Europa. In Istanbul bildet Musik die labile Brücke zwischen Ost und West. Zweiter Teil unseres Features über die türkische Band Kim Ki O.

Die generelle Politikverdrossenheit der 1980er-Generation wird oft als postmodernes oder globales Phänomen betrachtet, als eine spezielle Art, mit einer nicht immer positiven Zukunft umzugehen. Der Weg der Türkei in die Zukunft ist von zwei gegensätzlichen Tendenzen geprägt: In der Verfassung steht, dass die Türkei ein säkulares Land ist. Dies wurde vom Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk als Grundvoraussetzung für ein modernes Land in den 1920er Jahren angesehen. Allerdings ist seit 2002 die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) an der Macht. Bei den letzten Wahlen 2008 erhielt sie sogar mehr als die Hälfte aller Stimmen. Viele säkulare Regelungen wurden seitdem untergraben. Gleichzeitig diskutiert die AKP über den richtigen Umgang mit der EU. Ein großer Streitpunkt ist, in welche Richtung sich das Land entwickeln soll. 

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Brüssel zufrieden stellen

Eric Sanac und Berna Göl sind zusammen Kim Ki O und sehen in der EU keine Lösung für die türkischen Probleme. Die Regierung ist fundamental eingestellt und außer den Politikern und Geschäftsleuten glaube keiner daran, dass sich durch die EU etwas verändern könnte. In der Gesellschaft gibt es ganz andere Sorgen. Istanbul wirkt zwar wie jede europäische Großstadt, aber im Süd Osten des Landes kämpfen die Menschen immer noch gegen die kurdische Partei PKK. Und in den Vororten der Stadt wollen die Menschen nur eins: ein Dach über dem Kopf. Im Streben nach internationaler Anerkennung verbot die Regierung plötzlich den einzigen Luxus, den die Menschen in den Vorstädten haben. In geschlossenen Räumen darf nun nicht mehr geraucht werden. Aufgrund von immer neuen Gesetzen spricht hier keiner von Freiheit.

©Clara BergstromNach der letzten Zigarette setzt sich Ekin an ihren „Korg MS2000“ Synthesizer, während Berna ihren Bass stimmt. Die Playlist für das Konzert ist fertig und Ekin wechselt zwischen Keyboard und Drums hin und her. Dabei versucht sie sich an die Abläufe und Übergänge zu erinnern. Berna fängt an zu singen, nachher wechseln sie sich ab. Eines haben beide gemeinsam: Sie singen mit geschlossenen Augen. Es klingt weich und gut durchdacht. Ein bisschen so, als ob Joy Division den elektronischen Teil verdoppeln würde und Ian Curtis‘ schreiende Stimme durch ein Sopran ersetzen würde. 55 Minuten und 12 Lieder durch die knisternden PC-Boxen später ist Berna auf dem Rückweg zur Arbeit ins Architekturbüro. Sie drückt dem Dolmuş -Fahrer einen 5 Lira-Schein in die Hand. Die Straßen sind verstopft. Doch als sie von einem Polizeiwagen im Einsatz überholt werden, sieht der Fahrer seine Chance gekommen. Die riesige Hängebrücke, in Purpurrot gehüllt, ist schon zu sehen. Über sie fahren täglich Millionen Menschen zwischen Europa und Asien.

Auf dem Weg zeigt Berna immer wieder auf Gebäude und erläutert deren kulturelle Bedeutung. Einige kulturell wichtige Gegenden wurden allerdings zu Bauland erklärt, da diejenigen, die das Geld haben, machen können, was sie wollen. Ständig entschuldigt sie sich, aber sie könne nun mal nicht anders, als sich Sorgen um die Entwicklung der Stadt zu machen. Es gibt immer noch zu viel Korruption, um Brüssel zufrieden zu stellen. Berna musste das am eigenen Leib erfahren: Sie musste ihren Studienplatz abgeben, da die Studienförderung ohne Vorwarnung gestrichen wurde.

Unser Dolmuş hält am Taksin Square in Beyoglu, dem Zentrum des neuen Stadtteils, weil Berna aussteigen muss. 

Nachteile, türkisch zu sein

Es ist Donnerstagabend. Die Abendsonne beginnt sich über der İstiklal Caddesi, der Unabhängigkeitsstraße, auszubreiten. Hier in Beyoglu ist das Zentrum der Istanbuler Nachtschwärmer. Während der letzten Jahre wuchs die städtische Indie-Szene stetig. Wo früher noch hauptsächlich Songcovers gespielt wurden, schreiben die meisten Bands ihre Lieder mittlerweile selbst. Es kommen nun auch mehr und mehr internationale Bands nach Istanbul. MySpace ist in dieser Hinsicht eine Goldgrube für junge Künstler. Hinzu kommen immer mehr Veranstaltungsmöglichkeiten für unbekannte Bands. Trotzdem gibt es noch zu viele Plattenlabels, die nur an großen Hits interessiert sind. Kim Ki O hat eine Lösung über Kontakte in Schweden gefunden.

Neonzeichen locken die Menschen in die Bars und Restaurants, Kebab-Fleisch glänzt an Fast Food Ständen und die Menschenmassen sind noch ein bisschen verstreut. Es ist Zeit für den Soundcheck im Babylon, dem Club für diesen Abend. Ein paar Stunden später, nach einigen Efes Pilsner und gerösteten Kichererbsen, sind Kim Ki O bereit. Ihre Eltern sind auf der Empore und Ekins Freund Baris, der DJ für heute Abend, hat gerade einen alten Hit gespielt. So langsam füllt sich der Club. Die Lichter gehen aus und Ekin starrt konzentriert auf ihre Musikanlage. Berna versucht verzweifelt, den betrunken Freund ihrer Mutter zu ignorieren, der ständig ihren Namen ruft. Der Bass dröhnt für 55 Minuten durch den Club, genau wie geplant. 

©Clara Bergstrom

Der Sound ist deutlich besser als auf dem provisorischen Soundsystem im Wohnzimmer. Heute sind nicht nur Freunde gekommen. Es waren alle 300 Karten ausverkauft und Ekins Handy stand den Tag nicht still, seitdem Bekannte erfahren hatten, dass es eine Gästeliste gibt.

Kurz nach Jens Lekmans Set leert sich das Babylon. Ekin schlürft noch einen Wodka. Ihr kommt alles wie im Traum vor. Jetzt noch schnell ein türkischer Imbiss auf den Alkoholmagen, bevor es in die dreigeschossige Disco geht.

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Ein paar Tage nach meiner Rückkehr nach Schweden bekomme ich eine E-Mail von Ekin. Morgen wird Kim Ki O nach Europa kommen. Ihr Computer ist abgestürzt und es wartet noch viel Arbeit auf sie. Trotzdem war sie noch nie glücklicher. Und das, obwohl ihr Konzert in Frankreich abgesagt wurde, weil das Schengen-Visa keine Arbeitserlaubnis beinhaltet. Sie werden trotzdem unter den Zuhörern in Paris sein. „Es ist schon ok. Wir sind die Nachteile gewohnt, die es mit sich bringt, ein Türke zu sein. Das ist Bürokratie, da kann man nichts gegen machen“.

Lest hier den ersten Teil unseres Kim Ki O Features.

* Dieser Artikel aus Schweden hat den European Young Journalist Award 2009 gewonnen.

Translated from Music duo Kim Ki O: ‘the danger of being Turkish’ for Europe