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Jovanotti: Italo-Pop, Politik und La Madonna

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Interview mit dem italienischen Sänger Jovanotti, der über den Rap seinen neuen Stil, die World Music, gefunden hat. Seine 18 Alben zeugen davon, dass ein vielbeschäftigter Künstler namens Lorenzo Cherubini davon träumt, wie Tom Waits mit 60 Jahren immer noch auf der Bühne zu stehen.

Als Italiener, der in den achtziger Jahren geboren wurde, ist man - ob man nun will oder nicht - Fan von Jovanotti. Als Italiener alleine kennt man mindestens fünf seiner Lieder in- und auswendig. Der Musiker, der auf den bürgerlichen Namen Lorenzo Cherubini hört, ist ein Sänger und Komponist, der seit 20 Jahren und mit 18 Alben eine tragende Rolle in der italienischen Musikszene spielt. Anlässlich seiner Promo-Tour treffe ich ihn im Nobelhotel Lutetia im Pariser Viertel Saint Germain des Prés. Lorenzo wurde in Rom geboren, doch er kommt ursprünglich aus Cortona in der Toskana, wo er nach wie vor lebt. Seit September letzten Jahres ist er verheiratet und hat eine Tochter im Alter von elf Jahren. Er selbst ist 42 Jahre alt, doch dank seiner gelassenen Art und seinem legeren Kleidungsstil mit Jeans und Karohemd würde man ihn locker zehn Jahre jünger schätzen. Das Gespräch kommt ganz von allein ins Rollen. Jovanotti dreht den Spieß fast um, indem er mir die Fragen stellt, obwohl ich ihn interviewen möchte.

'Du bist wie mein Mofa'

Das Phänomen Jovanotti beginnt Anfang der achtziger Jahre. Nach zahlreichen Auftritten als DJ veröffentlicht er 1987 sein erstes Album, Jovanotti for President. In den folgenden Jahren kommt eine Bekleidungskollektion auf den Markt, die nach einem seiner Lieder ("Yo") benannt ist und deren Logo eine Popversion der amerikanischen Flagge darstellt. Auch das zweite Album, La mia moto, mit dem gleichlautenden Hit ("Sei come la mia moto, sei proprio come lei, andiamo a farci un giro, fossi in te io ci starei", also 'Du bist wie mein Mofa, genauso wie es, komm drehen wir eine Runde, ich an deiner Stelle würde es machen') war ein voller Erfolg. Jovanottis Musik ist eine Mischung aus Disco und Rap, einer Gattung die damals in Italien noch weitgehend unbekannt war und von der er sich mit der Zeit distanzierte.

Heute macht sich Lorenzo Cherubini für den Schuldenerlass und den Umweltschutz stark, und ist als Vertreter von Amnesty International sowie als Tierschützer tätig. Es ist kaum vorstellbar, dass der Sänger von "È qui la festa?" ('Steigt hier die Party?') und der Lorenzo von heute ein und dieselbe Person ist. "Damals wusste ich nicht, was ich wollte. Ich war wie ein Kind: Ich hatte Hunger und Durst, sonst nichts. Es war eine gewisse Energie da. Ich war jung und wollte unbedingt einen Durchbruch”, erinnert er sich mit einem Grinsen. „Diese Alben damals waren, was den Inhalt betrifft, sicher nicht besonders ausgereift, aber sie waren voll geladen mit Energie und Botschaften. Und sie erreichten somit ein großes Publikum, ohne dass dieses per Gesetz gezwungen wurde, die Alben zu kaufen.“ Von La mia moto wurden ganze 600.000 Stück verkauft. Im Laufe der Jahre verändern sich seine Texte und seine Musik langsam, aber radikal. 

Lorenzo Cherubini entdeckt die Kunst für sich und spielt in einem Film, I giardini dell‘Eden ('Die Gärten Eden') von Alessandro D’Alatri mit. Langsam entdeckt er eine neue Musikgattung für sich, die viele als World Music definieren. Auf die Frage, wie er selbst seine Musik beschreiben würde, antwortet er: „World Music ist jede Art von Musik, die auf diesem Planeten gemacht wird. Meine Musik kann ich nicht definieren, es ist so, als müsste ich mich selbst definieren: (Walt) Whitman sagte einmal 'Nun gut, ich widerspreche mir selbst, weil ich vielfältig bin'. Ich glaube, das was ich mache, ist eine persönliche Interpretation der Philosophie der Popmusik. Ich freue mich, wenn ich bei den Leuten ankomme. Mir gefällt es, eine Musik zu machen, die Botschaften übermittelt, die dem Publikum vertraut und nicht exklusiv vorkommt.“

1999 engagierte sich Jovanotti gegen den Krieg im Kosovo, indem er zum Beispiel gemeinsam mit zwei Musikerkollegen, Pelù und Ligabue, die Einnahmen an ihrem Titel "Il mio nome è mai più" spendete. Weiterhin unterstützte er die Kandidatur des brasilianischen Präsidenten Lula und nahm an einem Projekt zur Unterstützung der Zapatisten im mexikanischen Chiapas teil. „Ich habe gespürt, dass ich mit meiner Musik etwas bewirken kann, denn es sind auch Leute notwendig, die die Menschen unterhalten.“ Von den Sachen, die ihn am meisten geprägt haben, fallen ihm mit einem strahlenden Lächeln das Live Aid- Konzert im Jahre 1985 (das von Bob Geldof initiierte Megakonzert zur Bekämpfung der Hungersnot in Äthiopien) sowie das Album Sandinista! der englischen Band The Clash ein. „Mir ist klar geworden, dass die Musik mehr ist als nur Hintergrundmusik.“ 

Auch zum Thema italienische Politik nimmt Lorenzo kein Blatt vor den Mund und sagt schlicht, was er davon hält: „Ich habe bei den letzten Wahlen die Partito Democratico (PD, Demokratische Partei) gewählt und ich würde es wieder tun. Ich glaube, die richtige Wahl getroffen zu haben, und die Fakten geben mir Recht. Ich glaube, dass Italien, indem es nicht die PD gewählt hat, eine Chance verpasst hat, zu wachsen, obwohl auch diese Koalition so manche Mängel hat.“ Auf meine Skepsis reagiert Lorenzo lächelnd: „Heute bevorzuge ich jene Sachen, von denen man nicht genau weiß, wie sie sind, gegenüber denen, die man von Vornherein kennt und die mir nicht gefallen.“

Südamerika und Sandinista!

©soleluna.comEine weitere große Leidenschaft und Inspirationsquelle für viele seiner Lieder, unter anderem für seinen bekanntesten Hit im Ausland "Ombelico del mondo", ist Südamerika. Er hat einen Großteil des Kontinents bereist, Patagonien mit dem Fahrrad durchquert und dort sein Buch Il grande boh! (In etwa: 'Das große Fragezeichen', Feltrinelli, 1998) geschrieben. Anlässlich der Veröffentlichung des Buches verglich ihn die italienische Tageszeitung Il Corriere della Sera mit dem britischen Autor Bruce Chatwin. „In Lateinamerika habe ich mich sofort zu Hause gefühlt. Vielleicht, weil ich in Rom aufgewachsen bin. Rom ist in gewisser Hinsicht eine südamerikanische Stadt. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der allgegenwärtige Katholizismus mich an meine Kindheit erinnert. Die omnipräsente Muttergottes gibt mir das Gefühl, zu Hause zu sein.“ Und wer, wie ich, eine Madonnenstatue neben dem Bildschirm stehen hat, kann dies auch leicht nachvollziehen: „Die Muttergottes ist eine sehr liebenswürdige Figur, die Geborgenheit ausstrahlt, die dir immer verzeiht.“ 

©Universal/Soleluna.comObschon Lorenzo von sich behauptet, „nicht religiös“ zu sein, spielt die Religion in seiner Musik eine wichtige Rolle: „Ich glaube, dass die Religion, in die man als Kind hineingeboren wird, mit der Sprache, mit der man aufwächst, vergleichbar ist. Die römisch-katholische Kirche ist ein Element, das eine sehr starke Rolle in der Entwicklung einer Person spielt, und die Lektüre der Bibel, und überhaupt aller heiligen Texte der großen Religionen, ist dabei eines der prägendsten Erlebnisse. In der Poesie der heiligen Texte steckt alles: Krieg, Liebe, Sex, Betrug, Macht. Was in der Bibel am wenigsten vorkommt ist die Mystik des New Age.“

Seine aktuelle CD Safari, an der auch Ben Harper beteiligt war, ist im Januar 2008 erschienen und mit rund 500.000 Stück das meistverkaufte Album des Jahres in Italien. „Man kann nicht anders, als sich in Ben Harper zu verlieben. Er ist ‚der Musik ergeben‘ und genau das ist es, wonach man streben muss. Die einzige Form des Widerstandes in der westlichen Welt ist es heute, das gut zu machen, was man macht. Indem man seine Arbeit mit Hingabe macht, kann man eine Inspirationsquelle für andere sein.“

Wie erfolgreich ist Jovanotti im Ausland? „Ich funktioniere über Liveauftritte. Ich habe zahlreiche Konzerte in Österreich und Deutschland, in einigen Ländern in Osteuropa sowie in Südamerika gegeben. Was den Verkauf meiner Platten betrifft, war ich in den neunziger Jahren, als meine Musik „leichter zu definieren“ war und in Richtung Hip-Hop/Funk ging, sehr erfolgreich. "L’Ombelico del Mondo", "Penso Positivo" und "Serenata Rap" waren große Hits.“ Und jetzt wagt er einen neuen Versuch? „Gott sei dank bin ich kein Fußballspieler: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Kürzlich war ich bei einem Auftritt von Alain Bashung (in Paris): Mit seinen sechzig Jahren ist er immer noch ein außergewöhnlicher Künstler. Er hat mir eine schöne Ladung Energie vermittelt. Auch mit sechzig kann man noch jede Menge schöne Sachen machen. Man denke bloß an Tom Waits, Robert Wyatt, an Springsteen oder Lou Reed.“

Wir werden unterbrochen, der nächste Interviewtermin ruft. „Schade, ich hätte noch anderthalb Stunden weiterreden können“, bedauert er. Ich übrigens auch, und für jemanden wie mich, der kein Jovanotti-Fan ist, ist das eine große Überraschung.

Tourdaten Jovanotti:

4. Dezember, Forlì: Palasport

6. Dezember, Livorno: Palalgida

10. Dezember, Conegliano Veneto: Palasport

13. Dezember, Brescia: Palabrixia

15. Dezember, Paris: Elysée Montmartre

Translated from Jovanotti: il pop, la politica e la Madonna