Kein Land für Schwule: Kirche und Homosexualität in Italien
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Irina BrüningDie Äußerung des scheidenden Premiers Monti, eine richtige Familie müsse aus einem Mann und einer Frau bestehen, zeigt, dass das Verhältnis zwischen italienischer Politik und Homosexualität weiterhin angespannt bleibt.
Die 1948 formulierte italienische Verfassung, die kürzlich bezichtigt wurde, "übertrieben sozialistisch" zu sein, ist voller Kompromisse. Diese waren wohl nötig, um die verschiedenen Strömungen eines nach dem zweiten Weltkrieg orientierungslosen Landes auf einen Nenner zu bringen. Eine der wenigen Stellen, an denen sie sich unmissverständlich ausdrückt, ist Artikel 29, in dem es wie folgt heißt: "Die Republik erkennt die Rechte der Familie an, die sich als natürliche Gemeinschaft auf die Ehe gründet", wobei man zur damaligen Zeit unter "natürlich" die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau verstand.
Dieser Artikel ist - teilweise aufgrund der konservativen Natur Italiens und teilweise aufgrund der Beeinflussung durch den Vatikan - ein Fundament der Politik unseres Landes geblieben, im Guten wie im Bösen. Nun sägen nicht nur die sogenannten DICO [Diritti e doveri delle persone stabilmente conviventi, Rechte und Pflichten von Menschen in festen Beziehungen, A.d.Ü.] an dieser Formulierung, sondern auch die an Kraft gewinnende Welle der Befreiung der Homosexuellen, die langsam zu Orten vordringt, an denen dies bisher nicht denkbar war.
Heirat für alle
Trotz diverser Gegenbewegungen - nicht zuletzt ist hier der vergangene Sonntag zu nennen, an dem sich Paris Hunderttausenden von katholischen Fundamentalisten wehrlos gegenübersah - sind LGBT-Rechte aus Europa nicht mehr wegzudenken. Und das nicht einmal, weil allen das Recht auf Heirat gewährt wird, sondern weil es vielen verwehrt bleibt. Frankreich hat seine PACS, in Holland und Dänemark sind richtige Hochzeiten möglich, in Spanien und Deutschland sind ganze Stadtviertel "in homosexueller Hand"; es scheint, als sei Italien das einzige Land, das dieser Kultur feindlich gesinnt ist. Aber wie es aussieht, ändert sich etwas. Trotz des Unglückstreffers des scheidenden Premiers Mario Monti, der vor den Kameras von skytg24 sagte, eine richtige Familie müsse aus einem Mann und einer Frau bestehen.
Rosario Crocetta von der PD [Partito Democratico, Demokratische Partei, A.d.Ü.] ist der neue Präsident der Region Sizilien. Nichts Besonderes - wenn er nicht offen homosexuell wäre, genau wie sein Kollege Nichi Vendola, der Präsident der Region Apulien. Beide verteidigen ihre Entscheidung, und das in der Hochburg des Mittelmeer-Machotums. Diese Tendenz scheint sich im gesamten Süden durchzusetzen, wenn auch nicht überall gleich stark. Die LGBT-Vereine Siziliens suchen schon seit einiger Zeit den schwierigen Dialog; vor allem diejenigen, die mit katholischen Verbänden Kontakt haben, bemühen sich um Verständigung mit der katholischen Gemeinschaft und den entsprechenden Gruppen. Auf der einen Seite haben sie die Unterstützung des Bürgermeisters von Palermo gewonnen, der sich bereit erklärte, die Gay Pride 2013 in der Stadt zu finanzieren, auf der anderen protestiert Giovane Italia [Junges Italien], die Jugendbewegung der Berlusconi-Partei PDL [Popolo della Libertà, Volk der Freiheit, A.d.Ü.] heftig dagegen: Es würden öffentliche Gelder für eine unnötige Veranstaltung verschwendet.
Im Norden sieht es nicht besser aus - auch hier bereitet sich eine Stadt auf eine große LGBT-Demonstration vor und hat mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vicenza ist sicherlich nicht für eine besonders offene Einstellung bekannt. Vielleicht wurde genau deshalb beschlossen, dass die Demonstration hier stattfinden soll und nicht in einer "freundlicheren" Stadt. Starker Widerstand kommt vom Klerus und von zahlreichen Verteidigern der christlichen Familie, zum Beispiel dem Abgeordneten Parolin. Dieser plant sogar eine Gegendemonstration: In zwei wichtigen Kirchen, gelegen an der Hauptstraße des historischen Zentrums, die der Zug passieren wird, sollen Messen gelesen und Leichenreden für die Moral gehalten werden.
Die Organisatoren begegnen dieser Einstellung zwar mit unverhohlener Ironie, erwähnen aber selbst, wie groß der Widerstand im Bildungsbereich gegen gewisse Themen nach wie vor ist. "In manchen Kreisen gibt es keine Probleme, da ist es sogar 'cool', schwul zu sein - ich rede hier von der 'upper class' und den freien Berufen. Ich bin Anwalt und hatte nie Probleme. Aber in weniger privilegierten Schichten kann es sehr schwierig sein, zu seiner Homosexualität zu stehen. Ich weiß zum Beispiel, dass viele Lehrer sich nicht outen, ebenso wie Menschen, die in öffentlichen Einrichtungen arbeiten", sagt Everardo dal Maso, Anwalt und Organisator der Bewegung. "Bei der Kirche glaube ich dagegen, dass sie für konstruktive Begegnungen bereit ist, man sieht es daran, dass sie zu Parolins absurder Idee 'Nein' gesagt hat. Die Kirche ist stark? Sehr gut, wir sind offen für Gespräche. Es gibt Verbände homosexueller Katholiken, die an der Organisation der Pride beteiligt sind, beispielsweise die Gruppe "La Parola" aus Vicenza."
Es sieht also so aus, als würden Homosexuellenverbände von Sizilien bis Venetien der Kirche die Hand reichen, nicht nur den Konfessionslosen. Auch wenn der Papst kürzlich die ugandische Ministerin Rebecca Kadaga gesegnet hat, die sich gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Regierung ihres Landes für den 'Anti-Gay Bill' ausgesprochen hatte - ein Manifest der Vernichtung homosexueller Menschen.
Die Mehrheit der Italiener ist zwar nicht ausdrücklich für, aber auch nicht ausdrücklich gegen mehr Rechte für Homosexuelle und vor allem für die Einführung des Strafbestands der sexuellen Diskriminierung dieser Gruppe. Diese wurde in der Vergangenheit im Parlament von mehreren Parteien gemeinsam vorgeschlagen, wobei sich die konservativsten und pro-katholischsten Mitglieder stets quer stellten. Die Krise, die Italien in die Knie zwingt, ist für den Regenbogen vielleicht ein Segen - Ironie? Viele Menschen zeigen wenig Interesse am Thema und viele finden sogar, diesen Fragen werde zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ob nun Parteien, die ihr Profil ändern, Bürgerbewegungen, laizistische und unabhängige Bewegungen: dem Anschein nach bewegt sich die italienische Gesellschaft, wenn auch die Richtung noch nicht feststeht. Und vielleicht werden die verschiedenen Strömungen auch einem '68 Raum geben, das es in Italien nie gegeben hat.
Illustrationen: Teaserbild ©rezavoody/flickr; Im Text: Rosario Crocetta ©offizielle Seite von Crocetta; Palermo Pride ©Vanessa Dos Santos/facebook
Translated from Non è un paese per gay: chiesa e omosessualità in Italia