Kein Platz für Gott im Haus Europa
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nora s. stampflDie Ernennung des konservativen Kardinals Ratzinger zum Papst wird die wachsende Kluft zwischen Kirche und EU kaum überbrücken können. Gibt es keinen Platz mehr für das Christentum in einem modernen Europa?
Mit der Weigerung der EU, einen Bezug zum Christentum in ihre Verfassung aufzunehmen und die Aufsehen erregende Ablehnung des katholischen, „anti-homosexuellen“ Kommissars Rocco Buttiglioni durch das Europäische Parlament sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein enges Bündnis zwischen Europa und dem Vatikan entstehen könnte, auf einen bisherigen Tiefstand. Mittlerweile hat Papst Benedikt XVI. klargestellt, dass das Fehlen eines Bezugs zu den christlichen Wurzeln des Kontinents im Verfassungsvertrag inakzeptabel wäre. Im französichen „Le Figaro“ kritisiert er Europas „ aggressiven Säkularismus“. Ebenso verurteilt der neue Papst auf das Schärfste die Grundlagen der Union, indem er die europäische Integration als ein ausschließlich wirtschaftliches Projekt darstellt, das darauf abziele, „Gott aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verbannen“ und ihn auf einen „kulturellen Nachlass der Vergangenheit“ zu reduzieren.
Ein post-christlicher Kontinent
Nicht nur der Säkularismus ist dem neuen Papst ein Dorn im Auge. Auch der europäische Multikulturalismus, den er in seinem Buch „Werte in Zeiten des Umbruchs“ als „Flucht vor dem, was unser Eigen ist“ charakterisiert, wurde zum Ziel einer giftigen Attacke. Ratzinger ist der Meinung, dass die europäische Vorliebe für Gleichheit der Kulturen, Religionen und Menschen die Bedeutung von Einrichtungen wie Ehe und Familie überschattet, was schwerwiegende Konsequenzen für Europa als Ganzes habe. In seiner apokalyptischen Vision des Alten Kontinents vergleicht Ratzinger das moderne Europa mit „dem Römischen Reich zur Zeit seines Niedergangs“, einem Gebilde, das „innen leer“ wurde und unerbittlich seiner eigenen kulturellen Auslöschung zustrebt.
Zweifellos zeigen Statistiken über Kirchenbesuche die steigende Säkularisierung in den meisten europäischen Staaten. Während sich offiziellen katholischen Schätzungen zufolge 90 Prozent der Iren als katholisch bezeichnen, wohnen nur 50 Prozent zumindest einmal monatlich der Messe bei. Und laut der italienischen Zeitschrift „Famiglia Cristina“ gehen im traditionell katholischen Italien nur 30 Prozent regelmäßig zur Kirche. Oft werden inländische politische Einflüsse herangezogen, um dieses Phänomen zu erklären. So hat etwa die Wahl der sozialistischen Regierung in Spanien eine Abkehr von katholischen Prioritäten in der Politik ausgelöst: In der Folge wurden Abtreibungsgesetze gelockert und kürzlich hat das Abgeordnetenhaus ein Gesetz verabschiedet, das homosexuellen Paaren gestattet, zu heiraten und Kinder zu adoptieren. Gleichermaßen betrachtet die französische Kirche das jüngst verabschiedete Gesetz zur Untersagung auffälliger religiöser Symbole in Schulen als ein Zeichen für „säkularen Fundamentalismus“. Zu Zeiten, da mehr Touristen als Gläubige die Kathedralen Frankreichs bevölkern, wird der staatlich geförderte Laizismus als ein Faktor gesehen, der dazu beiträgt, die religiöse Dynamik zu unterdrücken.
Geld statt Religion
Dennoch können auch einige pan-europäische Gründe für das wachsende Desinteresse an der Geistlichkeit in Europa angeführt werden. In einem Artikel über Beziehungen zwischen Kirche und Staat weist der amerikanische Autor Robert Kraynak darauf hin, dass aufgrund der gewaltsamen europäischen Religionsgeschichte viele Länder skeptisch sind gegenüber Konzepten von Gut und Böse, welche einen so wesentlichen Bestandteil im politischen Dialog Amerikas darstellen. Außerdem wird das sinkende Interesse an strenger Religiosität (die Suche nach der endgültigen Wahrheit) als eine Widerspiegelung der tief empfundenen Angst vor religiösem Absolutismus gesehen, die das europäische öffentliche Bewusstsein dominiert. So wird in der rückgängigen Anzahl von Kirchenbesuchern das Verlangen eines skeptischen Kontinents sichtbar, nach Jahrhunderten religiöser Tumulte auf Nummer Sicher zu gehen. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Europäischen Integration selbst könnten zum Rückgang von Religiosität in bestimmten europäischen Ländern beigetragen haben. Die gewaltige Wirtschaftsentwicklung in einigen der ärmeren Regionen Europas und daraus resultierender Reichtum und Konsumdenken sind Einflussgrößen, die etwa in Ländern wie Irland und Spanien mit der rückgängigen Zahl von Kirchenbesuchen in Verbindung gebracht wurden. Winfried Röhmel von der Erzdiözese München hat dies so ausgedrückt: „Wenn die Sonne scheint, wie dies in Europa seit dem Krieg für so lange Zeit der Fall war, glauben die Leute, sie bräuchten Gott nicht.“
Die Aussichten, dass die EU und der Vatikan einen gemeinsamen moralischen Boden in Europa finden, scheinen unwahrscheinlich. Die potentiellen Konflikte, die rund um die Mitgliedschaft der Türkei am Horizont auftauchen, werden die Beziehungen kaum verbessern. Die gegenläufigen Pfade des politischen und des religiösen Europa sind vom neuen Pontifex nicht unbemerkt geblieben, und die Wahl seines Papstnamens scheint im Licht dieser Entwicklungen eine besondere Bedeutung zu haben. Es war St. Benedikt, der sich - konfrontiert mit dem Verfall des Römischen Reiches und dem Angriff der Barbaren – zurückzog, um auf den Bergen Klöster zu errichten, die später die Grundlagen des europäischen Christentums wurden. Im Angesicht des in weiten Teilen Europas schwindenden Einflusses der Kirche und einer Gleichgültigkeit gegenüber dem christlichen Glauben scheint der neue Papst in die Fußstapfen seines Namensvetters zu treten. Er ruft die Katholiken dazu auf, ihr Wesen als eine „kreative Minderheit in Europa“ zu stärken und eine besinnlichere Gemeinschaft innerhalb eines dekadenten Kontinents aufzubauen.
Translated from No place for God